Die Vorteile, die sich für Deutschland ergäben, wenn es seine kleine Flotte der für den Nukleareinsatz zertifizierten Tornado-Jagdbomber ausmustern und nicht ersetzen würde, liegen auf der Hand: Der deutsche Verteidigungshaushalt würde zunächst Geld sparen. Und ein politisches Reizthema würde angesichts der breiten öffentlichen Ablehnung von Atomwaffen entfallen. Aber um welchen Preis? Ein Ausstieg würde vor allem auf vier Feldern Folgen haben: der nuklearen Abschreckung der NATO, der Rüstungskontrollstrategie der NATO, dem nuklearen Konsultationsprozess der NATO und dem Ansehen der Bundesrepublik. Zudem ist noch ein besonderer Risikofaktor absehbar, mit noch größeren Belastungen für die nukleare Abschreckung der NATO und die europäische Sicherheit. Dem sollten wir uns zuerst zuwenden.
Das große Risiko einer deutschen Entscheidung, aus der nuklearen Abschreckungspolitik der NATO auszusteigen, besteht darin, dass andere dem deutschen Beispiel folgen könnten, was den Zusammenbruch der NATO-Vereinbarungen zur Nuklearen Teilhabe und somit schwerwiegende Auswirkungen für die europäische Sicherheit zur Folge hätte. Diese Vereinbarungen wurden in den 1960er Jahren getroffen, um eine nukleare Lastenteilung zu erreichen, kollektive Entschlossenheit zu signalisieren, eine wirksame politische Kontrolle zu gewährleisten und die weitere Verbreitung von Kernwaffen in Europa zu unterbinden. Die Vereinbarungen bieten den Rahmen für die Aufnahme von US-Nuklearwaffen, den Besitz und den Betrieb von Flugzeugen, die diese Waffen einsetzen können, und/oder das Mitwirken an Vorbereitungen für deren Einsatz. Derzeit betreiben sechs Staaten Kampfflugzeuge, die zum Einsatz von US-Nuklearwaffen zertifiziert sind. Für die meisten ist diese Aufgabe eine innenpolitische Belastung. In einigen Ländern sind die politischen Koalitionen, die sich für den Fortbestand der Nuklearen Teilhabe aussprechen, sehr fragil. Durch eine einseitige deutsche Entscheidung, sich aus der Nuklearen Teilhabe zurückzuziehen, könnte das Gleichgewicht der Debatte in diesen Ländern zugunsten eines Ausstiegs kippen. Hätten die wenigen verbliebenen Unterstützer der Nuklearen Teilhabe dann noch die politische Durchhaltefähigkeit? Dies ist höchst unwahrscheinlich. Dass die wenigen verbleibenden nuklearen Teilhabestaaten dann den politischen Willen aufbrächten, weiterhin daran festzuhalten, ist äußerst unwahrscheinlich.
Dieses Risiko eines Ausstiegs ist ebenso plausibel wie erheblich. Die Unterstützer des Atomwaffenverbotsvertrags haben einen enormen politischen Druck auf die Regierungen der Teilnehmerstaaten aufgebaut, damit diese ihre Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten beenden. Es ist denkbar, dass neue Nationen an die Stelle Deutschlands und der anderen Länder treten könnten, um einen Beitrag zur nuklearen Abschreckung des Bündnisses zu leisten. Aber die politischen Hürden für den Einstieg wären hoch. Am ehesten dazu bereit wären wohl die Länder, die an Russland angrenzen. Die Stationierung von US-Atomwaffen auf ihrem Hoheitsgebiet würde voraussetzen, dass die NATO ihre Zusicherung gegenüber Russland aus dem Jahr 1996 aufgäbe, als sie bekundet hat, weder die Absicht noch einen Plan noch einen Grund zu haben, Atomwaffen auf dem Territorium der neuen Mitgliedsstaaten zu stationieren ("the three no‘s”).
Folgen für die nukleare Abschreckung der NATO?
Wenden wir uns nun den Konsequenzen eines deutschen Beschlusses zum Ausstieg aus der Teilhabe zu. Die Folgen für die nukleare Abschreckung der NATO könnten erheblich sein. Auch wenn viele in Deutschland die US-Atomwaffen in Europa als „Relikte des Kalten Krieges“ betrachten, sehen die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten das anders. Im Strategischen Konzept der NATO von 2010, in der Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungskonzepts von 2012 und in regelmäßigen Gipfelkommuniqués, zuletzt im Juni 2021, haben diese gewählten und im gesamten politischen Spektrum beheimateten Staats- und Regierungschefs einstimmig bekräftigt, dass die nukleare Abschreckung als grundlegender Bestandteil des Abschreckungs- und Verteidigungskonzepts der NATO weiterhin unverzichtbar ist. Sie haben sich dazu verpflichtet, die Nuklearstreitkräfte nicht nur zu modernisieren, sondern die Abschreckung zu „stärken“ oder „auszubauen“ – als eine „zwingende Notwendigkeit“. Sie haben sich auch wiederholt dazu verpflichtet, eine möglichst breite Teilnahme der Bündnispartner an den Vereinbarungen zur nuklearen Lastenteilung sicherzustellen, um die Einheit und Entschlossenheit des Bündnisses zu demonstrieren. Diese Verpflichtungen wurden von einer regelmäßig wechselnden Riege gewählten politischen Führungspersonals über Jahrzehnte hinweg erneuert, was einen Grad an Einigkeit widerspiegelt, der im öffentlichen Diskurs oft unbemerkt bleibt.
Darüber hinaus wurde die NATO-Führung auch von der „Reflexionsgruppe“ (unter dem Co-Vorsitz des früheren deutschen Verteidigungsministers Thomas de Maizière) ermutigt, diesen Kurs fortzusetzen. Die Gruppe fordert das Bündnis in ihrem Bericht NATO 2030 dazu auf, die Vereinbarungen zur Nuklearen Teilhabe „neu zu beleben“. Dies folgt aus ihrer Einschätzung, dass die Vereinbarungen eine entscheidende Rolle für den Zusammenhalt der Allianz spielen und dass sie ein Hauptelement der Sicherheitsgarantien und der Unteilbarkeit von Sicherheit im gesamten euro-atlantischen Raum bleiben sollten. Der politische Wert dieser Verpflichtung sei ebenso wichtig wie der militärische.
Welche Logik liegt diesen Einschätzungen zugrunde? Die Vereinbarungen der NATO über die gemeinsame Nukleare Teilhabe tragen in zweierlei Hinsicht zur Abschreckungsstrategie der NATO bei. Sie sind ein Zeichen der politischen Entschlossenheit der Verbündeten angesichts nuklearer Bedrohungen und Angriffe zusammenzustehen, so dass jedem Feind klar ist, dass ein Angriff auf einen Bündnispartner von den NATO-Staaten als ein Angriff auf alle Mitgliedstaaten behandelt werden würde. Sie sind auch ein sichtbares Zeichen der Selbstverpflichtung der USA, sich für die Verteidigung Europas einzusetzen, und der politischen Entschlossenheit, die US-Abschreckungsfähigkeiten an Europa zu „koppeln“, selbst wenn dadurch die eigene Heimat zum möglichen Ziel eines Nuklearangriffs wird. Kritiker tun diese Logik als Kalter-Krieg-Denken ab. Tatsächlich hatte diese Denkweise nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Entspannung zwischen Russland und dem Westen unmittelbar bevorzustehen schien, für die NATO erheblich an Bedeutung verloren. In den 1990er Jahren wurden 97 Prozent der amerikanischen Atomwaffen aus Europa abgezogen. Sie gewann jedoch wieder an Bedeutung für das Bündnis, als Russland im Zeitraum von etwa 2007 bis 2012 begann, NATO-Mitglieder mit nuklear untermauerten Drohungen zu bedrängen. Nach Russlands gewaltsamer Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine nahm die Bedeutung der nuklearen Abschreckung für die NATO dramatisch zu. Die Kommuniqués der Gipfeltreffen in Warschau (2016) und Brüssel (2018) formulierten in besonders nachdrücklicher Weise die Erneuerung der Nuklearpolitik der NATO und führten Maßnahmen zur Steigerung des „nuklearen IQ der NATO“ ein, die das Verständnis für Entwicklungen und Risiken in der Nukleartechnologie und -strategie innerhalb des gesamten Bündnisses verbessern sollen.
Der deutsche Ausstieg aus der nuklearen Abschreckung der NATO würde zu einer erheblichen Verkleinerung der Flotte an Flugzeugen mit dualer Einsatzfähigkeit im Bündnis führen, da Deutschland nach den USA mehr Kampfflugzeuge für nukleare Einsätze der NATO beiträgt als jeder andere Bündnispartner. Ebenso bedeutend ist, dass ein deutscher Rückzug für Moskau die Schwächung der kollektiven nuklearen Entschlossenheit der Bündnispartner signalisieren würde – und dies zu einer Zeit, in der Russland diese Entschlossenheit aktiv auf die Probe stellt.
Darüber hinaus stünde ein Ausstieg im Widerspruch zur erklärten Selbstverpflichtung der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses, die Abschreckung zu stärken und die Nukleare Teilhabe auszuweiten. Der im Zuge eines deutschen Ausstieges drohende vollständige Kollaps der NATO-Vereinbarungen über die Nukleare Teilhabe wäre noch viel schädlicher, da er das Bündnis der Fähigkeit berauben würden, glaubhaft zu signalisieren, dass ein nuklearer Angriff auf einen Einzelnen als Angriff auf alle Bündnispartner behandelt werden würde; somit ginge dieses einzigartige Symbol der transatlantischen Solidarität verloren. Letztere ist in den vergangenen Jahren bereits auf verschiedene Weise beschädigt worden, sodass dieser neue Schlag unvorhergesehene Auswirkungen haben könnte.
Man könnte argumentieren, dass Deutschland die so verursachte Schwächung der nuklearen Abschreckung der NATO durch Investitionen in konventionelle Abschreckungsfähigkeiten kompensieren könnte. So könnte Deutschland zum Beispiel Stationierungsorte für NATO-Raketenabwehrsysteme anbieten oder fortgeschrittene konventionelle Raketensysteme entwickeln und/oder diese stationieren. Oder die Bundesrepublik könnte eine umfassende Erneuerung ihrer Streitkräfte insgesamt vornehmen. All diese Initiativen wären jedoch kostspielig und politisch umstritten. Deutschland würde einfach ein teures und umstrittenes Projekt gegen ein anderes eintauschen. Darüber hinaus hat die Führung der Allianz klar und oft erklärt, dass nichtnukleare Fähigkeiten eine Ergänzung, aber kein Ersatz für Atomwaffen seien.
Folgen für die Rüstungskontrolle
Auch die Folgen für die Rüstungskontrollstrategie der NATO könnten bei einem Ausstieg erheblich sein. Um es deutlich zu sagen: Die NATO ist kein offizieller Verhandlungspartner im Rahmen der nuklearen Rüstungskontrolle — das fällt in die Zuständigkeit der nuklear bewaffneten Staaten. Aber sie besitzt eine Rüstungskontrollstrategie, die sich im Strategischen Konzept und in den Gipfelkommuniqués widerspiegelt. Die NATO strebt eine weitere Reduzierung der Nuklearwaffen in Europa an, wobei sie die Asymmetrie der Streitkräfte der NATO und Russlands berücksichtigt (da das russische Arsenal an nichtstrategischen Nuklearwaffen als mindestens zehnmal größer als jenes der NATO eingeschätzt wird). Die NATO strebt auch eine größere Transparenz hinsichtlich der russischen Stationierung von Nuklearwaffen in der Region an sowie die Verlegung russischer Nuklearwaffen in eine größere Distanz zu den Hoheitsgebieten der Bündnismitglieder. Die russische Forderung nach einem einseitigen Abzug der US-Atomwaffen als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen weist die Allianz zurück. Somit kommt dem NATO-Atomwaffenarsenal unter anderem die Rolle als Verhandlungsmasse für zukünftige Verhandlungen zu. Ein deutscher Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe würde die Verhandlungsposition weiter schwächen. Und er würde Moskau in der Annahme bestärken, dass weitere Ausstiege zu einer besseren Ausgangslage Russlands führen könnten, ohne dass Moskau irgendwelche Zugeständnisse dafür machen müsste. Dies würde den Anreiz zu verhandeln verringern. Ein Zusammenbruch der nuklearen Abschreckung der NATO würde diesen Anreiz natürlich vollständig zunichtemachen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wird die Verhandlungsmasse der NATO entscheidend sein, wenn es darum geht, Moskaus Rüstungskontrollkalkül zu beeinflussen? Wahrscheinlich nicht. Ist sie für dieses Kalkül irrelevant? Nein. Erhöht sie die Aussichten auf eine erfolgreiche Rüstungskontrolle? Ja.
Auffallend ist, dass sich die Rüstungskontrollstrategie der NATO bisher nicht ausgezahlt hat. Viele argumentieren, dass ein neuer Ansatz notwendig sei. Dementsprechend wird zunehmend – und von Unterstützern des Atomwaffenverbotsvertrags vorangetrieben – darüber diskutiert, diese Strategie aufzugeben und zusätzliche unilaterale Schritte zu unternehmen. Nach der einseitigen 97-prozentigen Reduzierung seitens der NATO in den 1990er Jahren müsste der nächste logische einseitige Schritt für das Bündnis die Eliminierung der restlichen drei Prozent sein. Was sollten wir von Russland als Reaktion darauf erwarten? Die Befürworter des Atomwaffenverbotsvertrags argumentieren, dass ein Ende der auf Europa ausgeweiteten US-Abschreckung Druck auf Moskau ausüben und zu einer russischen Denuklearisierung führen würde. Das ist ein Irrglaube. Die russische Führung lässt sich von einem solchen Druckmittel nicht beeindrucken und hat Atomwaffen in den Mittelpunkt ihrer Strategie zur Neugestaltung einer europäischen Sicherheitsordnung gestellt, deren gegenwärtige Form sie entschieden ablehnt. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind bezeichnend. Wie hat Russland auf die 97-prozentige Reduzierung der Atomwaffen seitens der NATO und die three no’s reagiert? Es hat sein gegen Europa ausgerichtetes Waffenarsenal modernisiert, diversifiziert und aufgestockt, wobei es zuweilen seine vertraglichen Verpflichtungen verletzt hat. Es ist daher nicht überraschend, dass nur wenige NATO-Staaten, wenn überhaupt, einen unilateralen Ansatz unterstützen.
Wenn ein neuer Ansatz nötig ist, dann ist es nicht die einseitige Abrüstung durch die NATO. Tatsächlich ist nichts Neues erforderlich. Vielmehr ist Geduld gefragt. Es war unrealistisch, ein neues Rüstungskontrollabkommen zu erwarten, solange das bestehende in Kraft ist. Im Zuge der Aufnahme ernsthafter Gespräche zwischen Washington und Moskau über die Zeit nach dem verlängerten New-START-Abkommen wird die Rüstungskontrollstrategie der NATO endlich auf den Prüfstand gestellt werden. Da Rüstungskontrollverhandlungen in der Regel erst in letzter Minute gelingen, ist kaum zu erahnen, ob die Rüstungskontrollstrategie der NATO lange vor dem Auslaufen des verlängerten New-START-Abkommens im Jahr 2026 Früchte tragen wird. Es macht keinen Sinn, die Verhandlungen zu untergraben, indem man diese Kontrollstrategie schon zu Beginn der Gespräche aufgibt.
Folgen für den nuklearen Konsultationsprozess der NATO
Ein weiterer Preis eines deutschen Ausstiegs aus der Teilhabe wäre die Schwächung des nuklearen Konsultationsprozesses der NATO. Zweck dieses Prozesses ist die Gewährleistung einer soliden politischen Kontrolle über Entscheidungen darüber ob, wann und wie Atomwaffen zur Verteidigung der Bündnisinteressen eingesetzt werden. Er wurde in den 1960er Jahren nach einem Jahrzehnt intensiver Debatten erarbeitet, um zwei Sorgen zu begegnen. Zum einen wollten die USA sicherstellen, dass ihre nuklear bewaffneten Bündnispartner keine eskalierenden Schritte ergreifen, welche die USA in einer nuklearen Krise als nicht hilfreich erachteten. Die zweite Sorge war jene der europäischen Verbündeten, sicherzustellen, dass die USA Atomwaffen nur als letztes Mittel einsetzen, dies wenn erforderlich aber auch tatsächlich tun würden, und zwar so, dass ein Krieg schnell beendet und nicht ausgeweitet werden würde. Um die erforderliche Koordinierung zwischen den Bündnispartnern in diesen sensiblen Fragen zu gewährleisten, schuf die NATO die Nukleare Planungsgruppe der Verteidigungsminister (Nuclear Planning Group - NPG), formulierte Richtlinien für die Entscheidungsfindung im Verteidigungsfall, entwickelte ein gemeinsames nukleares Planungsverfahren, um einen effektiven Einsatz der NATO-Flotte nuklear bewaffneter Jagdbomber zu ermöglichen, und entwickelte über den NATO-Oberbefehlshaber eine Kommandostruktur.
Durch einen Ausstieg aus der Teilhabe würde Deutschland seinen Sitz am Tisch der NPG zwar nicht verlieren. Aber ein Zusammenbruch der NATO-Vereinbarungen über die Nukleare Teilhabe würde diese gesamte Struktur in Frage stellen. Würden die Vereinbarungen aufgelöst werden, müssten sich die NATO-Mitglieder für ihren nuklearen Schutz in Krisen und Kriegen auf die Nuklearstreitkräfte der drei Kernwaffenstaaten des Bündnisses verlassen. Die NPG würde wohl bestehen bleiben, jedoch nicht die gemeinsame Planungs- und Kommandostruktur, denn es gäbe keine zugeordneten NATO-Fähigkeiten, mit denen betreffende Operationen durchgeführt werden könnten. Entscheidungen über den möglichen Einsatz von Nuklearstreitkräften würden dann zwangsläufig in Washington, London und Paris getroffen. Dies würde die in den 1960er Jahren gefundenen Lösungen für die grundlegenden Probleme einer gerechten Verteilung der nuklearen Verantwortung und einer wirksamen politischen Kontrolle zunichtemachen. Neue Lösungen sind schwer vorstellbar.
Die potenziellen Kosten eines deutschen Rückzugs aus dem Konsultationsprozess müssen daher an den Auswirkungen auf das Mitspracherecht gemessen werden, wenn die USA den Einsatz von Atomwaffen zum Schutz der zentralen Interessen eines Verbündeten erwägen. Es ist schwer zu verstehen, weshalb Europa jetzt auf diesen Sitz am Tisch verzichten und sein ganzes Vertrauen in das Urteilsvermögen der USA setzen sollte. Ebenso unverständlich ist, warum die Europäer einen Platz am US-Nuklearplanungstisch erwarten würden, wenn sie sich von ihrer nuklearen Mitverantwortung verabschiedet haben.
Folgen für Deutschlands Reputation im Bündnis
Die möglichen Folgen – für das Ansehen der Bundesrepublik – scheinen außerhalb Deutschlands mehr Aufmerksamkeit erregt zu haben als innerhalb. Während der Obama-Administration von 2009 bis 2013, als Außenminister Guido Westerwelle auf den Abzug der US-Atomwaffen drängte, hörte man drei Hauptargumente, die das deutsche Ansehen betrafen. Das erste wurde von Deutschlands langjährigen Verbündeten geäußert, von denen einige verärgert darüber waren, dass Deutschland sich seiner Verpflichtung für die gemeinsame Sicherheit und Souveränität entledigen wollte, nachdem sie so lange die Sicherheit und Souveränität Deutschlands solidarisch verteidigt hatten. Das zweite Argument kam von Deutschlands neueren Verbündeten in Mittel- und Osteuropa, die beunruhigt darüber waren, dass Deutschland offenbar nicht bereit war, das nukleare Risiko zu ihrer Verteidigung einzugehen und sie somit in Krisenzeiten im Stich lassen würde. Das dritte Argument wurde von den Amerikanern vorgebracht, die sich darüber ärgerten, dass Deutschland die Vorteile des nuklearen Schutzes des Bündnisses genießen, aber alle Kosten und Risiken auf die USA abwälzen wollte.
Diese Argumente sind auch heute noch zu hören. Der Unmut bleibt deutlich spürbar. Doch in Zeiten, in denen sich Europäer und Amerikaner über die dauerhafte Unterfinanzierung der Bundeswehr und Deutschlands scheinbares Abdriften in Richtung Neutralität wundern, kommt eine neue Dimension hinzu: Deutschlands Entscheidung über die Nukleare Teilhabe wird als Teil der umfassenderen Antwort Deutschlands auf die Frage nach seinem zukünftigen Platz in der Allianz insgesamt gesehen werden.
Für die Bundesrepublik steht bei der Atomentscheidung viel auf dem Spiel. Der Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe könnte Deutschland einige Vorteile bringen. Er wäre sicherlich für einen Teil der deutschen Wählerschaft attraktiv. Aber offen gesagt wären die Vorteile wahrscheinlich eher bescheiden. Die Kosteneinsparungen wären marginal, da die Flugzeuge in jedem Fall ersetzt werden (nur die nukleare Zertifizierung einiger neuer Flugzeuge stünde in Frage). Und auch wenn eine solche Entscheidung von einem Teil der deutschen Wählerschaft begrüßt würde, wird sie in einem anderen Teil Widerstand hervorrufen. Darüber hinaus würde eine solche Entscheidung den längerfristigen Interessen Deutschlands an einer friedlichen europäischen Ordnung, die auf den Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit und der kollektiven Verteidigung aufbaut, schaden.
Außerdem steht für die NATO bei der deutschen Nuklearentscheidung eine Menge auf dem Spiel. Vor einem guten Jahrzehnt argumentierte die Obama-Regierung angesichts der Spannungen mit Bündnispartnern bezüglich der Nuklearfrage, dass „Entscheidungen über die nukleare Abschreckung der NATO auf NATO-Ebene getroffen werden sollten“, und lehnte einseitige Maßnahmen, auch eigene (zum Preis einiger innen- und außenpolitischer Konsequenzen), ab. Dieses Prinzip ist nach wie vor gut begründet. Ebenso die Logik der NATO-Nuklearstrategie. Sie verdient die Unterstützung Deutschlands.
Dr. Brad Roberts ist Direktor des Center for Global Security Research am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Von 2009 bis 2013 war er stellvertretender Staatssekretär im US-Verteidigungsministerium, zuständig für Nuklear- und Raketenabwehr. In dieser Funktion leitete er die Überprüfung der Nuklear- und Raketenabwehrpolitik unter der Obama-Regierung mit.
Übersetzung aus dem Englischen: Bundessprachenamt
Nuklearpolitik und Haltung der NATO
- Kollektive Verteidigung ist und bleibt eine Kernaufgabe. Abschreckung und Verteidigung liegen im Zentrum des Auftrags und des Zwecks des Bündnisses.
- Abschreckung und Verteidigung müssen auf einer angemessenen Mischung aus nuklearen, konventionellen und Raketenabwehrfähigkeiten basieren.
- Der Hauptzweck der nuklearen Fähigkeiten der NATO ist die Wahrung des Friedens, der Schutz vor Zwangsmaßnahmen und die Abschreckung von Aggressionen. Kernwaffen sind einzigartig. Die NATO bekräftigt, dass jeder Einsatz von Kernwaffen gegen die NATO die Art eines Konflikts grundlegend verändern würde
- Die Umstände, unter denen die NATO den Einsatz von Kernwaffen in Betracht ziehen müsste, sind höchst unwahrscheinlich. Sollte die elementare Sicherheit eines ihrer Mitgliedstaaten bedroht werden, hätte jedoch die NATO die Fähigkeiten und die Entschlossenheit, einem Gegner nicht annehmbare Kosten aufzuerlegen, die weit schwerer wiegen würden als die Vorteile, die ein Gegner zu erzielen erhoffen könnte.
- Die strategischen Kräfte des Bündnisses, insbesondere die der Vereinigten Staaten, sind der oberste Garant für die Sicherheit der Verbündeten. Die unabhängigen strategischen nuklearen Kräfte des Vereinigten Königreichs und Frankreichs nehmen eine eigenständige Abschreckungsrolle wahr und tragen bedeutend zur Sicherheit des Bündnisses insgesamt bei.
- Das nukleare Abschreckungsdispositiv der NATO beruht auch auf vorwärtsdislozierten Kernwaffen der Vereinigten Staaten in Europa und auf Fähigkeiten und Infrastruktur, die von den betreffenden Verbündeten bereitgestellt werden.
- Die Verbündeten werden sicherstellen, dass alle Bestandteile der nuklearen Abschreckung der NATO zuverlässig, sicher und effektiv bleiben, solange die NATO ein nukleares Bündnis bleibt. Dafür ist es erforderlich, dass die Regierungen diese sorgfältig im Auge behalten und die Institutionen hervorragende Arbeit leisten
- Ziel der Verbündeten ist es, die Abschreckung zu verstärken und die größtmögliche Teilhabe der betreffenden Bündnispartner bei den bestehenden Vereinbarungen zur nuklearen Lastenteilung sicherzustellen.
- Die NATO ist weiterhin bestrebt, Sicherheit auf dem niedrigst möglichen Streitkräfteniveau zu gewährleisten. Sie wird ebenfalls weiterhin versuchen, das internationale Sicherheitsumfeld auf positive Weise durch kooperative Sicherheit und Rüstungskontrolle zu beeinflussen. Die NATO wird ihre Strategie im Einklang mit den Entwicklungen im Sicherheitsumfeld auch in Bezug auf die für die Abschreckung und Verteidigung erforderlichen Fähigkeiten und anderen Maßnahmen weiter anpassen, um ihren Zweck weiterhin zu erfüllen.
Zum Arbeitspapier von Brad Roberts erreichte uns ein kritischer Kommentar von Uta Zapf, die von 1990 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und unter anderem Vorsitzende des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung des Auswärtigen Ausschusses war.