Die politische Großwetterlage brachte Hamas und Fatah zu einer Annäherung
Im Mai 2011 unterschrieben Fatah und Hamas in Kairo ein Versöhnungsabkommen, nach dem sie beide planten, eine gemeinsame Übergangsregierung mit dem Ziel eines unabhängigen, souveränen Palästinenserstaates mit Jerusalem als Hauptstadt zu bilden. Damals waren sowohl Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas als auch Hamas-Chef Ismail Haniyya überzeugt von der Notwendigkeit einer palästinensischen Versöhnung. Das Abkommen wurde nicht weiterverfolgt, soll nun aber zumindest in jenen Passagen, die 2011 konsensfähig waren, als Basis und Referenzdokument für die mittlerweile laufenden neuen Versöhnungsgespräche dienen. Zu den übernommenen Maßnahmen zählen beispielsweise die Reaktivierung des Palästinensischen Legislativrates, die Bildung einer Einheitsregierung und die Durchführung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die Chancen für einen Durchbruch schienen diesmal zunächst gut, denn die Hamas kann sich derzeit nur bedingt auf ausländische Hilfe verlassen und ist nicht fähig, Gaza ohne die Hilfe der Fatah zu regieren, während sich für Palästinenser-Präsident Abbas wiederum neue Verhandlungsmöglichkeiten mit Israel eröffnen würden.
Entscheidend für das Einlenken der palästinensischen Akteure in Richtung eines gemeinsamen Kompromisses war vor allem die politische Großwetterlage seit dem sogenannten Arabischen Frühling ab 2011. Hatten die Palästinenser anfangs noch gehofft, dass der Umschwung in vielen arabischen Staaten auch einen positiven Einfluss auf die eigene Position gegenüber Israel haben würde, so wurden diese Hoffnungen spätestens mit der Absetzung des damaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im Frühjahr 2013 enttäuscht. Mursi, welcher der Muslimbruderschaft angehört und vor allem durch Katar und die Türkei unterstützt wurde, hatte sich für die Hamas im Gazastreifen eingesetzt und tolerierte dabei auch die Entstehung radikalerer Gruppierungen in Gaza, darunter die Organisation „Islamischer Dschihad“ (Harakat al-dschihād al-islāmī). Doch mit dem Sturz Mursis durch das Militär unter Abd al-Fattah as-Sisi änderten sich auch die Bedingungen für die Hamas und den Gazastreifen. So wurde zunächst der wichtige Grenzposten Rafah von ägyptischer Seite geschlossen, und seit 2014 stuft auch Ägypten die Hamas als Terrororganisation ein. Für die Hamas hatte dies zwei Folgen: Erstens verlor sie mit Mursi einen der wichtigsten Fürsprecher in der Region, was nicht zuletzt die Position der Fatah stärkte; zweitens drohte eine logistische und humanitäre Notlage, da wichtige Versorgungsgüter nicht mehr über den Sinai in den Gazastreifen gelangen konnten. 2015 wurde auf Befehl Kairos sogar das unter der Grenze nach Ägypten führende palästinensische Tunnelsystem geflutet, um die Hamas noch stärker unter Druck zu setzen.
Ein weiteres Problem, welches die Stellung der Hamas unter den Palästinensern schwächte, war ihre Abwendung vom damals wichtigsten Verbündeten Baschar al-Assad ab 2013. Damaskus war, mit der Unterstützung des Iran, bis dahin nicht nur Rückzugsort der Hamas-Exilregierung unter Ismail Haniyya gewesen, sondern auch einer der größten Finanziers. Als sich die Hamas-Führung im Zuge der Proteste gegen Assad gegen den syrischen Machthaber aussprach, musste sie kurz darauf das Land Richtung Katar und Tunesien verlassen. Mit dem Verlust der ehemaligen Verbündeten verblieben der Hamas, abgesehen von einigen privaten Großspendern aus den Golfstaaten, somit nur noch die Türkei, der Iran (vermittelt über die Hisbollah) und Katar als offizielle Partner in der Region.
Der Zwist zwischen der Hamas und der Fatah ist allerdings auch massiv durch den Machtkampf zwischen den regionalen Akteuren geprägt. Während die Hamas ihre Mittel vor allem durch die oben genannten Staaten bezieht, erhält die Fatah ideelle und materielle Unterstützung insbesondere von deren Antagonisten in der Region – allen voran Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Und auch der seit 2015 ausgebrochene Machtkampf zwischen Katar und den anderen Staaten auf und außerhalb der arabischen Halbinsel hat zur Beeinträchtigung der Lage der Hamas geführt, da Katar durch die Blockadehaltung der übrigen Staaten des Golf-Kooperationsrates nunmehr selber unter wirtschaftlichen Druck gerät und nicht mehr über die einstigen Mittel zur Unterstützung der Palästinenser für den Gazastreifen verfügt. Dies wirkte sich ebenfalls auf die Verhandlungen zwischen der Hamas und der Fatah aus, da die Verhandlungsergebnisse, die unter Vermittlung von Katar in Doha stattfanden, durch die ägyptische Regierung nicht anerkannt wurden. Zusammengefasst ist eine mögliche Annäherung der beiden palästinensischen Parteien der politischen und vor allem der wirtschaftlichen Schwäche der Hamas geschuldet, welche immer stärker unter Druck geraten ist – insbesondere die sich zunehmend verschlimmernde humanitäre und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in Gaza-City ist hierbei ein ausschlaggebender Faktor.
Gazas Notlage und die Folgen
Der Gazastreifen ist geprägt von zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den palästinensischen Gruppen und wurde 2012 angesichts dieser Bedingungen in einem Bericht der UN für spätestens 2020 als unbewohnbar prognostiziert. Nach dem Abzug israelischer Truppen aus dem seit 1967 besetzten Küstenstreifen riss die Hamas 2006 in blutigen Auseinandersetzungen mit der Fatah die Kontrolle über das Gebiet an sich. Etwa 1,7 Millionen Menschen leben in dem rund 40 Kilometer langen Streifen unter sehr schlechten humanitären Umständen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 40 Prozent; Strom fließt nur vier Stunden am Tag, um Druck auf die Hamas auszuüben, und das Trinkwasser ist stark verschmutzt. Nach dem Sieg der Hamas haben Israel und Ägypten ihre Grenzen zum Gazastreifen weitgehend abgeriegelt, da die Hamas, im Gegensatz zur Fatah, den Staat Israel nicht anerkennt und regelmäßig Raketen auf israelisches Territorium schießt. Die Situation wird auch dadurch zunehmend gefährlicher, dass zahllose perspektivlose junge Menschen in Gaza für radikalislamische Gruppierungen mit Geld und Bewegungsfreiheit sehr leicht für sich zu gewinnen sind. Eine Annäherung zwischen Fatah und Hamas böte die Chance einer Übergabe der Verwaltung des Gazastreifens an die Fatah und damit die Aussicht, die Lebensumstände der Bevölkerung deutlich zu verbessern und einer Radikalisierung der Jugend entgegenzuwirken.
Während die Hamas nach wie vor das Ziel verfolgt, den Staat Israel mit militärischen Mitteln zu beseitigen, erkannte die Fatah 1993 im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses unter ihrem damaligen Vorsitzenden Jassir Arafat das Existenzrecht Israels an, schwor gleichzeitig dem Terrorismus als politisches Mittel ab und ist mittlerweile international anerkannt. Die Fatah wird als Palästinenserregierung zwar oft für ihre Korruption und Vetternwirtschaft kritisiert, ist aber für Israel bis heute der einzig anerkannte Verhandlungspartner unter den Palästinensern. Eine Annäherung der beiden Fraktionen würde auch für die Hamas einen gemäßigteren Kurs bedeuten, wodurch langfristig Verhandlungen Israels mit beiden palästinensischen Lagern möglich werden könnten.
Auch innerhalb der israelischen Gesellschaft könnte eine Annäherung der beiden Organisationen zu veränderten Wahrnehmungen führen. Denn auch hier sind die Meinungen sehr gespalten. So gibt es einen großen Teil, vor allem unter der jüngeren Bevölkerung, der sich eine Besserung der Lage in Palästina wünscht und für einen Friedensprozess, sowohl zwischen den palästinensischen Lagern, als auch mit Israel ist. Dem entgegen stehen vor allem konservative und ultra-orthodoxe Israelis, die jegliche Verhandlungen mit den Palästinensern ablehnen und sich vor allem für die Siedlungspolitik im Westjordanland aussprechen. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, welcher dem rechtskonservativen Lager angehört, betonte mehrfach, dass Israel gegen jegliche Versöhnung sei, wenn diese nicht internationale Abkommen, die Anerkennung Israels und die Demilitarisierung der Hamas beinhalte. Aus seiner Sicht lasse eine Annäherung von Hamas und Fatah die Aussichten auf Frieden geringer werden. Für Israels gegenwärtige Politik ist die Spaltung strategisch zunächst politisch von Vorteil, da ihr kein geeinter Konfliktpartner gegenübersteht. Das in diesem Sinne bisweilen aufgeworfene Argument, die Palästinensische Autonomiebehörde sei kein vollwertiger Verhandlungspartner, wäre angesichts einer Einigung der beiden Palästinensergruppierungen nicht mehr haltbar. Maßgeblich für die israelische Regierung wäre dabei jedoch, dass der militärische Flügel der Hamas dadurch nicht an Auftrieb gewinnt.
Trumps Spiel mit dem Feuer
Mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt des Staates Israel hat US-Präsident Trump nun Entwicklungen in der Region angestoßen, die sich kurzfristig und wohl auch langfristig negativ auf den regionalen Friedensprozess auswirken werden. Nachdem die rechtskonservative israelische Regierung unter Premier Netanyahu den Schritt Trumps begrüßte, sorgte die Ankündigung nicht nur in der arabischen Welt für einen Aufschrei unterschiedlicher Intensität. Während Verbündete der USA wie Saudi-Arabien und Jordanien verhalten verärgert reagierten, brach in anderen Staaten des Nahen Ostens, vor allem im Irak, Syrien und der Türkei, offener Widerstand in Form von Protesten und öffentlichen Verlautbarungen der jeweiligen Regierungen aus. Selbst entscheidende religiöse Institutionen wie etwa die ägyptische Al-Azhar-Universität oder das Oberhaupt der koptischen Christen äußerten sich warnend gegenüber der US-Regierung und sagten sogar lang geplante Treffen mit US-Vertretern ab. Auch auf die Annäherung zwischen der Hamas und der Fatah wird die Entscheidung Trumps gravierende Folgen haben. Nachdem sich Vertreter beider Parteien unter Vermittlung des ägyptischen Nachrichtendienstes am 3. Dezember 2017 in Kairo getroffen hatten und die Chancen auf eine Annäherung verbessert schienen, könnte ein solcher Prozess nun ein jähes Ende finden. Denkbar sind demnach zwei Szenarien, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit eintreten können:
Szenario Eins ist eine potentiell militante Koalition der beiden Organisationen in Folge einer Radikalisierung der Fatah als Folge der US-amerikanischen Botschaftsverlegung. Schon in der Vergangenheit sah sich die Fatah besonders unter den radikaleren Palästinensern viel Widerstand gegenüber, was nicht zuletzt die palästinensischen Wahlen 2006 aufzeigten. Besonders die Hamas könnte von diesem Schritt profitieren, da der Umzug der Botschaft die extremeren Kräfte unter den Arabern stärkt. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario relativ gering, da die Hamas nach wie vor unter politischem und wirtschaftlichem Druck durch Ägypten steht und die Fatah-Regierung sich kaum der Hamas unterordnen dürfte.
Deutlich wahrscheinlicher ist daher Szenario Zwei, in dem letztendlich der Status Quo beibehalten wird, allerdings das Konfliktpotential deutlich gesteigert ist. Der Status Quo wird hierbei vor allem durch zwei Umstände gefördert: Zum einen ist die derzeitige Palästinensische Autonomiebehörde stark von externen Mitteln, wie etwa von Geldern der Vereinten Nationen abhängig. Würde sich die Fatah-Regierung unter Mahmud Abbas offen gegen Israel und dessen Verbündeten USA stellen, wäre ein Ausbleiben der meisten Gelder aus den Töpfen der Vereinten Nationen aufgrund des Drucks der USA die Folge, was für die Palästinenser dramatische Auswirkungen hätte. Somit sind der Fatah-Führung äußerst enge Grenzen im Widerstand gegen die US-amerikanischen und israelischen Interessen gesetzt. Selbst wenn Abbas mittlerweile verlautbarte, dass er gut auf die US-amerikanischen Gelder verzichten könnte, darf nicht vergessen werden, dass insbesondere die Fatah von Geldern der Vereinten Nationen und anderer arabischer Staaten, welche größtenteils eng mit den USA und neuerdings auch Israel zusammenarbeiten, abhängig ist.
Zum anderen wird der Status Quo durch den Umstand der nun unwahrscheinlich gewordenen Demilitarisierung der Hamas unterstützt. Vor allem der stärkste militärische Arm der Hamas, die Qassam-Brigaden unter Mohammed Deif, waren sowohl Israel als auch der Fatah ein Dorn im Auge und sollten im Zuge der palästinensischen Annäherung entwaffnet werden. Durch die angekündigte Verlegung der US-Botschaft rückt die Demilitarisierung der Hamas in weite Ferne, wodurch der Annäherungsprozess unter den Bedingungen vom Oktober 2017 de facto obsolet geworden ist.
Trumps Entscheidung der Botschaftsverlegung hat ohne Frage Einfluss auf die ursprünglich geplanten Friedensprozesse. Es bleibt offen, wie groß die daraus entstehenden Veränderungen sein werden. Jedoch werden schon jetzt vor Ort neue Realitäten geschaffen, die ein Umdenken auf internationalem Parkett erfordern. Die Verhältnisse zwischen Hamas und Fatah sind allerdings bisher unverändert geblieben und die Hoffnung auf einen möglichen Friedensprozess scheint verschwunden. Sowohl die palästinensische als auch die israelische Seite ließen in vergangener Zeit kaum noch Hehl daran, dass sie kein Interesse an wirklichen Friedengesprächen haben und dass sich dies auch kurz- und mittelfristig nicht ändern wird. Maßnahmen wie die ausgerufene Intifada durch die Hamas oder der Bau von mehr als 1.100 neuen Wohnungen durch die Israelis im Westjordanland verstärken dieses Bild.
Demnach muss konstatiert werden, dass der US-amerikanische Schritt der Botschaftsverlegung vor allem eine Entwicklung wahrscheinlich gemacht hat: die Aussetzung der Annäherung zwischen der Hamas und der Fatah. Die weitreichenderen Folgen werden sich jedoch erst in den nächsten Jahren abzeichnen. Durch die Entscheidung Trumps ist nicht nur für die palästinensische Seite besonders eines deutlich geworden: Die USA sind erstmalig seit dem Ausbruch des Nahostkonflikts nicht mehr als neutraler Mittler zwischen den Akteuren anzuerkennen. Weitergehende Schritte der Trump-Administration, wie etwa die Senkung der direkten US-Hilfsgelder an die Palästinensische Autonomiebehörde oder das komplette Streichen der US-Mittel für das der UN unterstellte palästinensische Flüchtlingshilfswerk, unterstreichen diese Tatsache. Für die folgenden Jahre werden daher die Frage der steigenden Radikalisierung in Teilen der betroffenen Gesellschaften und die Frage nach dem neutralem Mittler zwischen den Parteien eine wesentliche Herausforderung darstellen, die nur mittels erheblichen diplomatischen und politischen Anstrengungen gelöst werden kann.
Stefan Lukas ist Dozent an der Universität Greifswald und promoviert derzeit in Neuester Geschichte zum Fachgebiet der deutsch-nahöstlichen Beziehungen. Janina Wietschorke ist Studentin der Area-Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Beide waren 2017/2018 in der Seminarassistenz an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik tätig. Die Autoren geben ihre persönliche Meinung wieder.
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4