Am 4. April fand die Premiere des Medientages an der Bundesakademie statt. Journalisten informierten sich aus erster Hand über die Zusammenhänge von Flucht, Migration und Sicherheitspolitik.
"Fachkundige Journalisten mit hilfreichen Informationen versorgen" – so fixierte Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, die Absicht des ersten neu konzipierten Medientages an der Bundesakademie. Den Journalisten standen zu dem Thema "Flucht, Migration und Sicherheitspolitik – wo steht Europa?" praxiserfahrene Experten mit Rede und Antwort zur Verfügung. Eine Runde hochkarätiger Politiker aus Regierung und Opposition ordnete die Informationen am Ende auch politisch ein. Mit dabei: der Verfechter einer stringenten Europapolitik Günter Verheugen.
Der vormalige EU-Integrationskommissar und heutige Honorarprofessor für Europäisches Regieren der Europa-Universität Viadrina hielt in der Podiumsdiskussion seine klare Meinung zur jüngsten Entwicklung nicht zurück: "Brüssels Türkei-Deal ist eine Hochrisikoinvestition." Das am 18. März von der EU und der Türkei beschlossene Abkommen, das vor allem den Umgang mit illegal einreisenden Flüchtlingen behandelt, ist für Verheugen ein "Rettungsanker", an dessen Wirksamkeit er zweifelt.
Überhaupt fokussierte der Medientag, zu dem gut 20 Vertreterinnen und Vertreter von Online- und Printmedien sowie Hörfunk und Fernsehen gekommen waren, stark auf die Bedeutung der Türkei im Komplex von Migration und Flucht sowie europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Als freier Journalist in Istanbul tätig, berichtete etwa der TV-Journalist Gunnar Köhne als kundiger Referent von der aktuellen Situation in der Ägäis und im Süden der Türkei. Die an sich eher arme Grenzregion zu Syrien habe gut 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien ausdrücklich als "Gäste" aufgenommen – und die Lage sei trotz aller Schwierigkeiten ruhig.
Allein schon der Klimawandel sorgt
dafür, dass die Herausforderung Migration eine bleibende ist
Doch gerade oftmals prekäre Zustände in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens gehören für Agnieszka Brugger, Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis90/Grüne für Sicherheitspolitik und Abrüstung, mit zu den Ursachen für die Flucht so vieler Menschen nach Europa. Ihr Credo: Die Nachbarstaaten Syriens müssten dringend besser unterstützt werden, um die Versorgung in den Lagern zu verbessern. Aber es bedürfe auch mehr Entwicklungshilfe. Langfristig jedoch sei allein schon aufgrund des Klimawandels mit weiteren großen Migrationsbewegungen zu rechnen. In der Reaktion auf das Geschehen hebe sich Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings "wohltuend von anderen europäischen Regierungschefs" ab.
Für Stephan Mayer, Sprecher der Bundestagsfraktion CDU/CSU im Innenausschuss, ist die Strategie der Kanzlerin, auf europäischer Ebene eine Lösung zu suchen, genau richtig. An den Fluchtursachen anzupacken sei auch für ihn "vollkommen unstreitig", wenn auch das Abkommen mit Ankara "noch nicht der Durchbruch" sei. Was aber die Türkei betreffe: "Wir können uns den Verhandlungspartner nicht aussuchen." Dabei sei es vor allem in der Ideologie der Regierung der islamisch-konservativen AKP angelegt, dass sich das Land in den vergangenen Jahren trotz ursprünglichen Beitrittsabsichten wieder von der Europäischen Union entfernt habe.
Verheugen sieht den Ausgangspunkt in der Entfremdung zwischen Ankara und Brüssel dagegen vielmehr in einer "Zurückweisung" seitens einzelner EU-Staaten schon 2005 – trotz der damals offiziell begonnenen Beitrittsverhandlungen. Der erfahrene Europaexperte wechselte den Blickwinkel und warnte vor dem inneren Zustand der EU, den die gegenwärtige Krise deutlich zu Tage geführt hat. "Obwohl wir die Fähigkeiten besitzen, die Krise langfristig zu lösen, fehlt Europa der politische Wille", stellte er fest. Im Moment beschäftige sich die Union mit dem "Management" der Krise, nicht aber deren Lösung.
Woher kommt das verschlechterte
Image Europas am Bosporus?
Auf die Frage, was die EU denn falsch mache, antwortete Verheugen, dass Europa zu lange für selbstverständlich gehalten worden sei. "Die Zeiten aber, in denen europapolitische Entscheidungen einfach so durchgewunken werden, sind längst vorbei.“ Das spüre man gerade in den osteuropäischen Mitgliedsländern: Dort würden die Menschen nicht die Idee eines gemeinsamen Europas ablehnen, sondern vielmehr seine Erscheinungsform – als bürokratische Fremdbestimmung. Bevor also Lösungen für gesamteuropäische Probleme mit einer Kompetenzverschiebung nach Brüssel gesucht würden, müsste die Union sich erst einmal reformieren. "Mehr Europa ist erst möglich, wenn Europa wieder 'besser' wird", urteilte Verheugen.
Verheugen, von 1999 bis 2010 Mitglied der Europäischen Kommission und dort zunächst für die EU-Erweiterung nach Osteuropa zuständig, zeigte sich allerdings auch von den innenpolitischen Entwicklungen in Polen, Ungarn und der Slowakei enttäuscht. In den drei Ländern gibt es, im unterschiedlichen Maß, eine Stimmungsentwicklung zum rechten politischen Spektrum und einen erstarkten Nationalismus. Hoffnung dagegen bereite ihm Rumänien, so Verheugen.
Den Medientag an der Bundesakademie prägten auch eine Reihe von Diskussionsrunden mit praxiserfahrenen Experten. Sie berichteten über die Seenotrettung und die Grenzsicherung im Mittelmeer, über Maßnahmen zur inneren Sicherheit in Deutschland und das Aufnahmeverfahren für ankommende Flüchtlinge und Asylsuchende. Auch Kenner des Asylrechts in Europa sowie der Fluchtursachen in Afrika und dem Nahen Osten vermittelten wissenswerte Informationen.
Autor: Marcus Mohr
Weitere Informationen zum Medientag auch in der Presseschau.