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Angriff auf den Westen: Welche Strategie verfolgt der Islamische Staat?

21/2016
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Eine Kette von Anschlägen seit 2015 zeigt, dass der „Islamische Staat“ seinen Kampf auch gegen westliche Ziele führt. Warum tut er das angesichts der überragenden Bedeutung des Projekts des Kalifats und welche Strategie verfolgt er hierbei? Die Antworten hierauf machen deutlich, dass sich Europa und Amerika wahrscheinlich auf eine mehrjährige terroristische Kampagne in den westlichen Ländern selbst einstellen müssen.

Der Krieg des „Islamischen Staates“ gegen westliche Länder begann scheinbar im letzten November: bei Anschlägen in Paris wurden 130 Menschen getötet. Kurz darauf ermordete ein Ehepaar in Kalifornien 14 Menschen. Im Januar 2016 tötet ein Selbstmordattentäter 12 Deutsche in Istanbul. Wenige Monate später folgten Anschläge in Brüssel (32 Tote), Orlando (49 Tote), erneut Istanbul (44 Tote), Dhaka (28), Nizza (84), Würzburg und Ansbach (jeweils mehrere Schwerverletzte). Darüber hinaus kamen Meldungen über Anschläge, die noch verhindert werden konnten, so in Antwerpen, in Kenia, Düsseldorf und wieder im Großraum Brüssel. Nach Aussage von Ermittlern sind sämtliche dieser Anschläge und Anschlagsversuche dem „Islamischen Staat“ (IS) zuzuordnen.

Die Aufzählung macht bereits mehrere Tatsachen deutlich. Erstens, der IS führt seinen Kampf nicht mehr nur im Irak oder in Syrien, sondern weltweit. Zweitens, der IS hat sich entschlossen, die Staaten der westlichen Welt (der Einfachheit halber sind damit die Mitgliedsländer von NATO und EU gemeint) zu bekämpfen. Drittens, Deutschland, das in den letzten Jahren nicht in der Zieloptik von Dschihadisten zu stehen schien, gehört zu den Ländern, gegen die der IS Krieg führt.

Bis zu den Anschlägen in Paris oder sogar Brüssel war die herrschende Meinung unter Sicherheitsexperten, dass der IS nicht den Westen bekämpfe, sondern den Fokus auf die Eroberung und Sicherung seines im August 2014 ausgerufenen Kalifats lege. Auf Grund dieses bisher einmaligen und revolutionären Projekts, wäre es nach dieser Auffassung daher nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv, nunmehr eine weitere Front zu eröffnen, insbesondere wenn dies den Kampf gegen die USA beinhalten würde, deren überlegenes militärisches Potenzial die Vorläuferorganisation des IS, den sog. Islamischen Staat Irak (ISI, zwischen 2006 und 2011 schon einmal an den Rand der Existenz gebracht hat. Diese Argumentation scheint auch heute noch schlüssig, vor allem angesichts der dramatischen Verluste, die der IS in den letzten Monaten in Syrien und dem Irak hinnehmen musste. Trotzdem ist es unzweifelhaft, dass der IS den Westen bekämpft. Entweder war die Annahme von der beherrschenden Priorität des Kalifats fehlerhaft und die Ziele des IS wurden falsch oder zumindest unvollständig eingeschätzt. Oder es muss sich etwas geändert haben, das den IS dazu gebracht hat, seinen Krieg nunmehr auch gegen den Westen zu führen. Egal, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, es scheint wichtig, zu verstehen, warum westliche Länder so sehr in den Fokus des IS gerückt sind. Nur so lassen sich begründete Aussagen darüber treffen, wie die Kampagne des IS weiter gehen wird und welche Optionen die westlichen Länder bei der Bekämpfung des IS haben.

Angriff und Gegenangriff

Aus Sicht des IS gehören die „Kreuzfahrer“ seit jeher zu den Feinden des wahren Islams und der Verwirklichung der göttlichen Ordnung auf Erden. Da im IS-Denken Gewalt gegen Ungläubige legitim ist, hat es im Prinzip daher auch nie einer besonderen Begründung bedurft, um gegen den Westen vorzugehen. Dennoch schien der IS, einschließlich der Vorgängerorganisationen Al Qaida im Irak beziehungsweise ISI, bis Paris praktisch keine1 Anschläge im westlichen Ausland zu verüben. Grundlage für diesen Bruch ist die Entwicklung im Sommer 2014. Im Juni hatte der IS in einem Blitzkrieg weite Teile des westlichen Iraks erobert und das Kalifat verkündet. Als der IS im Zuge weiterer Kampfhandlungen auf kurdische Gebiete vorrückte und – begleitet von Massakern und Versklavungen – hunderttausende von Christen und Jesiden zur Flucht zwang, griffen die USA ein und bombardierten ab dem 08. August 2014 Stellungen des IS. Unter Einbeziehung weiterer Länder wurden diese Angriffe ab September auch auf Syrien ausgedehnt. Seit diesem Zeitpunkt ist eine internationale Militärkoalition unter Führung der USA maßgeblich an der Bekämpfung des IS durch regionale Kräfte beteiligt.

Die Antwort des IS kam prompt. Ab dem 12. August 2014 wurden westliche Geiseln des IS, die sich bereits längere Zeit in Gewalt der Gruppe befunden hatten, publikumswirksam vor laufender Kamera enthauptet. Im September 2014 rief der Sprecher des IS, Adnani, dazu auf, die Kreuzfahrer überall dort, wo man ihnen begegne, zu töten, zur Not indem man sie mit einem Auto überfahre oder ihnen den Kopf mit einem Stein einschlage. Im Januar 2015, also schon zehn Monate vor Paris, wurde im belgischen Verviers eine Zelle des IS zerschlagen, die offenbar kurz vor einem Anschlag stand. Im März und Juni 2015 folgten Anschläge auf westliche Touristen in Tunesien. Im August konnte durch das Eingreifen von Fahrgästen im „Thalys“ ein Blutbad verhindert werden. Erfolgreich waren dagegen Anschläge in Ankara und Suruc in der Türkei, auf eine russische Passagiermaschine über dem Sinai, in Paris und San Bernardino. Auch hier handelt es sich nur um eine Auswahl von erfolgten oder verhinderten Anschlägen des IS. 2016 ging es, wie bereits oben dargestellt, ähnlich weiter.

Mindestens bis Paris wurde der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ereignissen unzureichend wahrgenommen. Im Nachhinein ist die zeitliche Abfolge jedoch überdeutlich. Die USA beginnen mit Angriffen auf den IS, unmittelbar darauf werden die Geiseln mit größtmöglichem Propagandaeffekt ermordet. Kurze Zeit später erfolgt der Aufruf von Adnani, der in seiner blinden Wut und den Mitteln, zu denen er rät, zunächst eher hilflos als bedrohlich wirkte. Ab September kommt es bereits zu Angriffen von IS-inspirierten Einzeltätern, unter anderem in Kanada und Australien. Ab Anfang 2015 aber, nachdem der Krieg gegen den IS ausgeweitet wurde, finden in dichter Folge Anschläge beziehungsweise Anschlagsversuche statt.

Allein dieser Verlauf legt erstens überaus nahe, dass der IS ab der zweiten Jahreshälfte 2014 eine Kampagne gegen den Westen begonnen hat und dass diese Kampagne eine Reaktion auf die Bekämpfung des IS durch die internationale Militärkoalition ist.

Interessant ist zweitens die leichte Verzögerung in der Reaktion. Die Geiseln waren bereits in der Gewalt des IS und konnten sofort enthauptet werden. Nach Adnanis Aufruf kommt es auch zu ersten Einzelhandlungen, noch ohne hohe Opferzahlen. Die eigentlichen Terroranschläge beginnen jedoch erst einige Monate später. Die wahrscheinliche Erklärung hierfür ist, dass nachdem beschlossen wurde, westliche Ziele anzugreifen, erst logistische Vorbereitungen getroffen werden mussten, um überhaupt im Ausland losschlagen zu können. Ab Anfang 2015 war der IS dann soweit. Dieser Ablauf passt also zu der Theorie, dass der IS im August/September 2014 in Reaktion auf die Luftangriffe einen Strategiewechsel vollzogen hat. Es zeugt zudem von den bemerkenswerten Fähigkeiten des IS, seinen Aktionsraum an allen europäischen Sicherheitsbehörden vorbei innerhalb eines knappen halben Jahres derart ausweiten zu können.

Drittens ist es der IS selbst, der immer wieder sehr klar den Zusammenhang zwischen seinen Anschlägen und den Angriffen der Koalition herstellt. Dies beginnt bereits mit der Enthauptung von James Foley am 12.August 2014, die mit den Bombardements der USA begründet wird. Dasselbe gilt für den Aufruf Adnanis vom September desselben Jahres, der die Angriffe der „Kreuzfahrerstaaten“ in den Mittelpunkt stellt. Ebenso bei den Anschlägen von Paris, Brüssel oder zuletzt auch Würzburg und Ansbach. Auch der neueste Aufruf Adnanis, zu Beginn des jüngsten Ramadan, in dem er sich an alle Rechtgläubigen wendet und zum Kampf für das Kalifat aufruft, thematisiert die Luftangriffe der „Kreuzfahrer“ und fordert die Anhänger in den westlichen Ländern auf, nicht mehr in das Kalifat zu reisen, um dort zu kämpfen, sondern direkt Anschläge in den Heimatländern durchzuführen. Sowohl dieser Aufruf, Anschläge in den Heimatgesellschaften durchzuführen, als auch deren Begründung mit den Angriffen der westlichen Staaten auf den IS sind in einem kürzlich erschienenen Video des IS von Mitte August 2016 in englischer Sprache erneut unterstrichen worden.

Nicht alle Fakten passen in das Bild. Insbesondere der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel liegt drei Monate vor den geschilderten Ereignissen.2 Ebenso wurden 2015 in Spanien mutmaßliche Mitglieder von IS-Zellen verhaftet, obwohl Spanien sich nicht an den Luftangriffen beteiligt. Allerdings ist Spanien NATO-Mitglied, Teil der Anti-IS-Koalition und Heimat von drei US-Basen. Auch die in 2016 verübten Anschläge in Indonesien und Bangladesch könnten einen anderen Hintergrund haben, auch wenn die Anschläge Touristen beziehungsweise einem vor allem von Italienern frequentierten Restaurant galten. Möglicherweise geht es hier auch um den Versuch des IS, sich im asiatischen Raum zu etablieren.

Die Realität ist selten völlig eindeutig, unterm Strich ergibt sich jedoch ein klarer Befund. Die Angriffe des IS auf westliche Ziele erklären sich nicht aus blindwütiger Aggression, dem Versuch, Hass zu säen, dem Wunsch, von eigenen Niederlagen abzulenken oder dem Bemühen, einen Gottesstaat in Europa durchzusetzen. Manche dieser Aspekte mögen auch eine Rolle spielen, der primäre Grund ist jedoch ein anderer. Der IS greift uns an, weil wir ihn angreifen. Westliche Staaten führen seit Sommer 2014 Krieg gegen den IS, folglich führt der IS Krieg gegen den Westen. Dieser Krieg geht aus Sicht des IS allerdings viel weiter zurück als zwei Jahre. Er fügt sich ein in das Narrativ, wonach das Christentum mindestens seit dem Mittelalter Krieg gegen den Islam führe. Das Eingreifen der Koalition in Irak und Syrien ist nach den Kreuzzügen, der Kolonialzeit, der Gründung von Israel, der Unterstützung diverser arabischer Regime und mehreren Kriegen in der Region sozusagen die neueste Angriffswelle der „Kreuzfahrer“. Somit ist das Kalifat durchaus immer noch das zentrale Projekt des IS und sein Kampf ist weiter darauf gerichtet, es zu erhalten oder sogar auszubauen. Nur muss er es jetzt nicht mehr nur gegen Kurden oder Schiiten behaupten, sondern auch – wieder – gegen die USA, Frankreich oder Deutschland. Solange dieser Kriegszustand anhält und sich der IS aus seiner Sicht unberechtigten Angriffen gegenübersieht, wird er daher seinerseits versuchen, Anschläge gegen westliche Ziele fortzusetzen.

Die Strategie des Terrors

Wie wird der IS diesen Kampf führen? Aufschluss über die zu Grunde liegenden Überlegungen gibt die in IS-Kreisen verbreitete Abhandlung „The Management of Savagery“ von Abu Bakr Naji.3 Sein in 2004 publizierter dschihadistischer Text beschäftigt sich mit der klassischen Frage des Terrorismus, wie man aus einer vermeintlichen Position der Schwäche, durch Gewalt eine Gesellschaftsordnung im eigenen Sinne durchsetzen kann.

Der IS ist sich bewusst, dass er im direkten Vergleich dem Westen militärisch klar unterlegen ist. Die von Naji vorgeschlagene und vom IS befolgte Strategie geht deshalb von einem lang andauernden und harten Kampf aus, der auch auf eigener Seite erhebliche Opfer fordern wird. Die Strategie besteht demgemäß nicht darin, wie Al Qaida nur einen oder wenige Großanschläge nach dem Muster des 11. September zu begehen und dann zu hoffen, dass der Westen einknickt. Vielmehr geht es darum, immer wieder kleinere Anschläge auf unterschiedliche Ziele zu verüben. Dabei soll organisatorisch und regional möglichst dezentral vorgegangen werden. Dies schützt nicht nur die unabhängig operierenden Zellen vor Aufdeckung und garantiert einen maximalen Überraschungseffekt, sondern zwingt den Gegner, der nicht weiß, wo und wie der nächste Anschlag stattfinden wird, auch dazu, viel Kraft auf den Schutz von denkbaren Zielen zu verschwenden. Die Erwartung ist nicht, einen einzelnen grandiosen Sieg zu erringen, der Sieg ist vielmehr das Ergebnis vieler kleiner Siege, d.h. vieler erfolgreicher Schläge gegen den Feind. Die westlichen Länder sollen einen solch hohen Preis in Blut und Geld zahlen, dass sie schließlich aufgeben. Der terroristische Kampf ist also von vornherein als Abnutzungskrieg konzipiert, Sieger wird derjenige sein, der am meisten Härte und den größeren Durchhaltewillen besitzt.

Naji und der IS sind zuversichtlich, diesen Kampf gewinnen zu können, weil der Westen zwar militärisch weit überlegen sein mag, aber nicht moralisch. Die Gesellschaften des Westens sind, so das Urteil, durch Materialismus und Eigennutz geprägt. Das Interesse gilt allein dem Diesseits und darin einem Leben des Genusses und der Anhäufung materieller Güter. Während sich die Gotteskämpfer in einen Zusammenhang einordnen, der größer ist als ihr individuelles Leben, besitzen nach ihrer Ansicht die westlichen Gesellschaften auf Grund dieses Materialismus und des alles durchdringenden persönlichen Nutzdenkens keine tiefer gehende gesellschaftliche Kohäsion. Alles, folglich auch der Kampf gegen den Islam, steht unter dem Vorbehalt der Sicherung des materiellen Wohlergehens. Daraus folgt, sobald die Kosten für die westlichen Gesellschaften zu hoch werden, werden sie aus Eigeninteresse, mangelnder Opferbereitschaft und fehlendem Durchhaltevermögen bestrebt sein, den Kampf zu beenden. Genau dies, so die Einschätzung, macht uns angreifbar.

Aus dschihadistischer Sicht ist es daher geboten, gezielt den Willen der westlichen Gesellschaften zur Kriegführung anzugreifen und zu untergraben. Dies kann eine wirtschaftliche Komponente beinhalten, nämlich den Gegner auf Grund der allgegenwärtigen Bedrohung zu zwingen, hohe Summen in Schutz- und Bekämpfungsmaßnahmen zu investieren, die sonst für andere Zwecke zur Verfügung stünden. Vor allem aber geht es darum, immer wieder möglichst viele Menschen möglichst brutal zu töten und entsprechende Schockwirkung auszulösen. Je härter die Anschläge, desto größer der Schrecken, desto geringer der Wille in Deutschland, Frankreich usw., den Kampf gegen einen solchen Gegner fortzusetzen – das ist die Überlegung hinter dem Terror. Zurückhaltung bei der Ausübung von Gewalt wäre kontraproduktiv. Je mehr Blut, desto klarer die Botschaft. Wenn die westlichen Gesellschaften erkennen, dass der Terror trotz aller Abwehrmaßnahmen und damit verbundenen Einschränkungen nicht aufhört, wird der Wille, den Kampf fortzusetzen, erodieren. Der Sieg ist also vor allem Ergebnis des stärkeren Durchhaltewillen, die Terrorkampagne wird so lange fortgesetzt, bis man entweder selbst nicht mehr kann oder der Gegner sich zurückzieht, das heißt, seinerseits den Kampf gegen das Kalifat aufgegeben hat.

Ausblick

Der Nexus zwischen den Anschlägen und der Bekämpfung des IS eröffnet den an der Koalition gegen den IS beteiligten Staaten theoretisch die Möglichkeit, weitere Anschläge zu verhindern, indem das betreffende Land die Koalition verlässt und den Kampf gegen den IS einstellt. Dies würde allerdings nicht nur die Solidarität mit den engsten Verbündeten aufkündigen, sondern hieße auch, dass man bereit wäre, dem IS, einschließlich seines potenziell genozidalen Vorgehens gegenüber Schiiten oder Jesiden freien Raum zu lassen. Es würde zudem bedeuten, nicht länger gegen den extremistischen Islam in Deutschland und anderswo selbst vorzugehen. Diese Option scheidet damit aus, es gibt keine Alternative dazu, den IS mit militärischen, nachrichtendienstlichen und polizeilichen sowie gesellschaftspolitischen Mitteln möglichst entschlossen zu bekämpfen.

Deutschland, Europa und die weiteren westlichen Staaten müssen sich daher auf weitere Anschläge einstellen. Dies kann in Form eines organisierten Kommandos erfolgen, aber ebenso durch Einzeltäter, die im weitesten Sinne im Auftrag des IS handeln oder durch Personen, die zwar keinen direkten Kontakt zum IS haben aber durch dessen Propaganda mobilisiert wurden. Da der IS sogenannte „lone-wolf-attacks“ immer wieder ausdrücklich fordert beziehungsweise durch dauernde Propaganda versucht, Leute zu derartigen Attacken zu bewegen, und sich diese im Nachhinein zu Eigen macht, sind solche Anschläge Teil der IS-Strategie und müssen ihm zugerechnet werden. Ob eine tatsächliche Steuerung erfolgt ist oder nicht, ist für die Frage, ob es sich tatsächlich um einen Anschlag des IS handelt, unerheblich.4

Unterm Strich bedienen sich die Anschläge des IS einfacher Mittel. Da dieser Modus operandi erfolgreich ist, wird er weiter Anwendung finden. Davon abgesehen aber scheint das Vorgehen keinen starren Regeln zu folgen, sondern sich den jeweiligen Umständen anzupassen. Man wird daher in Zukunft auch mit Vorgehensweisen und Zielen rechnen müssen, die neu sind. Aus der terroristischen Logik des IS ergibt sich, dass er im Interesse der Schockwirkung darauf abzielt, möglichst hohe Opferzahlen zu erzielen. Bedroht sind damit in allererster Linie ungeschützte Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen. Es ist eine Strategie, die auf Jahre hin angelegt ist und auch nach einem etwaigen Zusammenbruch des Kalifats fortgeführt werden kann, zumal eine Zerschlagung des Kalifats vom IS nicht als endgültige Niederlage verstanden wird, sondern als Station in einem langen, harten Kampf. Sein Reservoir an Kämpfern ist im Vergleich zu sämtlichen früheren Terrorgruppen immens. Er kann nicht nur auf die circa 7.000 Kämpfer aus westlichen Ländern zählen, die nach Syrien gereist sind, sondern ebenso auf viele Unterstützer, die der Aufforderung Adnanis folgen und gleich zu Hause bleiben, um den Kampf dort zu führen. Auch finanzielle Mittel dürften angesichts der immensen Einnahmen des IS reichlich zur Verfügung stehen.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Krieg gegen diese Terrororganisation voraussichtlich noch Jahre andauern und auch auf unserer Seite viele Opfer fordern wird. Umso wichtiger ist neben der Stärkung unserer Resilienz die entschlossene Bekämpfung dieser Organisation mit allen Mitteln, die unser Rechtsstaat erlaubt.

Dr. Ulf Brüggemann ist Referent an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

1 Es gibt einen Anschlag, der bereits im Mai 2014 Bezüge zum IS aufweist, nämlich der Angriff auf das jüdische Museum in Brüssel. Der Attentäter, Nemmouche, hatte sich 2013 in Syrien aufgehalten und war dort Teil einer Gruppe, die französische Gefangene des IS bewacht hat. Einige Monate vor dem Anschlag hatte er zudem ein längeres Telefonat mit Abaaoud geführt, der später bei den Anschlägen in Paris im November 2015 eine maßgebliche Rolle spielte.

2 Rukmini Callimachi von der New York Times vertritt in einem interessanten Artikel die Meinung, dass der IS schon mindestens zwei Jahre vor den Anschlägen in Paris mit dem Kampf gegen den Westen begonnen habe. Siehe http://www.nytimes.com/2016/03/29/world/europe/isis-attacks-paris-brussels.html?_r=0. Sie liefert allerdings keine Erklärung, aus welchen Überlegungen der IS plötzlich begonnen haben soll, militärisch weit überlegene Länder anzugreifen, die die Organisation bis zu diesem Zeitpunkt dahin völlig ignoriert hatten. US-Präsident Obama hat den IS bekanntlich noch Anfang 2014 im Vergleich zu Al Qaida als „junior varsity team“ abgetan, das keine echte Bedrohung darstelle.

4 Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Diskussion oft zu schnell von selbstradikalisierten Einzeltätern ausgeht. In zahlreichen Fällen ergeben weitere Ermittlungen, dass Attentäter im Zusammenhang mit ihrem Anschlag entgegen erster Annahmen doch Verbindungen zu weiteren Personen hatten oder sogar gesteuert wurden.

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/5

 

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Innerstaatliche Konflikte
Terrorismus
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