Anlässlich des China-Besuchs der Bundeskanzlerin spricht Thomas Wrießnig, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Kurz-Interview über die Haltung der Volksrepublik zum Syrienkonflikt, die Krise im Südchinesischen Meer und das wirtschaftliche Engagement Chinas.
Herr Wrießnig, die USA und Russland greifen beide in den Syrienkonflikt ein. Von China ist in diesem Zusammenhang wenig zu hören. Stimmt dieser Eindruck?
Wrießnig: „Peking hat im Syrienkonflikt immer wieder auf das Prinzip der Nichteinmischung verwiesen. Das erklärt auch seine Zurückhaltung gegenüber dem militärischen Eingreifen Russlands. Dabei sollte China ein Interesse daran haben, dass sich der Konflikt in der Region nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten auswächst, die auch die in Xinjiang lebenden sunnitischen Uighuren auf den Plan rufen und Peking zu einer Parteinahme zwingen könnte. Schon aus Eigeninteresse sollte China sich daher dem Wunsch der Bundeskanzlerin nach einem stärkeren politischen Engagement im Syrienkonflikt nicht verschließen.“
Im Südchinesischen Meer spitzt sich der Konflikt zwischen China und USA gerade wieder zu. Welche Bedeutung ist dieser Entwicklung beizumessen?
Wrießnig: „Die ungeklärten Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer bieten immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen zwischen den Anrainern wie zwischen den beiden pazifischen Großmächten China und USA. Letztere erkennen Pekings Ansprüche auf ein riesiges Seegebiet weit südlich des chinesischen Festlandes nicht an und halten das Prinzip der freien Schifffahrt in internationalen Gewässern auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit gegenüber ihren pazifischen Verbündeten aufrecht. Unabhängig davon, ob man hinter den chinesischen Aktivitäten zum Ausbau winziger Inseln in der Meeresregion expansive oder eher defensive Ziele vermutet, glaube ich nicht, dass die chinesischen Proteste gegen das Kreuzen eines US-Zerstörers in dem umstrittenen Seegebiet die Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung bergen. Ein unbeabsichtigter Zwischenfall wie 2001 beim Absturz eines chinesischen Jagdflugzeugs und anschließender Notlandung einer amerikanischen Maschine auf der Insel Hainan ist jedoch nicht auszuschließen.“
China ist wirtschaftlich auf Expansionskurs – auch durch Unternehmenskäufe in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland. Was bedeutet das für unser wirtschaftspolitisches Engagement in China?
Wrießnig: „China hat sich mit seiner Initiative ‚Made in China 2025‘ zum Ziel gesetzt, in zehn Jahren auch bei der gehobenen Wertschöpfung Weltniveau zu erreichen. Bis zur Jahrhundertmitte will man zur führenden Industriemacht aufsteigen. Da liegt es nahe, dass sich China gerade für deutsche Technologie und deutsches Fachwissen interessiert. Die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland sind in den letzten Jahren mit jeweils zweistelligen Zuwachsraten gestiegen, zum größten Teil waren dies Unternehmensaufkäufe. Das hat man insbesondere beim deutschen Mittelstand auch mit gemischten Gefühlen gesehen. Das heißt aber nicht, dass unsere Unternehmen nicht weiterhin die Chancen des großen chinesischen Marktes sähen. Der Nettotransfer deutscher Direktinvestitionen nach China betrug laut Bundesbank 2014 trotz dort verlangsamten Wirtschaftswachstums circa 5,1 Milliarden Euro. China ist und bleibt ein schwieriger Markt, den es stets nüchtern zu betrachten gilt.“
Autor: Redaktion