Im Nahen Osten sind Gewalt und Terror wieder stark an die Stelle von Hoffnung auf Frieden, Freiheit und Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten getreten. Statt "Arabischem Frühling" herrscht vielerorts wieder Enttäuschung. Das Berliner Colloquium - eine Gemeinschaftsveranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und der Clausewitz-Gesellschaft - beschäftigte sich deshalb vom 25.-26. März 2015 mit der Frage: Zerfällt der Nahe Osten?
"Nein" – so beantwortete Prof. (em.) Dr. Udo Steinbach von der Hochschule Humboldt-Viadrina die Leitfrage des Colloquiums. Vielmehr forderte er unter Verweis auf die jüngere europäische Vergangenheit eine ruhige Analyse der Situation im Nahen Osten und keine übertrieben pessimistische Zukunftserwartung: "Wir waren doch nicht besser. […] Unsere Desaster waren doch viel größer." Steinbach unterstrich, dass sich die aktuelle Ordnung im Nahen Osten durchgesetzt habe, was sich auch durch die funktionierende Arabische Liga zeigen würde. Jetzt gelte es, dass diese Ordnung erhalten werden, indem der Islamische Staat bekämpft und eine Neuordnung in Damaskus geschaffen werde.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, nahm Europa grundsätzlich in die Pflicht, eine nachhaltige Sicherheit zu schaffen. Es müsse dahingehend wieder mehr investiert werden. Die Richtung für die angestrebte Stabilisierung im Nahen Osten beschrieb er so: "Eine Rakete tötet Terroristen; gutes Regieren tötet den Terrorismus."
In seinen Eröffnungsworten hob der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann, die Rolle der EU als sicherheitspolitischer Akteur hervor; ein gemeinsames perspektivisches Handeln sei – wie im Ukraine-Russland-Konflikt – auch hinsichtlich des Nahen Ostens erstrebenswert.
Einen ähnlichen Ton traf der Leiter der Politischen Abteilung 3 und stellvertretender Politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Dr. Clemens von Goetze, der einen EU-gemeinsamen, langfristigen Ansatz für den Nahen Osten forderte; Deutschland alleine habe nicht die Kraft, den Konflikt zu lösen.
Markant formulierte der Journalist und Nahost-Experte Daniel Gerlach, dass man keine Angst vor dem Staatsverfall im Nahen Osten haben müsse – wir seien ja mitten drin. Maßgeblich für eine Stabilisierung der Region sei die Prägung eines neuen, positiven Staatsbegriffes, der auch von einer neuen Rechtssicherheit getragen seien müsse.
Uneinigkeit herrschte auf dem Panel "Syrischer Bürgerkrieg, politische Herausforderungen im Irak, Aufstieg des IS-Terrors – Chancen für eine politische Alternative?" im Hinblick auf die angestrebte Stabilität in Syrien: Während der Botschafter der Syrischen Koalition in Deutschland, Dr. Bassam Abdulah, bekräftigte, dass die Syrische nationale Koalition weiterhin auf ein stabiles und modernes Syrien nach der Ablösung des Assad Regimes hoffe, brachte der Politik- und Wirtschaftsberater Dr. Michael Lüders seine Zweifel zum Ausdruck, dass die syrische Opposition in der Nachfolge von Assad ohne die (militärische) Hilfe der USA eine reale Chance habe.
Im Panel "Der israelische-palästinensische Konflikt – Kein Weg zum Frieden?" bestand zwischen den Diskussionsteilnehmern insofern Konsens, dass eine tragfähige Lösung nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden könne. Dabei konstatierte Dr. Muriel Asseburg, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dass sie in der gegenwärtigen Situation im Nahen Osten durch die Siedlungspolitik Israels eine Verfestigung einer Einstaaten-Realität befürchte. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, kritisierte die EU, die eine prominente Befassung mit dem Konflikt vermissen lasse.
Autoren: Beckert/Thomas
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