Die G20 – ihre Stärken und Schwächen
Die G20 gründet auf der Voraussetzung, dass die Welt globale Koordination und globale Problemlösungen braucht. Viele der größten Herausforderungen unserer Zeit erfordern transnationale Koordination. Dazu gehören Klimawandel, Konflikte, Migration und die Bemühungen, diesen Herausforderungen mit Hilfe erneuerbarer Energien, Armutsbekämpfung, Friedenskonsolidierung und Zugang zu Bildung und zu Gesundheitsversorgung zu begegnen. Eine Welt intensiver Wirtschafts- und Finanzintegration bedarf der Bekämpfung unfairen Handels sowie der Fähigkeit, Sicherheitsbedrohungen wie Konflikte und gewaltsamen Extremismus zu bewältigen. Daher brauchen wir mehr internationale Koordination und nicht weniger. Die bestehenden internationalen und multilateralen Institutionen, einschließlich der Vereinten Nationen und der Bretton-Woods-Organe, funktionieren allerdings nicht so, wie sie sollten. Durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedsstaaten und schwindende finanzielle Mittel sind viele dieser Organisationen heute überholt und ineffizient. Auch die Bretton-Woods-Institutionen gelten nicht mehr als repräsentativ für die heutige wirtschaftliche und demographische Realität. Es besteht also ein starker funktionaler Bedarf für eine Institution wie die G20 – ein flexibles Organ, in dem mächtige Staaten zusammenkommen, ihre Meinungen austauschen, sich abstimmen und Probleme lösen. Die G20 hat diese Fähigkeit in der Tat unter Beweis gestellt, besonders beim Umgang mit der Finanzkrise 2008. Allerdings gab es auch Zeiten, in denen die G20-Treffen weniger folgenreich waren und globale Probleme nicht lösen konnten.
Unbenommen ihrer Erfolge leidet die G20 unter mehreren strukturellen Schwächen. Erstens ist sie ein selbsternannter Klub. Sie hat grundsätzlich kein Mandat, im Auftrag anderer zu handeln, abgesehen von ihren Mitgliedsstaaten. Daher besteht immer die Gefahr, dass an Stelle der Interessen der Weltöffentlichkeit „Klubinteressen“ verfolgt werden. Zweitens ist die G20 nicht repräsentativ. Obwohl auf die G20-Staaten etwa 85 Prozent des weltweiten BIP, 80 Prozent des Welthandels und etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung entfallen, repräsentiert sie nicht die 193 VN-Mitgliedsstaaten. Solange Staaten die in internationalen Angelegenheiten relevante Größe sind, wird die G20 kein repräsentatives Organ sein. Es besteht ein intrinsisches Risiko, dass diese unausgewogene Repräsentation auch die Agenda und die Handlungen der G20 beeinflusst. Drittens mangelt es der G20 aufgrund ihrer Größe an Effektivität. Allein dass 20 verschiedene Länder aus allen Regionen der Welt an einem Tisch sitzen, stellt bereits ein großes Hindernis für einen effizienten Informationsaustausch und ebenso für die Entscheidungsfindung dar. Die G20 neigt auch dazu, ihre Agenda zu überfrachten, was zu mangelnder Nachbereitung und Kontinuität führen kann. Zudem verfügt die G20 über keine unabhängigen Finanz- und Rechtsinstrumente, sodass ihre Handlungsfähigkeit abseits der jährlichen Gipfeltreffen begrenzt ist.
Die G20 ist und bleibt keine internationale Organisation. Sie gründet auf keinem Vertrag und hat abgesehen von der Identität ihrer Mitglieder keine rechtliche Identität. Das bedeutet, dass die G20 kein eigenes Sekretariat oder eigene Beamte besitzt. Sie kann keine rechtswirksame Vereinbarung eingehen und tatsächlich nicht einmal eine eigene dauerhafte Website betreiben. Die G20 sollte daher eher als Arena oder Plattform angesehen werden und nicht als eine Institution mit unabhängiger Handlungsfähigkeit.
Die Nichtmitglieder und ihre Standpunkte
Viele Staaten, Regionen und Organisationen haben Bedenken über die G20 geäußert. Es gab radikalere Stimmen bis hin zur Forderung eines totalen Boykotts der G20. Andere zeigten sich konstruktiver und betonten, dass mehr Regionen in der G20 vertreten sein müssten, zum Beispiel durch afrikanische, arabische und nordische Partner. Die nordische Perspektive gründet auf der Tatsache, dass keiner der nordischen Staaten (Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Island) Mitglied der G20 ist – wenngleich Schweden, Dänemark und Finnland als EU-Mitgliedstaaten indirekt repräsentiert werden. Die deutsche G20-Präsidentschaft 2017 hat neben den Niederlanden und Singapur auch Norwegen als Partnerland eingeladen. Dies war eine willkommene bilaterale Geste, die von der norwegischen Regierung sehr geschätzt wird. Wir wissen jedoch alle, dass ein Gast nicht den gleichen Status hat wie ein Vollmitglied.
Obwohl die nordischen Staaten keine Mitglieder sind, haben sie deutliches Interesse daran gezeigt, mit der G20 zusammen zu arbeiten. So schlug zum Beispiel der norwegische Außenminister Jonas Gahr Støre im Jahr 2009 vor, dass die Mitglieder des Nordischen Rats – bestehend aus Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland und Island –einen gemeinsamen rotierenden Sitz in der G20 erhalten könnten (mit dem Zusatz, dass dies auch die baltischen Staaten und eventuell Polen mit einschließen könnte). Er sprach sich zudem dafür aus, dass die G20 ähnliche Vereinbarungen für andere unterrepräsentierte Gruppen wie afrikanische und arabische Staaten prüfen sollten. Der Nordische Ministerrat setzt sich weiterhin für mehr Zusammenarbeit mit der G20 ein und hat vor kurzem ein hochrangige Tagung mit dem Titel „Kann die nordische Region in der G20 an Einfluss gewinnen?“ abgehalten. Ziel dieses Treffens war es, im Allgemeinen die Rolle der nordischen Staaten angesichts zunehmender globaler Instabilität zu diskutieren. Jetzt, da Schweden für den Zeitraum 2017 bis 2018 als Nichtständiges Mitglied in den VN-Sicherheitsrat gewählt worden ist, liegt den nordischen Staaten besonders viel daran, sich gemeinsam wirksam für Frieden und Sicherheit einzusetzen.
Die nordische Zusammenarbeit mit der G20 ist nicht auf die Regierungsebene beschränkt. Nach dem G20-Gipfel in China letztes Jahr verfassten zum Beispiel Gewerkschaften aus den nordischen Staaten, die gemeinsam mehr als 9 Millionen Arbeitnehmer repräsentieren, einen Kommentar, in dem sie sich für eine nordische G20-Mitgliedschaft einsetzten. Sie argumentieren, dass die G20 nach der Finanzkrise 2008 de facto die entscheidungstreffende Instanz für globale Wirtschaftspolitik geworden sei und dass man diese Politik nur beeinflussen könne, indem man Mitglied werde. Zudem sind diese Gewerkschaften der Ansicht, dass die G20 ein wichtiges Forum sei, um eine Politik nach dem schwedischen Modell zu vertreten, das wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und freien Handel mit sozialem Schutz und der Verteilung von Wohlstand verbindet. Anstatt die G20 etwa dafür anzugreifen, dass sie niemandem Rechenschaft ablege und die Missstände der Globalisierung ignoriere, sehen die nordischen Gewerkschaften nun eine Möglichkeit, zu der Erarbeitung einer G20-Agenda zu Wirtschaftspolitik, Arbeitsmärkten und anderen Themen beizutragen. Dies ist von großer Bedeutung, da die Gewerkschaften einen wichtigen Teil des schwedischen Modells darstellen, vor allem mit den dreiseitigen Konsultationen, in denen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regierungen zusammenkommen und Arbeitsnormen und Arbeitsmarktpolitik ausarbeiten und verhandeln. Dieser konsensbasierte Ansatz ist der Dreh- und Angelpunkt des schwedischen Modells, das seit mehreren Jahrzehnten mit starkem Wirtschaftswachstum, niedrigen Handelshindernissen und hohen Beschäftigungszahlen sowie starkem Schutz der Arbeitsplätze einhergeht. Diese Aspekte sollten auf die G20 sehr anziehend wirken, da in vielen Mitgliedsstaaten gerade Ungleichheit und Unzufriedenheit die Politik bestimmen.
Die nordische Perspektive
Das starke Interesse und der Einsatz der nordischen Staaten, einschließlich Norwegens Vorschlag zur Einrichtung eines nordischen Sitzes in der G20, lassen sich durch mehrere Gründe erklären. Zunächst sind die nordischen Staaten besorgt, dass bedeutende und grundlegende Debatten von den Vereinten Nationen und anderen Organen hin zur G20 verschoben werden könnten. Die VN würden dadurch an Attraktivität als Plattform und an Einfluss als entscheidungstreffende Institution verlieren. Da Staats- und Regierungschefs zudem nur begrenzte Zeit zur Verfügung haben, müssen sie Prioritäten setzen und entscheiden, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen und mit wem sie sich treffen. Da die G20-Treffen dieselbe hochrangige Präsenz und Mitarbeit erfordern wie die VN, bedeuten mehr G20-Treffen weniger freie Tage, um sich in diesen anderen Organisationen zu engagieren. Kurz, die nordischen Staaten haben Bedenken, dass die G20 die etablierte Ordnung internationaler Institutionen unterwandern könnte. Eine erfolgreiche G20 könnte als alternatives globales Forum eventuell auch die Anreize für eine notwendige Reform der VN reduzieren und die VN somit überflüssig werden lassen.
Die Bedenken der nordischen Staaten bezüglich der G20 basieren auch auf Eigeninteresse und vor allem auf der Angst, ausgeschlossen zu werden. Die nordischen Staaten haben in der Vergangenheit in internationalen Foren eine aktive und unterstützende Rolle gespielt, insbesondere in der Entwicklung, Förderung und Finanzierung der VN. Mit dem Aufstieg der G20 fanden sich die nordischen Staaten hingegen zum ersten Mal seit 1945 von einem wichtigen internationalen Organ ausgeschlossen. Ein weiterer Punkt betrifft die Kriterien für eine Mitgliedschaft in der G20. Eine G20-Mitgliedschaft bringt offensichtlich Status, Anerkennung und Ansehen in der internationalen Gemeinschaft mit sich, aber es gibt keine klaren Beitrittskriterien. Wirtschaftliche Größe ist ein Parameter, aber es scheint auch andere Faktoren zu geben wie zum Beispiel geografische Lage und Bevölkerungszahl.
Schweden und Norwegen zählen beide zu den 25 größten Volkswirtschaften der Welt. Die nordischen Staaten stellen mit 26 Millionen Einwohnern zwar nur 0,3 Prozent der Weltbevölkerung, doch ihre Volkswirtschaften repräsentieren fast zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Als Gruppe sind die nordischen Staaten die zwölftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, direkt hinter Indien und Russland, aber vor Südkorea und Spanien. Die nordischen Staaten steigern ihre Bedeutung nicht nur in Bezug auf Welthandel, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und ausländische Direktinvestitionen, sondern auch in der internationalen Finanzbranche. So hält Norwegens staatlicher Pensionsfonds mit einem Wert von etwa 900 Milliarden US-Dollar mehr als ein Prozent des weltweiten Aktienmarkts, oder anders ausgedrückt: Der staatliche norwegische Vermögensfonds ist ein bedeutender Akteur auf dem globalen Finanzmarkt.
Die nordischen Staaten verfügen zudem über wertvolle globale Markterfahrung, von der andere Länder profitieren könnten. Bei ihnen steht ein größerer Teil der Wirtschaft in Verbindung mit den globalen Märkten, als bei den meisten anderen Ländern weltweit, einschließlich der größeren G20-Nationen. Die nordischen Staaten sind äußerst globalisierte Volkswirtschaften und stehen in weltweiten Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit weit oben. In Bezug auf Lebensqualität, politische Stabilität, wirtschaftliche Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie, Nachhaltigkeit und viele andere Parameter schneiden sie ebenfalls sehr gut ab. Diese Kombination ist ziemlich einzigartig und spiegelt eigentlich ein idealtypisches G20-Land wider. Die nordischen Staaten glauben also, dass sie trotz ihrer geringen Größe wichtige Einsichten und Erfahrungen zu bieten haben — vor allem in der heutigen Situation, da einige Politiker Welthandel und Globalisierung für die Ungleichheit zwischen den OECD-Staaten verantwortlich machen. Die nordischen Staaten haben auch gezeigt, wie politische Maßnahmen in den Bereichen Steuern, Bildung, Gesundheitsversorgung und Klima zu einer nachhaltigeren Globalisierung und einer gerechteren Verteilung der Gewinne beitragen können.
Zukunftsaussichten
Der Vorschlag, die nordischen Staaten mit in die G20 einzuschließen, wurde jedoch nicht umgesetzt. Es gibt mehrere gute Gründe dafür. Erstens würde eine Erweiterung der G20 höchstwahrscheinlich die Position und den Einfluss der Institution unterwandern. Die Idee eines vergleichsweise kleinen und informellen Organs bildet schließlich die Grundlage der G20. Es ließe sich anführen, dass die G20 bereits zu groß und unkontrollierbar ist. Eine mögliche Erweiterung der G20 sollte also eher nichteuropäische Staaten einbeziehen. Der Erfolg der G20 basiert auf einer Ausdehnung der Zusammenarbeit und Repräsentation über den Westen hinaus, und Europa ist in der G20 tatsächlich bereits überrepräsentiert, so wie in vielen anderen internationalen Institutionen. Eine nordische Mitgliedschaft hätte also ironischerweise zu einer noch weniger repräsentativen G20 führen können.
Zweitens würde es den nordischen Staaten wahrscheinlich schwer fallen, als Einheit aufzutreten. Obwohl sie in Bezug auf Wirtschaft und Politik viele Gemeinsamkeiten aufweisen, ist die G20 keine Plattform, in der die nordischen Staaten leicht als einheitlicher Block agieren könnten. Solange Schweden, Finnland und Dänemark Mitglieder der Europäischen Union sind, wird dies die treibende Kraft für ihre internationale Politik sein – und nicht der Nordische Rat. In Bezug auf Sicherheit zeigt sich ein ähnliches Bild: Norwegens, Dänemarks und Islands Mitgliedschaft in der NATO wird immer schwerer wiegen als jeder gemeinsame nordische Standpunkt, der die Nicht-NATO-Staaten Schweden und Finnland miteinschließen würde. Es bleibt dabei, dass die nordischen Staaten nur begrenzte Anreize haben, auf internationaler Ebene gemeinsame Standpunkte zu vertreten – und dies würde auch für die G20 gelten, wenn sie in dieses Organ aufgenommen werden sollten.
Solange Staaten die Bausteine für globalen Regierens bleiben, wird es immer Bedenken bezüglich der Inklusivität und Legitimität der G20 geben. Eine Erweiterung des Formats, zum Beispiel durch eine Einbindung der nordischen Staaten, ist unrealistisch und würde, wie oben erläutert, auch nicht viel verbessern. Die G20 sollte sich als Förderer und Unterstützer der der breiteren internationalen Agenda verstehen und diese nicht herausfordern. Die G20 wäre am effektivsten, wenn sie mit anderen Organen zusammenarbeiten und dabei helfen würde, neue Themen auf die globale Agenda zu setzen sowie bereits beschlossene Maßnahmen umzusetzen.
Es gibt einige Maßnahmen in dieser Hinsicht: Zunächst sollten die G20-Staaten weiterhin eine aktive Rolle in den VN sowie anderen internationalen Institutionen übernehmen und so die Unterteilung in G20-Mitglieder und Nichtmitglieder etwas entschärfen. Eine Mitgliedschaft in der G20 sollte nicht den Einsatz in den VN oder anderen internationalen Organen ersetzen. Zudem sollte ein Engagement in der G20 die momentanen Bemühungen zur Finanzierung und Reform der VN fördern und nicht das Gegenteil. Anstrengungen seitens der deutschen und der chinesischen Präsidentschaft, die Agenda 2030 und das Übereinkommen von Paris zu unterstützen und zu fördern, sind in diesem Kontext von großer Bedeutung. Zweitens sollten die G20-Staaten sich aktiver um Beiträge von Nichtmitgliedsstaaten bemühen und diese miteinbeziehen.
Im Gegenzug sollten Nichtmitgliedsstaaten sich bemühen, ihre Beiträge zur G20 konstruktiv und rechtzeitig einzureichen. Die nordischen Staaten haben damit bereits begonnen. Auf dem Hangzhou-Gipfel 2016 stellten sie zum Beispiel einen Bericht zum Thema „Green Financing: the Nordic Way“ vor. Die G20 sollte diesem Beispiel folgen und sicher gehen, dass andere wichtige Akteure an dieser globalen Diskussionen beteiligt sind.
Dr. Ulf Sverdrup ist Direktor des Norwegian Institute of International Affairs (NUPI). Joachim Nahem ist Senior Advisor am NUPI. Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder.
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4