Die Menschen im Irak waren nach ihrer Flucht vor der Terrororganisation IS erst zur Rückkehr in die befreiten Gebiete zu bewegen, nachdem der irakische Staat dort ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten konnte. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Und noch etwas steht fest: Die Ordnung der Welt, in der wir leben, ist brüchig; ihre Strukturen sind in Bewegung geraten. Das berührt auch uns. Die richtige Antwort auf die vielfältigen Bedrohungen unserer Sicherheit ist Gegenstand öffentlicher Debatte. Auch wenn manch einer noch damit hadert: Wir haben die Wohlfühlzone bereits verlassen.
Gefahren lauern überall, jenseits unserer Grenzen, aber auch an unseren eigenen geistigen Horizonten. Es heißt, die Krise sei das neue „Normal“. Es gibt keine einfachen Erklärungen, nicht einmal mehr einfache Wahrheiten. Alles scheint möglich und dabei irgendwie mit allem anderen verwoben. Eine nüchterne Analyse, die das vielleicht entwirren könnte, kostet unendlich viel Kraft. Wer traut sie der Politik, wer traut sie sich selbst noch zu? Der Schutzmantel des Vertrauten wird dünn. Es ist eine verwirrende Zeit des Umbruchs, ein Empfinden des Geworfen-Seins.
Wie sollen wir damit umgehen? Wir, dieser statistisch unfassbar reiche, von Freunden umgebene Staat in der Mitte Europas, wir überzeugte Europäer und bekennende Transatlantiker, wir, die Kinder der Entspannungsdividende, die gewohnt sind, sich Gedanken um gesundes Schuhwerk, aber weniger um unsere eigene Sicherheit zu machen? Und wer ist eigentlich dieses „wir“? Ich denke, es geht uns alle an.
Auf Zuversicht und Durchhaltewillen kommt es an
Keep calm and carry on - so lautete ein bekanntes britisches Motto während des Zweiten Weltkrieges. Es sollte Zuversicht und Durchhaltewillen ausstrahlen. Wir erleben keinen Weltkrieg, aber die Bedrohungslage in Europa bietet Anlass genug, das bekannte Motto ins Deutsche und in die Gegenwart zu übertragen. Ausbuchstabieren lässt es sich vor allem in dreierlei Hinsicht.
Erstens: Nicht vergessen, dass Vieles auch ganz gut läuft. Wer sich ein bisschen in der Welt umschaut sieht, wie vieles und wie gut. Ja, wir haben etwas zu verlieren. Nicht nur Wohlstand, sondern unsere freiheitliche Lebensart, etwas, das des Schutzes bedarf und mit dem wir behutsam umgehen sollten. Die aktuellen Stichworte der Sicherheitspolitik lauten deshalb: Zwei Prozent, nukleare Teilhabe, Wehrhaftigkeit, Landes- und Bündnisverteidigung, kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.
Zweitens: Jeder kennt die Erfahrung des Alltags: Solange wir zusammenstehen, sind wir stärker, fühlen uns dem Ungewissen weniger ausgeliefert. Was in der Gesellschaft gilt, gilt auch für unser Sicherheitsbündnis NATO oder jede abgestimmte Politik im Kreise der EU-Partner. Der gemeinsame Auftritt gegen Putins Versuch, die europäische Sicherheitsordnung nach seinem Bilde umzuformen, verbindet, bestärkt und macht uns durchhaltefähiger. Auch Deutschland profitiert von dieser Gemeinsamkeit, ist zugleich aber immer wieder gefordert, wenn es darum geht, sie politisch zu ermöglichen.
Drittens: Unklare Lagen erfordern klare Kommunikation. Diesen Grundsatz befolgt jeder Leiter eines Feuerwehreinsatzes. Es geht um ein Mindestmaß an Sicherheit und Orientierung in einer für die Betroffenen unübersichtlichen, vielleicht gar gefährlichen Situation. Genau das dürfen die Bürgerinnen und Bürger in der gegenwärtigen Weltlage von Regierung und Parlament erwarten. Nicht alternativlose Vorgaben, denn die Menschen wollen mitdenken, aber doch Orientierungspunkte. Eine politische Erzählung, die einordnet, Wichtiges von Unwichtigem scheidet, die inmitten aller Unwägbarkeiten Fixpunkte und realistische Ziele markiert. Es reicht nicht, diese Erzählung nur zu kennen oder sie in Konzepte zu gießen. Um Wirkung zu entfalten, muss sie überzeugend vermittelt, beständig wiederholt und aktuell gehalten werden.
Wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, diese Ausführungen inmitten von Diskussionen um Cyber War, AI und De-risking ein wenig hausbacken und so gar nicht strategisch erscheinen, so gebe ich zu bedenken: Es ist wahr, auch zahlreiche andere Fragen und Szenarien verlangen sicherheitspolitische Aufmerksamkeit. Über allem aber steht: Deutschland muss Russlands imperialem Vorstoß in Europa Einhalt gebieten. Nicht allein - zum Glück, aber an entscheidender Stelle stehend. Wir müssen darauf gefasst sein, dass Putin unser Durchhaltevermögen dabei in nicht gekannter Weise auf die Probe stellt. In komplizierten Zeiten steigt die Bedeutung der einfachen Dinge.
Ekkehard Brose hat diesen Beitrag zum Ende seiner vierjährigen Präsidentschaft der BAKS verfasst.
Er gibt seine persönliche Meinung wieder.