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Trump, Tallinn, Turbulenzen: Rückblick auf das Kernseminar 2018

Friday, 21. September 2018

Die USA zweifeln an ihren Partnern, die Ostseeanrainer an ihrer Sicherheit und die EU an ihrer Einheit. Im Kernseminar 2018 suchten 25 junge Führungskräfte vor Ort nach Antworten.

Eine Gruppe geschäftlich gekleideter Menschen steht vor einer Plastik des NATO-Symbols und zahlreichen Flaggen von NATO-Mitgliedsstaaten.

Eine regelmäßige Station des Kernseminars ist die NATO in Brüssel. 2018 besuchte das Seminar als erste deutsche Delegation das kurz zuvor fertiggestellte NATO-Hauptquartier. Foto: BAKS.

Das Kernseminar der BAKS vermittelt ein ressortübergreifendes Verständnis von nationaler und internationaler Sicherheitspolitik. Der Seminardurchgang 2018 sah sich mit den beunruhigenden Signalen US-Präsident Trumps, der anhaltenden Bedrohungssituation in Osteuropa und der politischen Polarisierung in der Europäischen Union einer bislang ungekannten Komplexität des deutschen Sicherheitsumfelds gegenüber. Aufbauend auf einer Vorbereitung durch nationale und internationale Expertise in Deutschland trat das Seminar Studienreisen in die USA, in den Ostseeraum und nach Brüssel an, um sich vor Ort ein Bild zu verschaffen und strategische Schlüsse für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik zu ziehen.

Sturm über dem Atlantik

Auf einem Schild am Zaun vor dem Weißen Haus steht "Do not enter".

Das Weiße Haus scheint verschlossen - derzeit auch für viele Verbündete. Foto: BAKS/Knoechelmann.

Überraschen konnten weder die vor dem Seminar zum Teil äußerst selbstbewusst vorgetragenen Rechtfertigungen chinesischer und russischer Vertreter ihrer mitunter aggressiven Außen- und Wirtschaftspolitik noch manch kritischer Ton aus den USA. Nicht zu erwarten gewesen war jedoch, wie koordiniert und geschlossen die US-Gesprächspartner in Berlin und Washington ihre Positionen und Problempunkte mit Blick auf Deutschland und Europa formulierten. Während Präsident Trump bisweilen sprunghaft zu agieren scheint, zeichnete sich hier eine einheitliche Linie ab, die Deutschland unmissverständlich auffordert, das von der NATO 2014 festgeschriebene Investitionsziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zu erreichen. Deutlich kritisiert wurden zudem die vermeintlich zu engen deutschen Beziehungen zu China, die Gaspipeline Nord Stream 2 und das Festhalten am Atomabkommen mit Iran.

Eine wesentliche Erkenntnis des Seminars aus den Gesprächen mit der US-Administration, aber auch mit Vertretern internationaler und Nichtregierungsorganisationen in den USA war zudem, dass die viel beschworene transatlantische Freundschaft zumindest auf hoher politischer Ebene nicht mehr zu existieren scheint. Die USA konzentrieren sich – nicht erst seit der Amtsübernahme Donald Trumps – auf das eigene Wohl und in Sicherheitsfragen vermehrt auf andere Weltregionen. Die Vereinigten Staaten fordern eine klare Positionierung ihrer Partner gegenüber potentiellen Wettbewerbern und politischen Kontrahenten, und sie erwarten einen deutlich erweiterten europäischen und insbesondere deutschen Beitrag zur internationalen Sicherheit.

Wie sollten Deutschland und die EU damit umgehen? In den Diskussionen zeigten sich Positionen von gewissem Verständnis für die US-Haltung bis hin zu deren vehementer Ablehnung. Einerseits könnte Deutschland auf die amerikanischen Forderungen eingehen. Durch die deutliche Erhöhung seiner im NATO-Kontext anrechenbaren Ausgaben könnte es sich den finanziellen Forderungen annähern und zusätzlich zum Beispiel durch massive Rüstungskäufe in den USA die Handelsbilanz verändern. Andererseits könnte eine größere (sicherheits-) politische Unabhängigkeit Europas von den USA angestrebt werden. Angesichts der inneren Zerrissenheit der EU käme hier wohl nur die Zusammenarbeit einer Gruppe von Staaten um die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich in Frage.

Schwere Zeiten für den Multilateralismus

Mehrere Menschen steigen in ein Flugzeug ein.

Die Studienreisen sind ein fester Bestandteil des Kernseminars, um sich vor Ort ein Bild zu verschaffen. Foto: BAKS/Knoechelmann

Die bi- und multilateralen Verstimmungen waren während der Besuche internationaler Organisationen und Einrichtungen ebenso deutlich spürbar. Vertreter der Vereinten Nationen lobten das erkennbar größere deutsche Engagement etwa in VN-Einsätzen, zeigten sich gleichzeitig aber ausgesprochen besorgt über die zunehmende Kritik und das schwindende US-Interesse an der Weltorganisation. Dies lässt sich inzwischen nicht nur am Rückgang finanzieller Leistungen, sondern auch am Rückzug der USA aus Verträgen und Teilorganisationen der VN wie zum Beispiel der UNESCO festmachen. In Brüssel hingegen geben sich NATO-Vertreter äußerlich unbeeindruckt von der ständigen Diskussion um die scheinbar ungerecht verteilten Lasten – das futuristisch anmutende neue Hauptquartier, das das Kernseminar als erste deutsche Delegation erleben durfte, unterstreicht diesen Eindruck noch. Das Verteidigungsbündnis beschwört seine Geschlossenheit, sichtbar zum Beispiel in der nach 2014 zur Abschreckung Russlands eingerichteten Rotation multinationaler Gefechtsverbände nach Estland, Lettland und Litauen (Enhanced Forward Presence).

Die Europäische Union hingegen steht offensichtlich immer noch unter dem Schock des Brexit und der offenen Verweigerungshaltung einiger Mitglieder – mit Blick auf den Osten und zunehmend auch den Süden mutet sie derzeit weniger als Union an denn je. Sie versucht vor allem in der Verteidigungspolitik Gemeinsamkeiten zu generieren. Im Schwerpunkt stehen hier die Initiativen im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO - Permanent Structured Cooperation) für mehr Koordinierung und eine effektivere Fähigkeitsbündelung in der Verteidigung, welche das Kernseminar allerdings zur kritischen Diskussion anregten. Inwieweit die zunächst 17 beschlossenen (Einzel-) Projekte nachhaltig zur Verbesserung der gemeinsamen Handlungsfähigkeit der EU beitragen werden oder Stückwerk bleiben, blieb auch nach ausführlichen Gesprächen mit nationalen und EU-Vertretern in Brüssel zumindest ungewiss.

Neue Bedrohung aus dem Osten

Auf einem Betonboden steht mit Kreide geschrieben das Symbol der NATO sowie die Worte NATO OTAN.

In Estland ist die Bedrohungswahrnehmung gegenüber Russland allgegenwärtig, und die NATO erhält in der Bevölkerung breite Zustimmung. Hier im Bild: Eine Kreidezeichnung vor dem Rathaus im estnischen Narva. Foto: BAKS/Knoechelmann

Regionaler Schwerpunkt des Kernseminars war 2018 der Ostseeraum. Hier treffen neutrale Staaten wie Schweden, NATO-Mitglieder wie die baltischen Staaten und Polen, multinationale NATO-Kräfte und Russland auf engem Raum aufeinander. Die Studienreise in die Schwerpunktregion führte von Stockholm über Tallin und Riga nach Warschau. Die Wahrnehmung einer neuen Bedrohung aus dem Osten war in Schweden, Estland und Lettland deutlich spürbar. Insbesondere in Estland war die Entschlossenheit greifbar, ihr auch klassisch militärisch, aber ebenso mit unkonventionellen Mitteln wie einer Bürgerwehr („Kaitseliit“) entgegenzutreten. Eine offene Frage bleibt die nach dem richtigen Umgang mit der russischsprachigen Minderheit in Estland, welche nach der Unabhängigkeit der baltischen Staaten 1991 einen Sonderstatus erhalten hat.

Der Besuch in Warschau machte deutlich, dass sich das deutsch-polnische Verhältnis merklich abgekühlt hat. Während in Deutschland diese Beziehungen offiziell als verschlechtert, aber immer noch als gut eingestuft werden, merkt man deutschen Stimmen vor Ort eine gewisse Resignation und Ratlosigkeit an. Die Bedrohungswahrnehmung aufgrund Russlands Vorgehen in der Ukraine war auch in Polen greifbar. In allen Gesprächen wurde auch deutlich, dass Polen seine Sicherheit nicht an Europa festmacht, sondern eindeutig in Richtung USA blickt.

Diskussionen im Innern

Zwei erwachsene Menschen in geschäftlicher Kleidung beschäftigen sich an einem Tisch mit Legosteinen.

Komplexe Probleme zum Anfassen: Die BAKS setzt in ihren Seminaren auf innovative Lernmethoden wie Lego Strategic Play. Foto: BAKS.

Neben der internationalen Perspektive nahm das Seminarmodul Innere Sicherheit gezielt die innerdeutsche Situation in den Blick. Dazu zählen neben den klassischen Feldern Polizei, Justiz und Nachrichtendienst zum Beispiel auch Fragen kritischer Infrastruktur. Am Firmensitz eines Energiedienstleisters wurden exemplarisch die latente Gefährdung und die Komplexität des Schutzes der wichtigen Ressource Elektrizität erkennbar. Auch Probleme, die sich aus der Unstetigkeit erneuerbarer Energien und deren Transport ergeben, wurden ersichtlich.

Die Themenfelder Migration und Integration wurden bei einem Besuch in einer Brennpunktschule und einem geführten Rundgang durch Berlin-Neukölln betrachtet. Die Gespräche mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort und der Blick in die Realität Neuköllns zeigten das große Engagement, mit dem etwa Lehrkräfte, Polizisten und Stadtteilmütter sich bemühen, Hilfestellungen zu geben. Sie zeigten aber auch, dass Integration nur gelingen kann, wenn eine einheimische Basis vorhanden ist, in die integriert werden kann. Das ist in einigen Gegenden Berlins offenbar nicht mehr der Fall.   

Strategien gesucht     

Bestimmende Themen zahlreicher Diskussionsrunden im Verlauf des Seminars waren die Möglichkeiten, die Grenzen und die konkrete Ausgestaltung des Föderalismus, die Koordination der Regierungsarbeit und die damit zusammenhängende Ausübung der Richtlinienkompetenz und die mitunter als nicht einheitlich wahrgenommene Auslegung des Ressortprinzips. Das seminarbegleitende Thema Strategische Vorausschau gab den Seminarteilnehmern hierfür Denkanstöße. Längerfristiges, vorausschauendes Denken in – mitunter gewollt abwegig anmutenden – Szenarien, die Ableitung darauf aufsetzender Strategien und die sachgerechte Kommunikation dieser Strategien in die Öffentlichkeit wurden theoretisch erörtert und praktisch eingeübt. Eine darauf aufbauende Szenarioübung spielte im bereisten Ostseeraum und griff unter anderem das Thema Digitalisierung auf.

Mehr Informationen zum Kernseminar für Sicherheitspolitik der BAKS finden Sie hier online.

Autor: Oberst i.G. Jörg Knoechelmann ist Seminarleiter des Kernseminars der BAKS.
Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.