Der Georgien-Krieg beschleunigte die Strukturierung der EU-Außenpolitik in Form einer Östlichen Partnerschaft (ÖP) gegenüber sechs sogenannten postsowjetischen Staaten (Weißrussland, Ukraine, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Georgien). Die EU verfolgt durch die Östliche Partnerschaft vor allem zwei Ziele: die Unterstützung der ÖP-Länder der in ihrem Transformationsprozess sowie die Heranführung der beteiligten Länder an die EU in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Russland fasste die Partnerschaft als eine geopolitische Einflussnahme seitens der EU auf das russische „nahe Ausland“ auf. In der Folge ignorierte der Kreml sowohl den Willen als auch die Souveränität der ÖP-Staaten und versuchte durch eine erprobte Taktik – durch Schaffung und Instrumentalisierung von Konflikten in den einzelnen Staaten – das Scheitern der Partnerschaft zu erzwingen.
Das Grundproblem der Östlichen Partnerschaft ist der Spiegel der defizitären Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU. Krisenmanagement der Europäischen Union gegenüber den Eingriffen in die Östliche Partnerschaft durch Russland scheiterte anfänglich an der Nicht-Existenz eines sicherheitspolitischen Konzepts für die Partnerschaft. Ohne Überwindung der innereuropäischen Differenzen hinsichtlich der südlichen und östlichen Nachbarschaften wird eine Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) nicht möglich sein, wie es in der Global Strategy der EU (2016) vorgesehen ist.
Östliche Partnerschaft und der Südkaukasus – Ein Teilerfolg
Die Interessen der EU gegenüber dem Südkaukasus sind vor allem von sicherheits- und wirtschaftspolitischen Faktoren geprägt. Die Stabilität der Region – die sich als ein schlafender Vulkan von ethno-territorialen Konflikten in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft darstellt, bedeutet eine wichtige Herausforderung für die europäische Sicherheitsordnung. Die geostrategische Lage des Südkaukasus mit Hinblick auf die Handels- und Transitwege ist der Grund für den regelrechten Konkurrenzkampf unter den externen Akteuren wie Russland oder China um den Einfluss in der Region. Ohne einen Schutzmechanismus für die Östliche Partnerschaft liefert die EU die integrationswilligen ÖP-Staaten den neoimperialen Ambitionen Russlands aus. Russland, das nach dem Zerfall der Sowjetunion weder die wirtschaftliche noch die gesellschaftliche Modernisierung erfolgreich vollziehen konnte, sieht in der Östlichen Partnerschaft ein deutliches Indiz zum möglichen Verlust der eigenen politischen und wirtschaftlichen Dominanz im sogenannten postsowjetischen Raum. Außerdem bedeutet die Ausweitung der Demokratisierungswelle in den ÖP-Staaten und in Russland selbst aus Sicht der politischen und wirtschaftlichen Eliten die größte Gefahr für ihre Machtsicherung. Es wäre naiv zu glauben, dass Russland nur am Scheitern der Östlichen Partnerschaft interessiert ist. Der Kreml interessiert sich vielmehr für das Scheitern des europäischen Projekts, weshalb er die antieuropäischen Kräfte innerhalb der EU massiv unterstützt.
Situation in den einzelnen Ländern
Georgien ist das einzige Land im Südkaukasus, welches ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnete. Kern dieses Abkommens ist eine vertiefte und umfassende Freihandelszone (Deep and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA). Im Frühjahr 2017 hob die EU die Visumpflicht für Georgien auf. Aufgrund dieser Fortschritte ist Georgien einer größeren Gefahr aus dem Kreml ausgesetzt als seine Nachbarländer Armenien oder Aserbaidschan. Auf die Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und Georgien antwortete Russland mit der Einrichtung von Stacheldrahtzäunen entlang der De-facto-Grenze um die abtrünnige Zchinwali-Region (Südossetien). Inzwischen werden die De-facto- Grenzlinien von Russland regelmäßig ins Innere Georgiens verschoben. Entführungen von Zivilisten gehören zum Alltag. Gleichzeitig sorgte Moskau mit den sogenannten Integrationsverträgen für eine engere Anbindung beider abtrünniger Gebiete an sich.
Im Fall Armeniens gelang es dem Kreml, was ihm mit Georgien und der Ukraine nicht gelungen war. Unter russischem Druck verzichtete Armenien im Herbst 2013 auf die Paraphierung des ausgehandelten Assoziierungsabkommens und trat stattdessen der von Moskau als Gegenpart zur EU gegründeten Eurasischen Union bei. Die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit Armeniens von Russland ermöglicht es dem Kreml, der Integration des Landes mit der EU Grenzen zu setzen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird auf dem Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Brüssel das umfassende und erweiterte Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Armenien unterzeichnet, das zwar eine neue Stufe in der Partnerschaft darstellt, aber kein vollwertiger Ersatz für das abgelehnte Assoziierungsabkommen ist.
Baku unterzeichnete das Assoziierungsabkommen ebenfalls nicht. Aserbaidschan ist aufgrund seiner Demokratiedefizite nicht an der politischen Transformation, sondern primär an der energiepolitischen Zusammenarbeit mit der EU interessiert. Außerdem vermeidet Aserbaidschan Unstimmigkeiten mit Moskau. Russland spielt die Schlüsselrolle im Konflikt um Berg-Karabach, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört und von Armenien besetzt ist. Russland ist der Co-Vorsitzende in der Minsker Gruppe der OSZE, die im Berg-Karabach-Konflikt vermittelt, ist gleichzeitig aber der größte Waffenlieferant für die beiden Konfliktparteien.
Armenien, Aserbaidschan und Georgien im Fokus der Groß- und Regionalmächte
Aktuell lässt sich ein langsames Verschwinden des Enthusiasmus innerhalb der EU gegenüber den südkaukasischen Staaten sowie gegenüber den Initiativen wie „Schwarzmeersynergie“ und „Zentralasienstrategie“ betrachten. Dabei führte das außenpolitische Engagement der Union in Form der Östlichen Partnerschaft dazu, dass zum jetzigen Zeitpunkt in der Region eine Belebung der Geopolitik zu sehen ist. Sie ist aber im Gegensatz zu den 1990er Jahren nicht primär mit den Energieressourcen, sondern mit dem Ausbau von Handels- und Transitwegen verbunden.
Ein Teil der Region, insbesondere Georgien (unter anderem wegen des Freihandelsabkommens mit der EU) geriet in den Fokus der chinesischen One Belt, One Road-Strategie (BAKS-AP 4/2017). Im Mai 2017 unterzeichnete China mit Georgien als einzigem Land in der Region ein Freihandelsabkommen. Zur One Belt, One Road-Strategie zählt auch die als „eiserne Seidenstraße“ bezeichnete Eisenbahnlinie „Baku-Tbilissi-Kars“, die am 30. Oktober eröffnet wurde und die China und Zentralasien über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei mit der EU verbinden wird. Im Dezember brauchte ein Güterzug aus China bis zur Türkei ein Viertel der Zeit (15 Tage), die über den Seeweg notwendig wäre. Da der Handel über Land doppelt so teuer ist wie über das Meer, zeigt die Einbeziehung des Südkaukasus in den geopolitischen Gürtel Chinas eine Strategie, welche geopolitische Taktiken vor die Handelspolitik stellt.
Die USA bleiben ein wichtiger strategischer Partner für Georgien und Aserbaidschan. Die Trump-Administration versucht nun in die passive Außenpolitik der Obama-Administration im sogenannten postsowjetischen Raum frischen Wind zu bringen. Zu diesem Zweck reiste der US-Vizepräsident Mike Pence Ende Juli nach Georgien (das die NATO-Mitgliedschaft anstrebt), Estland sowie nach Montenegro, welches das jüngste Mitglied der NATO ist. Kurz nach Pence‘ Besuch in Georgien reiste Wladimir Putin am 8. August zum Jahrestag des Georgienkrieges nach Abchasien, um durch den symbolischen Besuch die sogenannten roten Linien aufzuzeigen, die aus russischer Sicht das imaginäre russische Imperium umfassen. Wie sich die Außenpolitik der USA gegenüber dem Südkaukasus zukünftig gestalten wird, lässt sich nicht vorhersagen. Es ist dennoch aufgrund des bisherigen Engagements davon auszugehen, dass Washington der strategischen Partnerschaft mit Georgien und Aserbaidschan neue Impulse verleihen, aber die Initiative in der Region weiterhin der EU überlassen wird.
Wichtige Regionalmächte im Südkaukasus wie die Türkei und Iran verfolgen unterschiedliche außenpolitische Ziele. Iran betreibt eine vorsichtige und pragmatische Außenpolitik gegenüber der Region, die darauf abzielt, wirtschaftliche Beziehungen zu vertiefen, durch die Unterstützung der russischen Position in der Region die außenpolitische Balance in der Region gegenüber dem Westen und Türkei zu sichern und innenpolitische Risiken (wie die aserbaidschanische Minderheit im Iran) zu reduzieren. Aus der Perspektive der EU könnte vor allem Georgien, das traditionell gute Beziehungen mit Teheran pflegt, unter anderem aufgrund seiner regionalen Stellung, die Rolle einer wirtschaftlichen Drehscheibe nicht nur gegenüber China, sondern auch in den Handelsbeziehungen zu Iran übernehmen.
Parallel zur Krise zwischen dem Westen und Russland versucht die Türkei im Einklang mit ihren wachsenden geopolitischen Ambitionen ihren Einfluss im Südkaukasus auszubauen. Dazu stärkt die türkische Regierung die strategische Achse Baku-Tbilissi-Ankara nicht nur in wirtschaftlicher, sondern vor allem auch in militärischer Hinsicht. Diese Praxis ist im Kontext des Ausbaus russischer Militärbasen in Armenien sowie in Abchasien und der Zchinwali-Region zu verordnen. Die Türkei wird zukünftig versuchen, die Beziehungen zu Tbilissi und Baku weiter zu intensivieren, um einerseits die Stellung Russlands in der Region auszubalancieren und um andererseits seine Vorteile gegenüber der EU unter der Berücksichtigung der angespannten Beziehungen (Stichwort: Öl- und Gas-Pipelines) zu sichern.
Herausforderungen für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik im Südkaukasus
Aktuell betrachten wir den Auflösungsprozess des sogenannten postsowjetischen Raumes, welcher von der EU eine proaktive Außenpolitik im europäischen Interesse verlangt. Allerdings könnte dies am mangelnden Enthusiasmus der EU gegenüber der östlichen Nachbarschaft scheitern, was ihren sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen schaden würde. Insbesondere falls die EU unter Berücksichtigung des Russland-Faktors zum sogenannten postsowjetischen Raum eine passive, statt proaktive Haltung einnehmen sollte. Abgesehen vom Integrationswillen der Staaten und Gesellschaften, die gezwungenermaßen Jahrzehnte unter der Herrschaft des Totalitarismus verbracht haben, trägt die EU eine Mitverantwortung für deren Sicherheit. Die Initiierung der Östlichen Partnerschaft basierte auf beidseitigem Interesse.
Im Zuge dieser Partnerschaft verschlechterte sich die Sicherheitslage aller integrationswilligen Staaten (Ukraine, Moldau, Georgien) deutlich, weil sie für ihre Integrationsbemühungen mit der EU von Russland abgestraft werden. Ohne sicherheitspolitisch begleitende Formate wird der EU die Unterstützung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation in den Ländern der Östlichen Partnerschaft nicht gelingen.
Die erfolgreiche Transformation der ÖP-Staaten ist ihrerseits die grundlegende Voraussetzung für die Integration, die Reduzierung von Konflikten, für Wohlstand und vor allem für die Sicherheit. Nur durch eine proaktive Außenpolitik kann die EU die Vermehrung der Konflikte in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft vermeiden sowie ihre Energie- und Handelsinteressen verteidigen. Andernfalls wird Russland mittel- und längerfristig durch die Instrumentalisierung von Konflikten und den Einsatz der Propagandamaschinerie in Form von antieuropäischen Medien und politischen Gruppen einen antieuropäischen Umschwung in den integrationswilligen ÖP-Staaten einleiten.
Das Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Brüssel am 24. November 2017 bietet eine gute Gelegenheit auf die Herausforderungen der Partnerschaft einzugehen. Eine angemessene Antwort auf die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen der EU im Kontext der Östlichen Partnerschaft könnten folgende Schritte sein:
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Öffnung der Europäischen Perspektive (Bewerberstatus für die Mitgliedschaft) für Georgien, Moldau und die Ukraine (im Assoziierungsabkommen nicht festgehalten): auf diese Weise wäre es möglich, gegenüber den genannten Ländern anstelle des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrumentes (ENI), das Instrument für Heranführungshilfe (IPA II) anzuwenden, welches einen breiteren Rahmen für die Zusammenarbeit bietet.
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Förderung eines umfassenden Wirtschaftsbündnisses (Subregion) zwischen Georgien, Moldau und der Ukraine mit dem Ziel, sie in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu integrieren.
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Unterstützung Georgiens aufgrund seiner regionalen Sonderstellung auf dem Weg zur Etablierung eines wirtschaftlichen Hubs, welcher der EU die Chance bieten würde, ihre Handelswege mit China, zentralasiatischen Staaten und Iran auszubauen.
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Maximale Vertiefung der Beziehungen mit Armenien und Aserbaidschan, soweit es möglich ist, um den konkurrierenden Akteuren sowie autoritären Tendenzen in der Region möglichst entgegenzuwirken. Aktive Beteiligung an dem Ausbau des südkaukasischen Handelskorridors
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Einbeziehung des russischen Vorgangs in Georgien in die Sanktionen gegenüber Russland, das in regelmäßigen Abständen durch die „schleichende Okkupation“ die territoriale Integrität Georgiens ohne jegliche Konsequenzen verletzt. Verstärkung des Monitoring durch die Beobachtermission der EU in Georgien (EUMM).
Mikheil Sarjveladze ist Doktorand an der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne. Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 28/2017 Seite 5/4