Im Zusammenhang mit den jüngsten Vorfällen brutalster terroristischer Gewalt in Paris, Brüssel oder Orlando tauchte immer wieder der Begriff der „Resilienz“ auf. Demnach müssen Gesellschaften und Staaten „resilient“ sein, um mit den Folgen solch katastrophaler Ereignisse besser fertig werden zu können und nicht daran zu zerbrechen. Dieser zunehmende Fokus auf den effektiven „Umgang“ mit – aber auch das „Gewöhnen an“ – Schocks, Krisen und Verwundbarkeiten resultiert aus der – oft schmerzhaften – Erkenntnis, dass es freiheitlich-demokratischen Staaten trotz bestmöglicher Präventiv- und Vorbereitunsmaßnahmen unmöglich ist, sich gegen alle potentiellen Unsicherheiten zu wappnen und einen allumfassenden Schutz ihrer Bevölkerung zu gewährleisten. Resilienz hingegen erkennt Verwundbarkeiten an und verspricht als „Krisenfestigkeit“ eine Alternative zum letztlich irrealen Wunsch größtmöglicher „Unverwundbarkeit“. Allerdings bestehen trotz der gegenwärtigen Prominenz des Begriffs weitgehende Unklarheit und Uneinigkeit darüber, was denn nun mit Resilienz konkret gemeint ist, welche Fähigkeiten und Prozesse sich hinter Resilienz verbergen und welche Ziele Resilienzpolitik verfolgen sollte. Ein Überblick über die zugrundeliegenden Kontroversen soll helfen, die Komplexität und Relevanz des Schlüsselbegriffs Resilienz besser zu verorten.
Was ist Resilienz? – Konzeptionelle Herausforderungen
Trotz des aktuellen Wirbels um Resilienz ist der Begriff an sich nicht neu, sondern wird bereits seit den 1940er und 1950er Jahren in der Psychologie verwendet. Ausgangspunkt hierfür waren psychologische Studien, die versuchten, zu ergründen, was Menschen dazu in die Lage versetzt, persönliche Notlagen und unvorhersehbare Widrigkeiten zu bewältigen. Die damit verbundene Fähigkeit, (plötzliche) Störungen und Krisen so zu verkraften beziehungsweise sich davon so zu erholen, dass wesentliche Funktionen aufrechterhalten bleiben, bildet bis heute den kleinsten gemeinsamen Nenner der klassischen Deutungen des Terminus Resilienz.
In den darauffolgenden Jahrzehnten fand die Resilienz-Forschung immer breitere Anwendung. Dies bezog sich sowohl auf verschiedene Analyseebenen (Individuen, Organisationen, technische Komponenten sowie Gesellschaften) und vielfältige Disziplinen (Ingenieurswissenschaften, Ökologie, Ökonomie, Sozial- und Organisationswissenschaften oder Sicherheitsforschung) als auch auf unterschiedliche Politikfelder (Sicherheits-, Entwicklungs- oder Klimapolitik). Angesichts der Zunahme von verheerenden Naturereignissen und der ansteigenden Gefahr terroristischer Anschläge rückte Resilienz als „Widerstands- und Regenerationsfähigkeit“ beziehungsweise „Krisenfestigkeit“ besonders in den letzten Jahren in den Mittelpunkt von Überlegungen zum Katastrophen- und Krisenmanagement beziehungsweise zum Zivilschutz. Eine der aktuellsten Entwicklungen lässt sich im Bereich der Stadtentwicklungspolitik nachvollziehen. Hier zielt beispielsweise eine von der US-amerikanischen Rockefeller-Stiftung auf den Weg gebrachte Initiative darauf ab, 100 Städten rund um den Globus dabei zu helfen, gegenüber physischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts resilienter zu werden.1 Interessanterweise gehört dem auf einem Bewerbungsverfahren beruhenden Netzwerk keine einzige deutsche Stadt an.
Die Ausbreitung des Resilienzbegriffs wirkt sich jedoch zugleich in vielfacher Form negativ auf dessen konzeptionelle Klarheit und praktische Relevanz aus. Dies beginnt damit, dass bislang keine allgemeingültige Definition von Resilienz gefunden wurde. Die Vervielfachung unterschiedlichster Definitionen von Resilienz führt vielmehr zu immer größeren Widersprüchen zwischen den einzelnen Deutungen und damit zu einer stetigen Verwässerung des Konzepts. Denn wenn alles und jeder resilient sein soll, wo liegt dann noch der Mehrwert des Konzepts? In der Folge fällt es zunehmend schwer, die Theorie in die Praxis umzusetzen und konkret zu bestimmen, was Ziele, Strategien, Instrumente und Akteure der „Herstellung“ von Resilienz sind. Während weitgehend Konsens darüber besteht, dass Resilienz keine „Sein oder nicht Sein“-Eigenschaft ist, sondern in unterschiedlich starker Ausprägung vorliegen kann, bleibt allerdings die Frage, wie variierende Resilienz(ausprägungen) gemessen werden sollen, oft unbeantwortet. Dadurch besteht nicht nur die Gefahr, dass Resilienz zu einem bloßen Schlagwort verkommt, sondern auch, dass fälschlicherweise Erwartungen geweckt werden, sie könne als Universalmittel gegen vielfältigste Herausforderungen dienen.
Kontroversen zur Auffassung von Resilienz
Konkret fallen in der Debatte um die Deutung von Resilienz drei größere Kontroversen auf, die ein konsistentes Verständnis des Konzepts sowie seine praktische Umsetzung bislang erschweren. Die erste bezieht sich auf das Moment der Resilienz, das heißt um die Frage, wann sie vorliegen soll beziehungsweise beobachtbar wird: nach oder vor einem besonderen Ereignis. So betonen beispielsweise Ansätze aus den Organisationswissenschaften vor allem die reaktive Bewältigung und schnelle Erholung nach einer Störung. Für sie gilt damit der Prozess des „Wieder-auf-die-Beine-Kommens“ (bounce back) zur Wiedererlangung von Funktions- und Handlungs-fähigkeiten als sichtbares Merkmal von Resilienz. Demgegenüber richten einige Studien der Sicherheits-wissenschaften sowie zum Katastrophen- und Krisenmanagement ihre Aufmerksamkeit eher präventiv auf die Antizipation von Belastungen und Veränderungen. Resilient sein heißt hierbei, sich vorausschauend anzupassen und damit das Ausmaß eigener Verwundbarkeiten vorab zu reduzieren.
Die zweite Kontroverse betrifft den Typ und Grad der Vorkommnisse, bei denen das Konzept der Resilienz relevant wird. Nach der eher klassischen Auffassung zeigt sich Resilienz als die Fähigkeit des Verkraftens von seltenen, plötzlich auftretenden und verheerenden Ereignissen wie Naturkatastrophen, Epidemien oder schweren Terroranschlägen. Demgegenüber steht aber eine zweite Denkschule, die neben derartigen akuten Schocks auch chronische Belastungen als so relevant erachtet, dass sie Individuen, Gesellschaften oder gar technische Systeme aus dem Gleichgewicht bringen können. Genau hier setzt beispielsweise das Verständnis von „urbaner Resilienz“ der Rockefeller-Initiative an, aus deren Sicht unter anderem hohe Arbeitslosigkeit, ineffiziente öffentliche Transportsysteme, endemische Gewalt oder chronische Nahrungsmittel- und Wasserknappheit das Potential haben, städtische Strukturen und Funktionalitäten auf einer täglichen oder wiederkehrenden Basis erheblich zu schwächen.
Um die Frage, wie der Status nach der Bewältigung zu definieren ist, welcher durch Resilienz erreicht werden soll, dreht sich schließlich die dritte Kontroverse: Reicht es beispielsweise aus, dass eine Gesellschaft nach dem Erleben eines katastrophalen Ereignisses, wie in den Fällen Paris und Brüssel bei den jüngsten Terroranschlägen, zum Alltag zurückkehrt oder wieder „normal funktioniert“, um von Resilienz zu sprechen? Wenn ja, was macht diesen „Normal“-Zustand genau aus? Damit einhergehend herrscht zwischen den verschiedenen Ansätzen Uneinigkeit darüber, ob Resilienz nun bedeutet, dass etwas entweder wieder in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt oder aber in ein neues Gleichgewicht wechseln kann. Nur was ist, wenn der neue Zustand weniger wünschenswert ist, als der vorherige? Was ist, wenn als Reaktion auf einen terroristischen Akt individuelle Freiheiten eingeschränkt werden oder der gesellschaftlichen Zusammenhalt bröckelt? Gilt diese Situation dann immer noch als resilient?
Eigenschaften von Resilienz
Die Kontroversen um das Verständnis von Resilienz spiegeln sich auch in der Diskussion über die Eigenschaften wider, die Resilienz am Ende ausmachen sollen. Hierbei werden – je nach Disziplin – bis
zu drei unterschiedliche Merkmale angeführt. Im Fokus vieler Überlegungen stehen dabei als erstes die Bewältigungsfähigkeiten (coping capacities). Sie meinen sowohl das Aushalten als auch das reaktive, kurzfristige und möglichst flexible Überwinden von unmittelbar auftretenden Störungen. Im Falle eines Terroranschlages könnte dies bedeuten, dass das öffentliche Leben in einem unmittelbar betroffenem Gebiet dank effektiver Krisen- und Katastrophenpläne, ausreichend verfügbarer Ressourcen und dem Willen der Menschen, trotz der Furcht vor möglichen Folgeanschlägen ihren gewohnten Alltag oder Lebensstil fortzuführen, aufrecht erhalten bleibt. Die Frage, die sich hierbei durchaus stellt ist, wieviel Belastung Menschen und öffentliche Strukturen letztlich aushalten müssen, als dass sie in derartigen Situation als resilient angesehen werden können.
Neben der reaktiven Komponente der Bewältigung spielen für einige Disziplinen auch die Fähigkeiten zur Anpassung (adaptive capacities) eine wichtige Rolle. Dabei geht es um das proaktive und langfristig ausgelegte Ausrichten von Strukturen, Prozessen oder Verhaltensweisen auf gegenwärtige und künftige Verwund-barkeiten. Dies soll durch das Lernen aus früheren Erfahrungen mit krisenhaften Ereignissen und dem Antizipieren von Risiken möglich sein. Dabei zielt das beständige Anpassen jedoch nicht darauf ab, Krisen zu verhindern. Vielmehr sollen deren belastende und störende Auswirkungen abgemildert werden. Im Falle von Terroranschlägen und Naturkatastophen könnte eine derartige Anpassungsleistung beispielsweise darin bestehen, die Rolle und Verantwortung von Bürgern und des Privatsektors bei der Krisenbewältigung stärker zu betonen und hierbei das Engagement und die Selbsthilfefähigkeiten gerade auf lokaler Ebene zu fördern. Denn die Erfahrungen mit diesen zerstörerischen Ereignissen haben nicht nur gezeigt, dass sie unmöglich vorherzusehen oder gar zu verhindern sind, sondern auch, dass die Fähigkeiten des Staates zur Katastrophenvorsorge und -hilfe schlicht begrenzt sind und daher die aktive Einbindung der Bevölkerung und des Privatsektors benötigen.
Besonders im Kontext von „gesellschaftlicher Resilienz“ finden sich schließlich drittens die Fähigkeiten zur Umgestaltung (transformative capacities). Diese Eigenschaft unterscheidet sich dahingehend von der der Anpassung, als dass Gesellschaften nicht nur schrittweise sondern sogar tiefgreifende Veränderungsprozesse durchlaufen. Ein solcher grundlegender Wandel aller Gesellschaftsbereiche wäre beispielsweise angesichts der Auswirkungen und existentiellen Gefahren des Klimawandels denkbar. Was mit Umweltbewusstsein und „neuen Energien“ vor Jahren begonnen hat, könnte in Zukunft komplett geänderte gesellschaftliche Normen und Verhaltensweisen sowie neue Forschungs- und Wirtschaftsfelder bedeuten, die es ermöglichen, das Gesellschaften trotz gravierender Umweltveränderungen weiter wachsen und gedeihen.
Resilienz erfassen – Impulse für die Resilienz-Debatte
Diese kurze und unvollständige Übersicht der unterschiedlichen Auffassungen unterstreicht, wie vielfältig, kontrovers und unklar der Begriff der Resilienz bleibt. Es besteht also Klärungsbedarf, um Resilienz als Konzept praxisrelevant zu machen. Vier Thesen erscheinen für die Debatte über das Verständnis von Resilienz und deren etwaige Nutzbarkeit als hilfreich.
Erstens, es gibt nicht die eine Resilienz, sondern viele verschiedene Formen in jeweils unterschiedlichen Zusammenhängen. Wenn man von Resilienz spricht, muss daher klar umrissen werden, welche Art von Resilienz unter welchen Umständen gemeint ist. Geht es bespielsweise „nur“ um die Fähigkeit zur schnellen Bewältigung einer unerwarteten Krise oder vielmehr um das Anpassen von Strukturen und Verhaltens-weisen an ein sich stetig veränderndes und unsicheres Umfeld? Dazu sind auch immer Antworten zu den Fragen zu finden, wer oder was Resilienz letztlich zu welchem Zweck benötigt, wie diese gefördert werden soll und wer hierfür Verantwortung trägt. Diese Klarheit ist erforderlich, um den Begriff der Resilienz weiter mit Leben zu befüllen.
Zweitens, Resilienz ist keine universelle Strategie und kein Allheilmittel, denn (mehr) Resilienz schützt gerade nicht davor, dass Störungen, Belastungen und Wandel – egal ob plötzlich oder langfristig – eintreten. Sie erkennt vielmehr die eigenen Verwundbarkeiten an und hilft, sich gegen unvermeidliche Verletzbarkeiten zu wappnen – sich also krisenfester zu machen – um damit besser umzugehen, indem negative Effekte abgemildert werden. Einfacher gesagt ist Resilienz vor allem Förderung von Schadensbegrenzung – sie verhindert, dass etwas Schlimmes noch schlimmer wird. Daher ist gerade in der aktuellen sicherheits-politischen Debatte um Zivil- und Katastrophenschutz Vorsicht geboten, Resilienz als „Widerstandsfähigkeit“ umzudeuten (kommend aus dem lateinischen für resilire = „abprallen“). Denn diese Interpretation legt den Wunsch nahe, man könne alle Einflüsse abwehren beziehungsweise sich vor möglichen Schadwirkungen dauerhaft schützen und immunisieren. Doch dies ist schlichtweg unmöglich und entspricht auch nicht dem Grundgedanken von Resilienz. Wenngleich Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise die Erhöhung der Anzahl von Sicherheitskräften bei Großereignissen angesichts einer akuten Terrorgefahr, zur Risikominimierung elementar sind und bleiben, sollten sie jedoch nicht als Instrumente einer Resilienzpolitik missverstanden werden.
Drittens, Resilienzgrade können sich verändern und sogar – trotz aller gegenteiligen Anstrengungen – sinken. Abhängig von der Intensität, Häufigkeit oder Dauer von Schocks und Belastungen werden die individuellen, technischen, organisatorischen oder gesellschaftlichen Fähigkeiten, diese flexibel zu absorbieren, enorm variieren. So ist es beispielsweise denkbar, dass es einer Gesellschaft wie in Paris oder Brüssel bei einem erneuten Terroranschlag nur wenige Wochen nach der ersten Attacke deutlich schwerer fallen würde, Ängste zu überwinden und zu einem „normalen“ Alltag zurückzukehren, als dies bei den einmaligen Ereignissen noch der Fall gewesen ist.
Viertens, Resilienz bedeutet keinen Stillstand. Auch wenn sie nicht auf Ursachenbekämpfung zielt, beinhalteten viele Vorstellungen von Resilienz dennoch transformative Ansätze. Denn unter den Bedingungen eines sich stetig wandelnden, unsicheren Umfeldes können Individuen, Organisationen oder Gesellschaften nur „überleben“, wenn sie lernen, sich beständig neuen und unvorhersehbaren Bedingungen anzupassen. Folglich dessen kann es bei Resilienz eben nicht nur darum gehen, in einen ursprünglichen „Normalzustand“ zurückzukehren, sondern auch darum, Wandel bewusst als Chance zu begreifen und sich weiterzuentwickeln.
Diese und andere Grundüberlegungen zum Verständnis von Resilienz haben enorme politische Tragweite und bedürfen daher der vordringlichen Befassung durch eben jene Politik. Ohne einen klaren konzeptionellen Ansatz wird Resilienz – gerade auch in der Sicherheitspolitik – ein bloßes Schlagwort bleiben, dass nicht nur falsche Erwartungen weckt sondern dessen praktische Umsetzung nur schwerlich gelingt.
Oberstleutnant i.G. Michael Hanisch ist Referent an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
1 Siehe die Website des Programms: www.100resilientcities.org
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4