Arbeitspapiere

Diversity Management: Wie die Bundeswehr bunter und fitter wird

13/2016
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„Diversity Management“ ist aktuell das Schlagwort, wenn es um Soldaten mit Migrationshintergrund in der Bundeswehr geht. Mit Wirkung vom 1. Mai 2016 hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Stabsstelle ihres Ministeriums mit diesem Thema beauftragt. Die Ministerin reagiert damit einerseits auf Druck von außen und innen. Andererseits hat das Ministerium das Potential von zukünftigen und bereits eingestellten Soldaten mit Migrationshintergrund für eine wieder wachsende und global operierende Berufsarmee im Blick. Insbesondere hinsichtlich eines zunehmend heterogenen potentiellen Bewerberkreises war das ein überfälliger Schritt. Vielfalt ist aber für eine Parlamentsarmee, die sich als Spiegel der Gesellschaft versteht, noch weit mehr als Mittel zum Zweck. Nicht zuletzt bei der Integration der Flüchtlinge könnte sich die Bundeswehr als Motor erweisen.

Zum 1. Mai 2016 hat Ursula von der Leyen dem Verteidigungsressort ein neues Thema auferlegt. Es geht dabei um die Beantwortung der Frage, wie man mit der gegenwärtigen und zukünftigen Vielfalt in den Streitkräften umgeht. Dies schließt neben Migranten auch Frauen, Homosexuelle und andere Minderheiten in der Bundeswehr ein. Der Vorstoß der Ministerin mag angesichts der Vielzahl aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen und dem bereits vollen Lastenheft der Bundeswehr auf den ersten Blick überraschend erscheinen.

Doch er ist vielmehr eine logische — und vor allem notwendige — Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Deutschland: Die Wehrpflicht ist abgeschafft. In Metropolen wie Stuttgart, Frankfurt, Hamburg oder Berlin hat ein großer Teil der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Frauen sind mittlerweile eine Selbstverständlichkeit im Berufsleben und Homosexualität schon lange keine Straftat mehr.

Eine 2009 veröffentlichte Studie vom damaligen Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr kam zu dem Ergebnis, dass etwa 12 Prozent der aktiven Soldaten einen Migrationshintergrund haben. Bedenkt man, dass „neue Deutsche“ noch nicht sehr lange in die Bundeswehr eintreten, ist dies bereits ein beachtlicher Wert — insbesondere im Verhältnis zu 11,3 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Die aktuellen Zahlen liegen dem Verteidigungsministerium in einer umfassenden Studie vor, die aber noch nicht veröffentlicht wurde. Alles deutet darauf hin, dass der Anteil weiter gestiegen ist.

Schaut man in die Kompanien, so geht die Bundeswehr auf taktischer Ebene bislang gut mit dieser Realität um. Chefs und Spieße bemühen sich um Gebetszeiten und geeignete Mahlzeiten für Muslime. Frauen sind in allen Truppengattungen und Teilstreitkräften vertreten. Auch homo-, trans- und anderssexuelle Soldaten sind in der Bundeswehr anerkannt und organisieren sich über den Verein „Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr“ (AHsAB).

Der ein oder andere mag diese Realität belächeln oder gar bedauern. Diese bunte Bundeswehr ist es aber, die nach Mali, zur Seenotrettung oder in den Irak geschickt wird, nicht die Bundeswehr wie vor 30 Jahren. Die Streitkräfte werden auch noch bunter werden müssen, wenn sie einen hohen Bewerberstand halten wollen, angesichts von demographischem Wandel, verstärkter Immigration und gesellschaftlicher Liberalisierung.

Kleine Schritte

Die resultierende Vielfalt kann ein großer Gewinn, aber auch ein Problem werden, wenn sie nicht gezielt geplant und gesteuert wird. In der Konsequenz muss sich die Leitung des Verteidigungsministeriums Gedanken über die strategische Dimension des Diversity Managements machen. Dazu dient der nun durch Ursula von der Leyen vorgenommene Schritt.

Dieser Schritt kam jedoch nicht unerwartet. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ministeriums wurde zuletzt immer lauter ein strategisches Diversity Management gefordert. Auch im Weißbuchprozess kam die Thematik wiederholt zur Sprache. Dass man die potentiell konfliktträchtige Heterogenität in einer derart sicherheitsrelevanten Institution weiter unkontrolliert wuchern ließ, überraschte auch viele internationale Partner.

Dass das neue Thema dabei nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit für die Ministerin darstellt, ist allerdings auch erkennbar. Denn die Stabsstelle „Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion“ ist für die Bedeutung dieses Themas zu schwach aufgestellt. Der ursprüngliche Auftrag dieser bereits 2015 geschaffenen Stelle war es, die Chancengerechtigkeit zwischen Männern und Frauen in der Bundeswehr zu fördern. Dazu wurde sie dem Abteilungsleiter Personal unterstellt und in Bonn angesiedelt. Dem Thema Chancengerechtigkeit wird nun der große Themenkomplex Diversity Management gleichberechtigt zur Seite gestellt. Damit findet sich das Diversity Management der Bundeswehr in vierter Hierarchieebene wieder. Vorprogrammiert sind lange Mitzeichnungsgänge, die von verschiedenen Abteilungen blockiert werden können sowie eine strukturelle und geographische Isolation vom Entscheidungszentrum des Ressorts in Berlin. Vergleicht man dies beispielsweise mit der Situation in den US-Streitkräften, wo Diversity Management im Pentagon mit dem Äquivalent eines Staatssekretärs vertreten ist oder bei der Siemens AG, wo mit Janina Kugler ein Chief Diversity Officer in den Vorstand berufen wurde, so hat die Bundeswehr in Bezug auf ein adäquates Diversity Management noch vieles aufzuholen.

Problematisch darüber hinaus ist der Umstand, dass es bereits zu viele Stellen gibt, die Teilbereiche eines Diversity Management bearbeiten. Allein im BMVg sind die Abteilungen Personal, Führung Streitkräfte (mit dem fachlich unterstellten Zentrum Innere Führung) als auch Politik (mit dem Referat Bundeswehr und Gesellschaft) mit dem Thema befasst. Dazu kommen noch weitere Gremien und Stellen innerhalb und außerhalb des Ministeriums. Darüber stehen schließlich die Gleichstellungsbeauftragten, die mit einem Einzelaspekt des Diversity Management ein direktes Vorspracherecht bei der Leitung besitzen.

Die Angehörigen der neugeschaffenen Stabsstelle werden so vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt. Diversity Management ist gedacht als Koordinierungsinstrument, das alle zugehörigen Anstrengungen und Maßnahmen zusammenführt. Dafür braucht es aber die direkte Aufmerksamkeit der Leitung und die Möglichkeit, sich mit anderen relevanten Akteuren auf Augenhöhe abzusprechen.

Diversity spart Blut

Was offenbar fehlt, ist ein Bewusstsein nicht nur für die politische Bedeutung des Themas. Denn abgesehen vom Applaus des linken CDU-Flügels, der Grünen und Teilen der SPD, hat Vielfalt für die Bundeswehr einen tatsächlichen Mehrwert.

Zunächst kann sich die Bundeswehr mit einer größeren gesellschaftlichen Öffnung zukunftsfest machen. Der schon erwähnte demographische Wandel zwingt die Personalplaner dazu, sich mit neuen Bewerberkreisen zu befassen. Der Anteil der Muslime in der Bundeswehr bleibt beispielsweise deutlich unterproportional zur Gesamtbevölkerung, während der Anteil der Spätaussiedler überproportional ist.

In dem Zusammenhang muss auch die Frage nach den Militärimamen gestellt werden. Die bisherige Argumentation gegen deren Implementierung läuft entlang der Linie, dass zum einen die vorgeschriebene Zahl von 1.500 Gläubigen nicht erreicht werde, die eine eigene religiöse Betreuung rechtfertige.1 Zum anderen gebe es keine zentrale muslimische Organisation, wie bei den christlichen Kirchen, die einen Staatsvertrag möglich mache.

Beiden Argumenten fehlt die Vorstellungskraft, dass man Infrastruktur auch schaffen könnte, um eine Gruppe einzuladen und für sich zu gewinnen. Dazu könnte man ähnlich dem niederländischen Modell auch erst einmal nur muslimische Berater einstellen. Es wäre ebenfalls denkbar, muslimischen Soldatinnen das Kopftuch zu erlauben. Eine weitere einfach zu realisierende Maßnahme wäre, überhaupt den Dialog mit muslimischen Gemeinden zu führen und muslimische Soldaten als Botschafter in die Moscheen zu schicken.

Vielfalt hat aber einen Wert über die Politik und den Personalbedarf hinaus. Studien haben mehrfach aufgezeigt, dass heterogene Gruppen bessere Ergebnisse als homogene Gruppen erarbeiten können. Diversity füllt also nicht nur die Reihen auf, sondern kann die Einheiten auch noch besser machen, vielleicht sogar in kritischen Situationen Leben retten. Das haben andere Streitkräfte erkannt, und das hat auch die deutsche Wirtschaft längst verinnerlicht.

Aus den Konzernen stammt auch die Einsicht, dass globales Handeln globales Denken erfordert. Minderheiten bringen einen anderen Blick auf Probleme mit als der Durchschnittssoldat. Dazu kommen kulturelles Verständnis und Sprachkenntnisse, die in vielen Bereichen einer global operierenden Streitkraft benötigt werden. Dass etwa Steinhaufen in Afghanistan nicht immer ein Minenfeld markieren, sondern auch vor entgegenkommendem Verkehr warnen können, wusste der eine oder andere deutsch-afghanische Soldat schon vorher.

Diese teilweise bereits vorhandenen Fähigkeiten müssen jedoch nutzbar gemacht werden. Denn relevante Daten werden bisweilen entweder nicht einheitlich oder gänzlich nicht erhoben. So hat beispielsweise die Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der Flüchtlingshilfe gezeigt, dass arabischsprachige Soldaten und Soldatinnen größtenteils nicht systematisch identifiziert werden konnten, sondern durch die Leiter der Einrichtungen mühsam gesucht werden mussten. Das lässt umgekehrt auch Rückschlüsse zu, inwieweit gezielt kundiges Personal für Auslandseinsätze identifiziert wird.

Schließlich muss sich die Bundeswehr an ihrem Anspruch messen lassen, Spiegel der Gesellschaft sein zu wollen. Das ist ein hehres Ziel, denn es besagt, dass die Bundeswehr kein volksferner Apparat des Systems, sondern ein Zusammenschluss von Bürgern für die Sicherheit aller sein soll. Damit ist aber nicht Westdeutschland vor 30 Jahren gemeint. Wenn die Bundeswehr für alle sein will, muss sie sich auch für Deutschland 2016 öffnen: Für Migranten, für Frauen, für Homosexuelle und vielleicht auch für Flüchtlinge.

Kernkompetenz Integration

Die Bundeswehr hat es im Gegensatz zu unzähligen teuren Projekten und Maßnahmen vermocht, vielen neuen Deutschen ein Gefühl der Heimat und des Dazugehörens zu vermitteln. Denn ein guter Integrationsmotor ist die Bundeswehr schon lange. Von den ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee zu den tausenden deutschen Soldaten mit Migrationshintergrund heute hat das militärische Ideal des Staatsbürgers in Uniform schon viele zu europäischen Demokraten erzogen. Dabei wirkt das einfache und alte, aber stets erfolgreiche Prinzip der Kameradschaft. Das könnte auch für die Integration der Flüchtlinge eine gute Möglichkeit sein.

Davor steht allerdings die Frage der Staatsbürgerschaft. Nach wie vor kann Soldat nur werden, wer den deutschen Pass besitzt. Daran verzweifeln noch viele Migranten, die gerne ihrer neuen Heimat einen Dienst erweisen würden. Andere Nationen haben dieses Thema pragmatischer gelöst. Ein politischer Kompromiss scheint aber noch in weiter Ferne. Mit dem reformierten Staatsbürgerschaftsgesetz von 1999 kann die Bundeswehr wenigstens für die Kinder der Geflüchteten eine Option sein. Dort können dann auch sie den Integrationsmotor Bundeswehr erleben.

Im Einsatz wie im Heimatbetrieb leisten deutsche Soldaten beachtliches und interessieren sich dabei nicht für Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft ihrer Kameraden. Das ist eine große gesellschaftliche Leistung der Bundeswehr. Diese Kompetenz der Integration verschiedenster Menschen zu einer Truppe kann man nicht beschädigen. Aber man sollte sie um einen strategischen Überbau, der die vielen Talente und Fähigkeiten nutzbar macht, ergänzen.

Einen ersten kleinen Schritt hat Ursula von der Leyen dazu nun unternommen. Es bleibt zwar noch einiges zu tun, doch langsam scheint sich ein neues Verständnis vom Wert und Potential der Vielfalt in der Bundeswehr breit zu machen.

Dr. Dominik Wullers ist Vorsitzender des Vereins Deutscher.Soldat. e.V., welcher sich seit 2011 für Vielfalt und Integration einsetzt. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

1 Diese Zahl orientiert sich an Artikel 3 des Militärseelsorgevertrags zwischen der Bundeswehr und der Evangelischen Kirche in Deutschland, welcher je 1.500 evangelischen Soldaten in den Streitkräften die Berufung jeweils eines Militärgeistlichen vorsieht.

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/3

 

Working Paper topic: 
Bundeswehr
Civil-Military Relations
Region: 
Germany
Tags: 
Bundeswehr
Zivil-Militärische Beziehungen
Germany