Mit dem Klimaabkommen von Paris vom Dezember 2015 ist die „Klimaneutralität“ das einvernehmliche Ziel der Staatengemeinschaft. Derzeit gehen die meisten Staaten in die Umsetzung, wobei „Umsetzung“ insbesondere Industriepolitik bedeutet. Gerade die USA und die Mitgliedstaaten der EU müssen dabei technologisch vorangehen – auch um die Chancen zu nutzen, die im neuen Zeitalter liegen. Auf Bundesebene in Deutschland wurde das Ziel, Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen, mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) in Paragraph 1 festgeschrieben. Im Klimaschutzplan 2050 ist das mit dem Ziel verbundene Budget auf „Sektoren“ heruntergebrochen worden. Die Bundesebene hat sich darüber hinaus als Selbstverpflichtung eine Vorreiterrolle in Paragraph 15 des KSG auferlegt: die „klimaneutrale Bundesverwaltung“ bis 2030.
Diese Verpflichtung schließt jedoch die Streitkräfte aus. Zur Bundesverwaltung zählen allein die zivilen Teile in der Ressortverantwortung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg). Die im Klimaschutzgesetz verkündete „Vorbildfunktion der Öffentlichen Hand“ ist seitens des BMVg bis 2023 zu erreichen. Die Streitkräfte hingegen bleiben eine Leerstelle; für sie existiert bislang kein Klimaziel. Doch sollte die Bundeswehr nicht ausgeklammert bleiben – vielmehr gibt es gute Gründe, sie auf dem Weg zur Klimaneutralität vorangehen zu lassen. Ein aktives Vorangehen stünde modernen Streitkräften als eine den Interessen des Gemeinwesens verpflichtete und technologisch auf der Höhe der Zeit operierende Institution gut zu Gesicht. Die Pionierrolle ist darüber hinaus technologisch attraktiv – wegen des spillovers mit dem zivil benachbarten Bereich, der Luftfahrt. Ohne Klimaziel hingegen drohen die Streitkräfte industriepolitisch abgehängt zu werden.
Dass die Streitkräfte beim großen Klimapolitik-Aufbruch in Deutschland nach der Europawahl im Mai 2019 unadressiert geblieben sind, dürfte diversen Motiven geschuldet sein. So wird den Streitkräften aufgrund ihres Verfassungsauftrags eine besondere Rolle zugesprochen, weil sie unentbehrlich für die äußere Sicherheit sind – eine Kernaufgabe aller Staatlichkeit. Manche befürchten, das Ziel der Klimaneutralität beeinträchtige die Wirksamkeit von Streitkräften. Zudem besteht die Sorge, dass der technologische Wandel zur Klimaneutralität viel zusätzliches Geld kosten werde, was in Konkurrenz stehe zu den großen Modernisierungsbedarfen, welche die Bundeswehr ohnehin hat. Vermutlich aus solcherart Motiven haben sich die Streitkräfte nicht danach gedrängt, in der Klimapolitik berücksichtigt zu werden. Ferner wird womöglich auch nicht allen Abgeordneten des Bundestages bewusst gewesen sein, dass mit der Begrenzung auf „Verwaltung“ ein großer Teil der Emissionen des Bundes beim Ziel der Klimaneutralität ausgespart wurde. Es ist somit nachvollziehbar, dass ein als aufwendig, kostenintensiv und womöglich risikoreich gesehener Wechsel zu entsprechender Technologie für die Streitkräfte nur mit spitzen Fingern angefasst wurde.
Der Stand seitens USA und NATO
Die Bundeswehr wird sich auf einer Position des „Es ist noch einmal gutgegangen“ aber schwerlich ausruhen können – und auch nicht wollen. Klimaneutralität wird nur mit einer ebenso gesamtstaatlichen wie internationalen industriellen Anstrengung gelingen, der sich die Streitkräfte klugerweise nicht entziehen werden. Selbst taktisch gilt: Spätestens wenn von Seiten der USA und seitens der NATO Bewegung kommt, haben die Streitkräfte in Deutschland sich ihrerseits zu bewegen.
Die neu ins Amt gekommene Biden-Administration hat für die USA das Ziel „Klimaneutralität“ gesetzt. Der von den Demokraten wieder in den Kongress eingebrachte Climate Crisis Action Plan1 enthält einen Building Block: Harness the Power of the Military for Net-Zero and Resilient Energy Installations. Er verweist überdies auf den von der demokratischen Abgeordneten Veronica Escobar aus Texas eingebrachten Gesetzentwurf Department of Defense Climate Resiliency and Readiness Act (H.R. 2759), nach dem das Pentagon „net-zero energy“ für „military installations“ bereits 2030 erreichen solle. Für „Military Fuels and Products“ wird für Herstellung via CO2-Abscheidung und -speicherung plädiert. Aus Glaubwürdigkeitsgründen, so ist zu erwarten, wird die US-Regierung das „net-zero“-Ziel auch für die US-Streitkräfte postulieren – 77 Prozent des Energieverbrauchs auf US-Bundesebene stehen nämlich in der Verantwortung des Washingtoner Verteidigungsministeriums. Dass wie in Deutschland bislang kein Hahn nach der Klima-Verpflichtung der Streitkräfte kräht, ist in den USA ausgeschlossen, nachdem die Biden-Konkurrentin Elizabeth Warren das Thema für die Streitkräfte im Wahlkampf hochgezogen hatte. Der Klima-Sondergesandte der Biden-Administration in Washington, John Kerry, wird sich diese Chance, auch das Militär auf Klimaneutralität zu verpflichten, nicht entgehen lassen.
Auf NATO-Ebene ist man schon weiter. Generalsekretär Stoltenberg hat am 28. September 2020 dazu aufgerufen: „Countries around the world are setting in law the ambition to reach net zero carbon emissions by 2050. I believe it is time to explore how NATO and our armed forces can contribute to this goal. [...] The next step could be to consider voluntary targets for Allies to progressively cut those emissions“.2 Bei seinem Auftritt beim Leaders Summit on Climate am 22. April 2021 hat er zu Ähnlichem aufgerufen.
In Deutschland hat die Fraktion der Grünen im Bundestag das in der Luft Liegende bereits früh aufgegriffen – allerdings in einer Weise, die ihrem eigentlichen Anspruch nicht gerecht wird. In einem Entschließungsantrag vom 3. Juli 20203 hat sie nicht klar für das Ziel „klimagerechte Streitkräfte bis spätestens 2050“ plädiert, sondern lediglich für einen Prozess des Wandels, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ausgerechnet die Grünen haben sich somit in ihren ersten Anlauf zu einer Position bekannt, die besagt: Alle Sektoren in Deutschland müssen bis spätestens 2050 klimagerecht sein – nur beim Militär machen wir eine Ausnahme. Die Pionierrolle unter den politischen Parteien für ein ambitioniertes Konzept von Klimaneutralität für die deutschen Streitkräfte bis spätestens 2050 ist somit noch unbesetzt.
Zwei Schwerpunkte militärischer Treibhausgasemissionen – was priorisieren?
Der Stoltenberg-Appell von September 2020 wird mit den USA abgestimmt sein. Auf ihn haben die NATO-Partner nun substantiell zu reagieren. Das gilt auch für die deutschen Streitkräfte. Voraussetzung dafür ist eine Vorstellung von der Verteilung der Treibhausgasemissionen der Streitkräfte auf ihre Tätigkeiten. Zu unterscheiden ist zwischen einerseits der militärischen Mobilität, wie sie Ausbildung, Übung und Einsatz von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen erfordern, sowie andererseits der Infrastruktur, die den Betrieb von Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen umfasst und nicht an sich sonderlich militärspezifisch ist. Der CO2-Ausstoß der Bundeswehr lag im Jahre 2019 bei 1,45 Millionen Tonnen. Zur Einordnung: Das ist etwa ein Hundertstel der CO2-Emissionen des Verkehrs in Deutschland. Es geht bei den Emissionen der deutschen Streitkräfte gegenwärtig also nicht um quantitativ Erhebliches. Auf den Bedarf für den Betrieb von Infrastrukturen entfallen dabei 0,82 Millionen Tonnen CO2 und auf militärische Mobilität 0,63 Millionen Tonnen. Das Verhältnis ist somit in etwa 55 zu 45. Aber wohlgemerkt: Der Energieverbrauch bei Auslandseinsätzen ist hier nicht zugerechnet.
Angesichts solcher Zahlen gibt es hinsichtlich der Priorisierung ein verbreitetes Narrativ. Es lautet: Lasst uns bei dem größeren Teil beginnen. Das sei (ökonomisch) effizient. Hinzu kommt, dass die Infrastrukturemissionen zu etwa 30 Prozent aus selbstproduzierter oder gar bezogener Elektrizität stammen. Da kann man durch Veränderung von Bezugsquellen leicht erhebliche statistische Effekte erzielen, womit die Bundeswehr auch begonnen hat. Schließen wir solche Ansätze aus, zeigt der Blick auf die verbliebenen 70 Prozent der Infrastrukturemissionen, dass diese aus den Liegenschaften stammen und sich auf bewährten Wegen wie Gebäudesanierung und effizienteren zivil-militärischen Fahrzeugen und Anlagen leicht reduzieren lassen würden. Tatsächlich steckt das größte Sanierungspotential für Gebäude des Bundes in den Bauten der deutschen Streitkräfte. Das sind die berühmten „low hanging fruits“, die man dem Narrativ zufolge erst einmal ernten solle, bevor man sich an Felder heranmache, wo es systemisch „disruptiv“ zugehen müsse. Die entscheidende Herausforderung ist aber der Energiebedarf für die militärspezifische Mobilität. Kriterium für die Priorisierung sollte der Schwierigkeitsgrad und damit der erforderliche zeitliche Vorlauf sein, der benötigt wird, um dem betreffenden Sektor die technologische Option zur Klimaneutralität zu eröffnen. Die Priorisierung sollte auch nicht ins „Entweder-Oder“-Schema verfallen. Den Infrastrukturbedarf parallel anzugehen, ist leicht machbar – und auch lohnend. Dabei darf der Reformbedarf bei der militärischen Mobilität aber nicht unter den Tisch fallen.
Implikationen der CO2-Neutralität bei militärischer Mobilität
Für die Deckung des Energiebedarfs von Streitkräften im Einsatz, überwiegend zur Bewegung und Eigenstromerzeugung im Feld, gibt es einen etablierten Kraftstoff, und der ist im Bündnis normiert. Es gilt die NATO Single Fuel Policy. In diesem Rahmen ist die Bundeswehr verpflichtet, Standard-Kraftstoff bislang fossiler Herkunft zu verwenden. Das Ziel CO2-Neutralität bei militärischer Mobilität hängt somit von einem Reformprozess innerhalb der NATO ab – zu einem solchen aber hat der Generalsekretär ja eingeladen.
Es braucht einen neu konzipierten Einheitskraftstoff – wobei das Einheitliche sich auf den NATO-übergreifenden Standard bezieht; nach Verwendungszwecken können die Treibstoffeigenschaften sehr wohl unterschiedlich, das heißt für Fahrzeuge zu Luft, Wasser und Land differenziert sein. Mit dem wirtschaftlichen Siegeszug der Stromgewinnung aus Sonne und Wind bedeutet die Maßgabe „aus anderen als fossilen Quellen“ nach europäischem Verständnis E-Fuels – also Treibstoff, der aus durch Sonne und Wind gewonnener Elektrizität mittels Weiterverarbeitung entsteht. Die Triebwerke des Militärs haben komplementär zu sein zum neu konzipierten Einheitskraftstoff – sie haben uno actu in ihrer Auslegung angepasst zu werden. Vermutlich können sich die Streitkräfte ein Vorbild nehmen an dem, was für die zivile Luftfahrtbranche bereits mit hoher Intensität an E-Fuels und zugleich E-Fuels-Verträglichkeit der Fluggeräte sowie globaler E-Fuels-Logistik entwickelt wird. Das geschieht beispielsweise in der EU-Initiative Sustainable aviation fuels – ReFuelEU Aviation.4
Eine entscheidende Herausforderung besteht in der Logistik, der Produktion und der Bevorratung der neuen Familie von Endenergieträgern für militärische Zwecke. Die neue Basis ist Strom aus erneuerbaren Quellen. Diese werden zwar an erheblich vielfältigeren Orten verfügbar sein als die heutige Quelle, das Rohöl. Dann aber hat die Weiterverarbeitung zu folgen, im ersten Schritt zu Wasserstoff, im zweiten zu E-Fuels. Solche Umwandlungsanlagen stellen eine logistische Herausforderung dar. Sie wäre leichter zu bewältigen, wenn das Militär zivile Strukturen der Energiegewinnung mitnutzen könnte und wenn es gelingt, die Umwandlungstechnologie zu verbessern – gegenwärtig sind noch raffinerieartige Großanlagen nötig.
Der Ist-Stand an Ambitionen zur militärischen Mobilität in Deutschland
Die Bundeswehr steht zu dieser Herausforderung fachlich seit Mitte 2017 in den Startlöchern. Es wurde erkannt, dass es bei der Klimaneutralität der zukünftigen Energieträger für die Streitkräfte darum geht, anschlussfähig zu werden an die diesbezüglichen technologischen Entwicklungen vor allem im zivilen Sektor Verkehr. Im BMVg wurde ein Expertenkreis „Mobile Energiesysteme“ eingerichtet, in dem die Möglichkeiten und Auswirkungen neuer, vornehmlich ziviler Technologietrends für die künftige militärische Mobilität wissenschaftlich zusammengetragen, analysiert, bewertet und aufbereitet werden. Ergebnisse zu etlichen Themenfeldern, darunter „Integrale energetische Systemarchitektur“, „Synthetische Kraftstoffe“ und „Energiespeicher“, wurden im Juni 2019 im Bericht „Entwicklungen im Bereich der Energieträger für mobile Systeme“ vorgestellt. Neben dem Expertenkreis „Mobile Energiesysteme“ wurde auch einer für „Stationäre Energiesysteme“ eingerichtet. Dach für beides ist der im Juli 2017 im Rahmen der „Strategischen Steuerung Industriedialog“ des BMVg konstituierte Gesprächskreis5 „Nachhaltige innovative Energiesysteme“. Darin vertreten sind Experten aus Forschung, Verteidigungsindustrie und Bundeswehr, die sich mit dem Themenverbund Klima-, Nachhaltigkeits- und Energiepolitik befassen. Man kam trotz der guten Aufstellung überein, nicht als militärischer Partner in Führung gehen zu wollen, weil man auf die zivile Seite warten wollte.
Fazit
Die Forderung, dass auch die Streitkräfte sich dem Ziel verpflichten, klimaneutral zu werden, wird unausweichlich kommen. Die NATO hat es bereits gesagt; aus den USA ist es alsbald zu erwarten. Die Zeit drängt. Mit der Selbstverpflichtung, dass die „Bundesverwaltung“ bis 2030 klimaneutral werde, ist das Wehrressort asymmetrisch abgedeckt worden. Das Ministerium hat 2023 Vollzug zu melden, die Bundeswehr ist von dieser Forderung hingegen noch völlig unberührt geblieben. Doch diese Einseitigkeit ist nicht zukunftsfähig. Prioritär sollte dabei die militärspezifische Mobilität in den Blick genommen werden. Mit 0,63 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr von insgesamt 1,45 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr machen die Mobilitätsemissionen zwar nur etwas weniger als die Hälfte der Emissionen der Bundeswehr aus. Doch ortsfeste Infrastrukturen im Heimatland mit energieeffizienteren Gebäuden auszustatten und mit anderen Endenergieträgern zu heizen, ist eine weit weniger anspruchsvolle Aufgabe, als Bodenfahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe klimaneutral und einsatzbereit zu machen. Klimaneutrale militärische Mobilität erfordert den Abschied vom bisherigen Ensemble von Einheitskraftstoffen der NATO. Zu ersetzen sind sie durch Endenergieträger, die via Elektrizität aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden. Das kann prinzipiell Wasserstoff direkt sein, das werden praktisch hergestellte E-Fuels sein. Letztlich erfordert dies eine erheblich veränderte Logistik – was aber vereinfacht wird, da die zivile Luftfahrt denselben Weg zu gehen hat. Letztere ist unter Leitung der EU sowie durch nationale Förderprogramme bereits im Aufbruch. Das Militär sollte schleunigst Kooperationspartner werden, um nicht technologisch abgehängt zu werden. Ein solches Kooperationsprojekt wäre für die Luftfahrtindustrie in Deutschland ihrerseits von hoher Attraktivität. Angesichts des fortgeschrittenen Standes der BMVg-internen Vorbereitung läge es nahe, wenn die Leitung des Hauses alsbald das Signal in den politischen Raum gibt: Wir wollen, dass auch unsere Streitkräfte klimaneutral werden – und bitten dafür um ein Mandat in der Koalitionsvereinbarung für die 20. Legislaturperiode.
Dr. Hans-Jochen Luhmann war Chefökonom eines Ingenieurunternehmens und ist beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
1 House Select Committee on the Climate Crisis, Solving the climate crisis, Majority Staff Report [online].
2 Secretary General of NATO, NATO and the security implications of climate change [online].
3 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/20787 [online].
4 Europäische Kommission, Nachhaltige Flugzeugtreibstoffe – ReFuelEU Aviation [online].
5 BMVg, Nachhaltigkeitsbericht 2020 des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr – Berichtszeitraum 2018-2019 [online].