Sicherheitspolitik und Klimapolitik zusammendenken
Bis zur Coronakrise bot sich jeden Freitag ein deutliches Bild: Zehntausende von Menschen gingen auf die Straßen, um für ein Umdenken im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handeln zu demonstrieren – hin zu mehr Verantwortlichkeit für unseren gemeinsamen Planeten. Mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise dies geschieht, sei an dieser Stelle dahingestellt, doch ist es aus wissenschaftlicher Sicht inzwischen unumstritten, dass wir unsere Lebensweise tunlichst verändern müssen. In nahezu allen Politikfeldern spielen ökologische Veränderungen und ihre Folgen eine Rolle. Organisationen wie Scientists for Future, der mittlerweile auch Berater der Bundesregierung angehören, oder Klimaforschungsinstitute wie das Alfred-Wegener-Institut sind hierbei nur das prominestete Beispiel. Blicken wir jedoch in die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland, so finden wir außerhalb der großen Think-Tanks und einiger Lehrstühle nur wenige Akteure, die Klimawandel und Sicherheitspolitik zusammendenken.
Dabei zeigen bereits bestehende Studien nationaler und internationaler Institute wie dem Potsdamer Institut für Klimaforschung oder dem EU Institute for Security Studies in Paris, dass die zukünftigen Konf-likte auf der Welt kaum noch ohne den klimatischen Faktor gedacht werden können. Besonders deutlich lässt sich das an einigen der Konflikte des Nahen und Mittleren Ostens zeigen. Neben Südostasien und der Sahelzone wird kaum eine Region so sehr unter den Folgen der zukünftigen klimatischen Verände-rungen leiden wie diese. In dem Gebiet um den Persischen Golf werden nahezu jedes Jahr neue Hitzere-korde mit Temperaturen von über 53 Grad Celsius gemessen. Auch im Iran oder Teilen des Iraks werden die Lebensbedingungen immer lebensfeindlicher, wovon vor allem die ärmeren Teile der Bevölkerung zunächst betroffen sind. In ländlichen Regionen droht die Verödung ganzer landwirtschaftlicher Anbau-gebiete in Folge von starken Dürren. In den unkontrolliert wachsenden Städten verschärfen sich die oh-nehin schon drastischen Lebensumstände in unzureichenden Wohnquartieren wie Slums oder ärmlichen Stadtrandgebieten. Daher verwundert es nicht, dass der Nahe Osten nach den USA und Ostasien eine der Regionen mit dem höchsten Energieverbrauch durch Klimaanlagen weltweit ist – ein Umstand, welcher die CO2-Bilanz der dortigen Länder nicht unwesentlich verschlechtert.
Pakistan: Sinkende Wassermenge, steigende Einwohnerzahlen
Doch es sind nicht nur die steigenden Temperaturen, welche die Lebensqualität und damit auch die inne-re Stabilität der Staaten in der Region sukzessive stärker belastet. Vor allem der Kampf um die knapper werdenden Wasserreserven lässt sowohl das innenpolitische als auch das Konfliktpotential zwischen den Staaten wachsen. So ist in Pakistan bereits seit den letzten zehn Jahren zu erkennen, wie die Gletscher-schmelze im Himalaya und Hindukusch zu einem Mangel an Süßwasser in einem der bevölkerungsreich-sten Staaten der Erde führt. Kombiniert mit einem schlechten Wassermanagement und einem unkontrol-lierten Städtewachstum in Folge einer zunehmenden Landflucht, werden die zukünftigen Regierungen in Islamabad verstärkt mit einer steigenden Unzufriedenheit bis hin zu Unruhen konfrontiert werden. In-sbesondere die öffentliche Sicherheit in den von zunehmender Hitzegeprägten Megacities Karatschi und Lahore wird perspektivisch schwerer aufrechtzuhalten sein, da diese bereits in den letzten Jahren mit extremen Wasserengpässen zu kämpfen hatten.
Zum anderen sorgt der zunehmende Wassermangel auch für Konflikte mit dem großen Nachbarn Indien. Insbesondere die Aufteilung der Wassermengen aus den Induszuflüssen sorgt immer wieder für Konflikt-stoff, da neue Staudammprojekte auf indischer Seite die Durchflussmenge in Pakistan deutlich reduzie-ren können. Wenngleich Pakistan und Indien unter Vermittlung der Weltbank bereits 1960 den Indus-Water-Treaty unterzeichneten und weitere Konflikte um das Induswasser bislang nur vor Gericht ausge-kämpft wurden, wird vor allem der größer werdende Wasserbedarf in den städtischen Zentren Nordin-diens und Pakistans das Verhältnis der beiden Atommächte vor neue Herausforderungen stellen.
Die Golfregion: Genereller Wassermangel
Während in Pakistan die Kombination aus zunehmendem Bevölkerungswachstum und sinkender Wasser-menge die Sicherheitspolitik unter Druck setzt, haben die Staaten auf der Golfhalbinsel ein generelles Problem, ihren Wasserbedarf überhaupt zu decken. So befinden sich laut dem World Resources Institute die gefährdetsten Staaten hinsichtlich der Wasserversorgung auf der Arabischen Halbinsel, angeführt von Katar, welches in den kommenden Jahren immer größere Probleme haben wird, Süßwasser zu generie-ren. Ebenso kann auch Saudi-Arabien nur mit Hilfe von riesigen Entsalzungsanlagen seinen Bedarf de-cken. Gerade einmal zehn Prozent des saudischen Wassers kommt aus natürlichen Grundwasserspei-chern. Aus sicherheitspolitischer Sicht hat dies zur Folge, dass die Wasserversorgung als Teil kritischer Infrastruktur unter besonderem Druck steht. Beispielhaft hierfür ist die saudische Hauptstadt. Riad mit seinen inzwischen mehr als 6,5 Millionen Einwohnern speist nahezu 95 Prozent seines Wasserbedarfs aus einer einzigen Entsalzungsanlage in Ras al-Khair. Laut einer Studie des Center for Strategic and Interna-tional Studies würde ein dauerhafter Ausfall der Anlage in Ras al-Khair in Folge eines externen Angriffs die komplette Evakuierung der Hauptstadt Riad binnen einer Woche erforderlich machen.
Doch nicht nur in den Kernstaaten der Region lässt sich ein zunehmendes Risiko, welches die innere Stabilität einiger Staaten gefährden kann, in Folge des zunehmenden Wassermangels feststellen. Durch das massive Anzapfen von Grundwasserspeichern (Aquifern) in Libyen, Algerien und anderen wüs-tengeprägten Staaten, wird perspektivisch auch hier der Verteilungskampf um die noch vorhanden Reservoirs zunehmen, da auch diese Reserven langsam zur Neige gehen, was vor allem nomadisch lebende und inzwischen zumeist militarisierte Gruppierungen wie die Tuareg vor neue Herausforderungen stellt. Dass dies auch Konsequenzen für die staatliche Sicherheit haben kann, zeigen die Aufstände und Kämpfe in den Wüstengebieten der libyschen, algerischen und malischen Sahara.
Die wohl bislang stärksten Auswirkungen durch klimatische Veränderungen ließen sich im Vorfeld der syrischen Demonstrationen ab dem Jahr 2011 und dem darauffolgenden Bürgerkrieg erkennen. Denn den Auseinandersetzungen vorausgegangen war eine zehn Jahre währende extreme Dürreperiode, welche vor allem die ländliche und zumeist sunnitische Bevölkerung in Syrien sehr stark traf. Als Folge dieser anhaltenden Dürre ließ sich nicht nur eine zunehmende Landflucht in die ärmeren Randgebiete der großen Städte feststellen. Auch der Rest der syrischen Bevölkerung wurde durch den daraus folgenden Anstieg der Brotpreise hart getroffen, wodurch das Konfliktpotential bereits in den Tagen vor dem sogenannten Arabischen Frühling besonders hoch war. Da sich eine Dürre nicht nur auf ein Land beschränkt, ließen sich ähnliche Entwicklungen in diesem Zeitraum auch in anderen Staaten der arabischen Welt, insbesondere in Ägypten, feststellen.
Versalzung und Desertifikation
Neben den genannten Beispielen, wie sehr sich bereits jetzt klimatische Veränderungen auf die Stabilität innerer sowie äußerer Sicherheit auswirken, hat jede Region im Nahen und Mittleren Osten mit weiteren Problemen durch Umweltveränderungen zu kämpfen. So geraten in Folge des ansteigenden Meeresspiegels wie auch in anderen Teilen der Erde vor allem die Gebiete unter Druck, welche knapp über oder gar unter dem bisherigen Meeresspiegel liegen. Neben dem oftmals mangelnden Küstenschutz ist das Hauptproblem hier allerdings die zunehmende Versalzung der küstennahen Süßwasserreservoirs, wodurch vor allem die Landwirtschaft zu leiden hat. Dies lässt sich insbesondere in den landwirtschaftlich äußerst wichtigen Flussdeltas des Indus und des Nils erkennen. Allein in Ägypten droht den Großstädten Alexandria und Port Said ein Verlust an Anbaufläche von über 9.000 Quadratkilometern bis zum Ende des Jahrhunderts.
Neben dem bereits beschriebenen Wassermangel kommt es darüber hinaus auch zu zunehmenden Desertifikationsprozessen entlang der größeren Wüstengebiete. Oftmals durch landwirtschaftliche Überbeanspruchung der Böden und der Wasservorkommen in der Region kommt es vielfach zur Verödung ganzer Landstriche. Bestes Beispiel hierfür ist der Lake Bakhtegan. Der ehemals zweitgrößte See des Iran ist heute, ähnlich wie der Aralsee, ein nunmehr nahezu vollkommen ausgetrockneter Salzsee, ohne größeren wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nutzen. Hervorgerufen durch den menschlichen Einfluss in Form von intensiver Landwirtschaft und mehreren Staudammprojekten, beschleunigte sich die Verödung des Gebietes um den See durch die darauf folgenden lokalen Umweltveränderungen. Dies betraf nicht nur die anliegenden Siedlungsgebiete und deren Tourismusindustrie, sondern zerstörte auch weite Teile der ökologischen Vielfalt im Seegebiet – wo einst eines der größten Naturschutzgebiete Irans bestand, sieht man heute weithin nur noch eine karge Mondlandschaft.
Landflucht und Urbanisierung
Die problematischste Entwicklung, welche sich in der gesamten Region von Marokko bis Pakistan feststel-len lässt, ist allerdings die zunehmende Landflucht sowie die oftmals unkontrollierte Ausbreitung der Städte zulasten des landwirtschaftlichen Umlandes. Ähnlich wie in Syrien, wird die Landbevölkerung immer öfter durch ungewöhnlich starke und durch den Klimawandel häufiger werdende Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen von ihren Ländereien vertrieben. Selbst in trockenen Landstrichen kann es, wie 2010 im Oman oder 2018 im Iran oftmals tagelang regnen, wobei die durch Trockenheit festen Böden das Wasser nicht aufnehmen können und Überflutungen die Folge sind. Die Verwaltungen und öffentlichen Einrichtungen reagieren dabei fast immer ohnmächtig und hilflos. Wenngleich das Phänomen der Urbanisierung bereits vor dem einsetzenden Klimawandel bestand, so wirken die klimatischen Veränderungen auch hier als zusätzlicher Faktor, der den Druck auf die Metropolen vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern anwachsen lässt. Was sich daraus ergibt ist ein bedrohlicher sogenannter Feedback Loop: Durch vermehrt vorkommende Wetterextreme wie Hitzewellen und Dürren sinkt beispielsweise die Weizenproduktion, wodurch vor allem ärmere, auf dem Land arbeitende Bevölkerungsschichten ihre Arbeit verlieren und zur Landflucht getrieben werden. Als Folge der nun brachliegenden Gebiete verbreiten sich urbane Räume noch schneller, wodurch es zu einer weiteren Verstädterung kommt und weniger bestellbare Anbaufläche für zukünftige Aussaaten zur Verfügung steht. Eine weitergehende Landflucht ist die Folge. In der Region um Lahore in Pakistan etwa gingen so innerhalb der letzten 30 Jahre fast 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche verloren.
Ansätze für eine verbesserte sicherheitspolitische Debatte
Grundsätzlich kann der Klimawandel in der gesamten Nah- und Mittelostregion als Brandbeschleuniger angesehen werden. Vor allem bereits bestehende gesellschaftliche Probleme werden zunehmend ange-heizt, wodurch im Besonderen die innere Sicherheit in den Staaten der Region gefährdet wird. Dass die geschilderten Entwicklungen und Ereignisse nur wenig in Konfliktanalysen der Vergangenheit Einzug fan-den, zeigt auch, wie unzureichend beleuchtet die Thematik der klimatischen Veränderungen vor allem in der breiten sicherheitspolitischen Debatte ist. Vorbildhaft könnte auch hier die angloamerikanische Strategic Community sein, die sich in zahlreichen Konferenzen, Aufsätzen und anderen wissenschaftlichen Abhandlungen intensiver mit der Thematik auseinandersetzt, als dies in Deutschland bislang der Fall ist. Somit stellt sich die Frage, welche Schritte unternommen werden müssen, um die politischen Entscheidungsträger, die Wirtschaft und die Gesellschaft für solche Zusammenhänge zu sensibilisieren.
Da nicht nur das Beispiel des Nahen und Mittleren Ostens bereits in der Vergangenheit zeigte, dass Konflikte außerhalb Europas auch Folgen für den europäischen Kontinent haben können, stellt sich somit auch für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik die Frage, wie sie mit ihren Möglichkeiten in Europa die negativen Einflüsse des Klimawandels mit Blick auf Frieden und Sicherheit eindämmen kann. Wenngleich es bereits diverse Institute und Think-Tanks gibt, die sich mit den Zusammenhängen von klimatischen Veränderungen und Sicherheitspolitik auseinandersetzen, so erscheint insbesondere in Deutschland die breite sicherheitspolitische Debatte einen großen Bogen um das Thema zu machen. Daher braucht es deutlich mehr Berücksichtigung von klimatischen Entwicklungen bei zukünftigen Debatten, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im inoffiziellen Rahmen. Zwar rücken zunehmend auch internationale Konferenzen wie zuletzt die Münchener Sicherheitskonferenz 2020 die Folgen des Klimawandels für Sicherheitspolitik in den Fokus, doch fristet das Thema auf nationaler Ebene in Deutschland noch zu oft ein Nischendasein.
Ansatzpunkte können dabei in der Weiterentwicklung und Förderung von Methoden der Strategischen Vorausschau liegen, um zukünftige Entwicklungstendenzen in den einzelnen Staaten früher erkennen zu können. Auch der Ausbau und die Fortführung bereits bestehender Projekte in öffentlichen und privaten Einrichtungen ist unabdingbar, will man zukünftige Debatten nachhaltiger führen. So entstanden mittler-weile nicht nur auf internationaler Ebene diverse Fonds wie der Green Climate Fund oder die Climate Investment Funds, an denen beispielsweise das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung intensiv beteiligt ist. Ebenso dienen Initiativen wie die Wasserdiplomatie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und des Auswärtigen Amtes in Zentralasien und der Sahelzone sowie Screeningprogramme wie das INFORMERD-Programm der EU zur Früherkennung von Katastrophen und Ernährungsengpässen dabei nicht nur der Vermittlung zwischen einzelnen Akteuren in den Regionen, sondern stärken auch die Resilienz in bedrohteren Staaten wie Pakistan oder Sudan.
Betrachten wir allerdings die Entwicklungen in der globalen Klimapolitik, so zeigt sich ein viel problemati-scheres Phänomen seit dem Pariser Klimaabkommen, welches sich auch im Kleinen etwa in Deutschland erblicken lässt: Durch Initiative einiger weniger Akteure, die keinerlei Interesse haben, dass eine klimapolitische Debatte überhaupt geführt wird, werden sogar Klimagipfel wie zuletzt in Madrid ins Stocken gebracht und nahezu obsolet. Auffällig ist dabei, dass nicht nur staatliche Delegationen etwa aus Saudi-Arabien, Australien oder den USA immer häufiger Blockadehaltungen an den Tag legen, sondern auch Unternehmen, insbesondere aus der Öl-, Kohle- und Automobilbranche auch auf dem klimapolitischen Parkett ihren Einfluss ausüben. Daher ist es entscheidend, dass wenigstens auf der europäischen Bühne ein Konsens in klimapolitischen Fragen erreicht wird. Ähnlich wie bei der Flüchtlingsfrage treten die Mitglieder der Europäischen Union noch zu uneinheitlich auf, wie nicht zuletzt der Umgang mit den enormen Waldbränden im Amazonasgebiet 2019 offenbarte. Deutschland sollte sich hier stärker an der Seite Frankreichs positionieren, will es wieder eine Vorreiterrolle im Kampf für eine nachhaltigere Politik einnehmen. Gelingt dies nicht, so wird es den Akteuren wie der US-Administration unter Donald Trump oder dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro erleichtert, eine globale Agenda im Umgang mit dem Klimawandel zu verhindern – zum Schaden aller Mitglieder der Staatengemeinschaft.
Stefan Lukas ist Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Friedrich-Schiller-Universität Jena auf dem Gebiet der Neuesten Geschichte und Sicherheitspolitik des Nahen und Mittleren Ostens. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.