Arbeitspapiere

Deutsch-amerikanische Beziehungen unter neuen Vorzeichen

2/2015
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Im Februar 2015 organisierte die Bundesakademie für Sicherheitspolitik zusammen mit der amerikanischen National Defense University einen deutsch-amerikanischen Roundtable zur Sicherheitspolitik in Berlin. Deutsche und amerikanische Regierungsvertreter, Diplomaten, Militärs und Experten debattierten aktuelle Aspekte der transatlantischen Sicherheitspolitik – insbesondere mit Blick auf die Russland-Ukraine-Krise und die Entwicklungen in der arabischen Welt. Fünf Punkte kennzeichneten die Diskussion.

1. Der Stand der transatlantischen Beziehungen

Das Verhältnis von Europa und USA und insbesondere die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind ständigen Schwankungen unterworfen. Einen latenten Antiamerikanismus hat es in Deutschland – auch im bürgerlichen Spektrum – seit jeher gegeben. Seit der Irak-Krise pendelt das Ansehen der USA in Deutschland auf niedrigem Niveau, wobei die NSA-Affäre der amerikanischen Reputation nochmals erheblichen Schaden zugefügt hat. Allerdings wird das amerikanische Grundprinzip des „liberalen Interventionismus“ und der eigenen Sonderstellung (exceptionalism) stets auf europäische Kritik stoßen. Eine grundlegende positive Wahrnehmung amerikanischer Macht ist deshalb kaum zu erwarten. Hinzu kommt, dass eine Supermacht (und Vormacht in der Nordatlantischen Allianz) stets mit dem Dilemma leben muss: „dammed if they do and damned if they don't.“

Umgekehrt ist der amerikanische Blick auf Europa ebenfalls nicht ohne Misstrauen. Europa wird insgesamt als „träger“ und mit sich selbst beschäftigter Kontinent wahrgenommen. Die Forderung nach mehr Lastenteilung hat sich von einem lang gehegten Ritual zu einer ernst zu nehmenden Klage entwickelt. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Russland/Ukraine Krise einen positiven Effekt auf den transatlantischen Zusammenhalt haben wird. Moskaus aggressives Gebaren gegenüber seinen Nachbarn ist keine Momentaufnahme sondern deutet auf einen grundlegenden Bruch entlang einer Ost-West-Linie hin. Folglich wird das europäische Interesse an Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit – und damit an den Bündnisverpflichtungen der USA – wieder zunehmen. Die bemerkenswerte Geschlossenheit in NATO und USA in der Russland/Ukraine Krise deutet in diese Richtung. Allerdings ist dies eine eher negative Begründung der transatlantischen Solidarität – es mangelt an einem positiv besetzten, gemeinsamen Projekt.

2. Die Politik der USA

Nach Ansicht einiger Teilnehmer war die amerikanische Politik gegenüber Europa unter Präsident Obama vor allem von zwei Tendenzen gekennzeichnet: Erstens, von einemschrittweisen Rückzug aus der internationalen Verantwortung, der gerade angesichts des aktuellen Drucks auf die internationale Ordnung westlicher Prägung problematisch ist. Die zögerliche Politik gegenüber Russland, der Verzicht auf Waffenlieferungen an die Ukraine, das „leading from behind“ in Libyen oder die missachtete „rote Linie“ in Syrien seien hierfür ein Beispiel. Zweitens habe Washington die Konsequenzen seiner Geheimdienst- und Abhörpolitik dramatisch unterschätzt und damit sich selbst geschadet. Dem Eindruck eines schwindenden Interesses an Europa ist damit weiter Nahrung gegeben worden. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass Waffenlieferungen derzeit keine überzeugende Lösung im Ukraine-Konflikt darstellen – vor allem nicht kurzfristig. Auch hat Außenminister Kerry bis lang 25 Reisen in den Nahen und Mittleren Osten absolviert, was nicht auf einen Rückzug aus der internationalen Verantwortung schließen lässt. Darüber hinaus haben die USA mehrfach erfahren müssen, wie schwer es ist, die Verbündeten hinter sich zu bekommen, wenn sie Führung übernommen haben.

Unklar ist, ob das verminderte internationale Engagement der USA (wenn es denn gegeben sein sollte) lediglich Politik der Obama-Administration ist, oder auf einen grundlegenden Politikwandel hindeutet.

Bemerkenswert ist die unterschiedliche Wahrnehmung des „pivot to Asia“. Während Europäer darin eine Abkehr der USA von Europa sehen, ist aus Washingtons Perspektive das stärkere amerikanische Engagement in Asien auch in europäischem Interesse. Amerika stabilisiert eine für Europa wichtige Region, in der nur wenige Europäer direkt agieren können. Im Gegenzug erwarten die USA von den Europäern mehr Entlastung in deren unmittelbarer Nachbarschaft.

3. Die Politik der Bundesregierung

Deutschland hat dem Anfang 2014 gegebenen Versprechen eines größeren internationalen Engagements Taten folgen lassen. In der Ukraine-Krise hat die Bundesregierung ebenso die Führung übernommen wie in der Euro-Krise. Mit Waffenlieferungen an nicht-staatliche Akteure in einem Kriegsgebiet hat sie eine weitere Schwelle zu einer größeren außenpolitischen Rolle überschritten. Umfragen, die zeigen, dass die Öffentlichkeit nach wie vor ein aktiveres internationales Agieren Deutschland ablehnt, werden von der Regierung wohlwollend ignoriert. Allerdings weiß Deutschland um die Sensibilitäten seiner Nachbarn und agiert in der Führungsrolle sehr behutsam.

4. Außenpolitische Game-Changer

Mit seinem Vorgehen in der Ukraine definiert sich Russland selbst als anti-westliche und expansive Macht und bedroht damit die europäische Friedensordnung. Die Entwicklungen in MENA (Middle East and Northern Africa) deuten auf eine jahrelange Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang hin – auch der Dreißigjährige Krieg ist erst zu Ende gegangen, als alle Konfliktparteien ihre Ressourcen vollständig aufgebraucht hatten. Beide Entwicklungen verändern transatlantische Sicherheitspolitik fundamental – vermutlich ähnlich durchgreifend wie es der 11. September getan hat. Lange Zeit nahezu obsolete Begriffe wie Landesverteidigung oder Abschreckung gelangen wieder in den Vordergrund. Angesichts solcher Veränderungen muss gerade der deutschen Öffentlichkeit verdeutlicht werden, dass Stabilität, Sicherheit und Prosperität nicht der historische Normalfall ist, sondern nur durch Anstrengungen erreicht werden können. Umgekehrt müssen die USA erkennen, dass Europa ein sehr verflochtenes Gebilde ist, das nur mit geduldiger Diplomatie beherrscht werden kann: „Europe reminds the US that the world is complicated and the US reminds the Europeans that the world is dangerous.“

5. Was ist zu tun?

Aus der Debatte lassen sich eine Reihe von Vorschlägen und Überlegungen ableiten:

  • Wenig revolutionär aber schlichtweg vernünftig ist die Option, Kurs zu halten. Angriffe auf die liberale Weltordnung sind nicht entschuldbar und das aggressive Handeln Russlands ist nicht relativierbar

  • Ebenso wenig neu aber im Tagesgeschäft nicht immer realisiert ist die Forderung, im transatlantischen Rahmen getroffene Beschlüsse auch umzusetzen. Das bedeutet auch, dass finanzielle Zusagen eingehalten werden müssen.

  • Transatlantischer Zusammenhalt als Konstante deutscher Politik sollte auch im Weißbuch seinen Niederschlag finden. Frankreich hat Repräsentanten verbündeter Nationen unmittelbar in seinen Weißbuchprozess eingebunden: deutsche Offiziere saßen in den ministeriellen Gremien in Paris. Diesem Modell könnte auch das Bundesministerium der Verteidigung folgen – über den gelegentlichen Auftritt ausländischer Experten in Weißbuch-Konferenzen hinaus.

  • Meist wird gefordert, es müsse neben akademischen Konferenzen mehr „strukturierten Dialog“ geben. Allerdings ist das Netz regelmäßiger Gesprächskontakte zwischen Regierungsinstitutionen auf beiden Seiten des Atlantiks schon überaus eng. Kabinettsgespräche, wie sie Deutschland mit Frankreich oder China praktiziert, sind mit den USA vermutlich nur schwer zu realisieren.

  • Umso wichtiger sind parlamentarische Kontakte – hier muss deutlich mehr getan werden. Allerdings sind diese nur erfolgreich, wenn von beiden Seiten erfahrene und kompetente Persönlichkeiten mit den Kontakten betraut werden. Inhaltlich sollten sich solche Treffen gerade mit den Frage der globalen Lastenteilung (der „global commons“) befassen.

  • Für die internationale Stabilität noch wichtiger als die Russlandkrise ist vermutlich die Frage, welche Wahl China für seine Zukunft trifft. Hier gibt es Nachholbedarf auf bei- den Seiten: Die USA haben ihrer Ankündigung des „pivot“ bislang nur wenig Taten folgen lassen und Deutschland ignoriert dieses Problem weitgehend.

Ungeachtet dieser Forderungen dürfen die Realitäten im deutsch-amerikanischen Verhältnis nicht außer Acht gelassen werden. Nostalgisch an die große Zahl in Deutschland stationierter amerikanischer Soldaten zu erinnern oder auf die Deutsche Einheit zu verweisen reicht nicht mehr, um das transatlantische Element in den Gesellschaften festigen können. Ein großes, positives transatlantisches Projekt ist nicht in Sicht. Stattdessen gibt es notwendige aber umstrittene Vorhaben wie TTIP oder eine sich abzeichnende Gegnerschaft zu Russland als verbindendes Element. Da die Zahl der „Transatlantiker des Herzens“ zwangsläufig abnehmen wird, müssen zumindest die „Transatlantiker der Vernunft“ erhalten bleiben.

Dr. Karl-Heinz Kamp ist Direktor Weiterentwicklung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 2/2015 | Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik Seite 1/3

 

Working Paper topic: 
Transatlantic Relations
Region: 
Germany
United States
Tags: 
Transatlantische Beziehungen
USA
Germany