Zunächst einmal: Neu ist die Idee nicht. Nahöstliche Allianzankündigungen hat es seit dem Zweiten Weltkrieg schon zahlreiche gegeben. 1950 unterzeichneten die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga einen Verteidigungspakt, der quasi wortidentisch mit Artikel 5 der NATO kollektive Selbstverteidigung verspricht. Etwa zur gleichen Zeit scheiterte Grossbritannien erst, die Staaten der Region mit dem Middle East Command an die NATO anzubinden, und später mit der Middle East Defence Organisation zumindest zu koordinieren. Irak und die Türkei lancierten 1955 den Baghdad-Pakt (offiziell die Middle East Treaty Organisation), dem sich auch Iran, Pakistan und Großbritannien anschlossen. Die Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates (GCC) feilen schon seit 1982 daran, sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten militärisch zusammen zu tun: zunächst mit der Schaffung einer gemeinsamen Einsatztruppe (genannt Peninsula Shield Force), ab 2000 dann mit einem NATO-ähnlichen Verteidigungsabkommen, welches institutionell in einem gemeinsamen Verteidigungsrat verankert wurde.
Fakt ist aber, dass Allianzen aller Art in der Region selten die Feuertaufe überstehen: Die Arabische Liga war sich uneins, ob und wie man dem Libanon 1982, Libyen 1986, Kuwait 1990 oder Irak 1991 beziehungsweise 2003 gegen einen Angreifer helfen sollte. Der Bagdad-Pakt wurde 1979 aufgelöst (Irak war schon 1958 ausgetreten), und die eher bescheidene Golf-Truppe, welche Kuwait 1990 nicht helfen konnte, war kürzlich eher innen- als außenpolitisch gegen bahrainische Oppositionelle im Einsatz. Trotzdem kehrt die Idee, sich militärisch zusammen zu schliessen, immer wieder. Und zu Recht: Viele Gründe sprechen dafür, sich zu ergänzen, zu unterstützen und zu koordinieren – erst Recht, wenn die Herausforderungen vor allem gemeinsam angegangen werden müssen.
Eine alte Idee in neuem Gewand
Die muslimische Allianz ist bereits der dritte Versuch Saudi-Arabiens seit dem arabischen Frühling, militärisch Unterstützung zu institutionalisieren. 2013 kündigten die Golfstaaten unter saudischer Federführung an, eine NATO-ähnliche integrierte Kommandostruktur zu implementieren – mit Zugriff auf rund 100.000 Mann. 2014 folgte eine gemeinsamen Polizeistruktur (genannt GCC-Pol) sowie eine gemeinsame Marine. Nach letztem Stand machen diese Projekte aber nur langsam Fortschritte. Erst letztes Jahr versuchten Saudi-Arabien und Ägypten im Rahmen der Arabischen Liga, eine Art Anti-Terror-NATO aus der Taufe zu heben – 40.000-Mann starke Streitkräfte und eine Kommandostruktur inklusive. So einig war man sich in Sachen Terror, dass Ägyptens Präsident Sisi die nationale Sicherheit im Golf als integralen Bestandteil der ägyptischen bezeichnete.
Doch das Projekt scheiterte – im August 2015 legte Riad die schon weit fortgeschrittenen Verhandlungen „bis auf weiteres“ auf Eis. Viel wird spekuliert, warum Saudi-Arabien, sekundiert von Kuwait und Bahrain, am Ende doch keine Eingreiftruppe schaffen wollte. Zwei Meinungsunterschiede sollen zu dieser Entscheidung beigetragen haben: in Sachen Syrien spielt Kairo mit der Idee, sich Assad wieder anzunähern, während Riad ihn nach wie vor stürzen will, und in Sachen Terrorismusbekämpfung sieht Saudi-Arabien den Jemen, Ägypten hingegen Libyen als Priorität. Auch ein taktischer Grund spielte eine Rolle: Am Ende wollte Saudi-Arabien keine (vor allem) ägyptische Truppe finanzieren, welche im Namen des Kampfes gegen den Terror in andere Länder einmarschiert. Dies ändert nichts daran, dass Riad sich nach wie vor politisch, finanziell und militärisch in der Defensive sieht – und weiterhin nach Alliierten sucht.
Warum Saudi-Arabien Hilfe braucht
Die Zeiten sind nicht einfach für Saudi-Arabien. Nach dem nuklearen Deal mit Iran sieht es sich von seinem traditionellen Verbündeten, den USA, alleingelassen. Im Frühjahr 2015 schloss Washington einen Verteidigungspakt mit den Golfstaaten mit der Begründung aus, es habe Jahrzehnte gebraucht, um eine Struktur wie die der NATO zu schaffen. Wenngleich die USA sich bemühen, den Golf militärisch rückzuversichern, ist die Anspannung auf der arabischen Halbinsel hoch. Gleich an mehreren Fronten sieht Riad sich in der Konfrontation: Im Osten fühlt es sich von Iran bedroht, im Süden von Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel sowie den Huthi-Rebellen, im Norden vom Islamischen Staat, und innenpolitisch zwingen Demografie und Ölpreis es zu heiklen Reformen. Auch auf seine Golfnachbarn ist nicht uneingeschränkt Verlass: Auch wenn die Beziehungen mit Katar nach dem Ausfall 2014 gekittet sind, hallt der Disput um die Muslimbrüder noch nach, und der Oman ist traditionell ein diplomatischer Eigenbrötler. 2013 lehnte er die von Saudi-Arabien vorgeschlagene Golf-Union fast schroff ab, und es ist der einzige Golfstaat, welcher die Jemen-Operation noch nicht einmal symbolisch unterstützt.1 Riad fühlt sich relativ alleingelassen mit seinen Herausforderungen.
Die Beziehungen mit Teheran sind schon seit Jahrzehnten schwierig, doch nun haben sie einen neuen Tiefpunkt erreicht. Schon im September 2015 lieferten sich Offizielle der beiden Staaten einen Schlagabtausch, nachdem mehrere tausend Pilger in Saudi-Arabien bei einer Massenpanik zu Tode kamen, davon 464 Iraner. Teheran hingegen behauptet, fast 5.000 seiner Bürger seien Opfer saudischer Nachlässigkeit geworden, und drohte mit einer Anzeige beim Internationalen Gerichtshof. Schon 1987, als saudische Sicherheitskräfte mit iranischen Pilgern zusammenstießen, waren 400 Menschen ums Leben gekommen, und die Botschaften beider Länder wurden von Demonstranten besetzt. Ayatollah Khomeni rief anschließend dazu auf, die saudische Monarchie zu stürzen. Doch schon vor der aktuellen Situation zündelte Teheran rhetorisch regelmäßig: Ali Reza Zakani, ein Abgeordneter des iranischen Parlaments, erklärte, nach dem Fall Sanaas seien nunmehr vier arabische Hauptstädte unter iranischer Kontrolle (Beirut, Damaskus und Bagdad seien die anderen drei). Der iranische Heereskommandeur Ahmad Reza Pourdastan sagte, die al-Sauds seien eine verhasste Familie und verstünden nur die Sprache der Gewalt. Im Januar dieses Jahres kam es nach der Hinrichtung eines schiitischen Predigers wieder zur Besetzung der saudischen Botschaft in Teheran, und die diplomatischen Beziehungen wurden abgebrochen.
So sehr fühlt Riad sich von Teheran bedroht, dass schon seit geraumer Zeit vermutet wird, es würde sich sogar mit Israel zusammentun, um diese Gefahr einzudämmen.2 Die Eröffnung eines israelischen Verbindungsbüros in den Vereinigten Arabischen Emiraten – in der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien – könnte durchaus ein weiterer Schritt in der Annäherung zwischen Israel und den Golf-Staaten sein. Denn seit dem arabischen Frühling sieht sich Saudi-Arabien als einziger Staat im Nahen Osten mit dem Willen zur Macht. Wenngleich Ägypten versucht, sich wieder als Mutter der arabischen Nation zu etablieren, sind es doch Iran und Saudi-Arabien, welche momentan die Geschicke der Region entscheidend bestimmen. Wo Riad früher zurückhaltend war, hat es nun eine aktivistische Außenpolitik eingeschlagen – ganz wie Iran.
In Sachen Terror führt Riad derzeit einen Drei-Fronten-Krieg. Der Islamische Staat hat Saudi-Arabien bereits mehrfach den Krieg erklärt, unter anderem auch, als es die islamische Allianz angekündigt hat – weil diese eine in Wahrheit ungläubige sei. In einem Video exekutierte der IS einen angeblichen saudischen Spion und rief saudische Bürger zum Aufstand gegen die Ungläubigen al-Sauds auf. In den letzten zwei Jahren hat der IS mehrere Attentate in Saudi-Arabien verübt und insgesamt über 50 Menschen getötet. Riad hat seitdem seine Grenzpatrouillen verschärft, doch der IS kommt nicht nur von außen: ungefähr 3.000 saudische Bürger haben sich der Terrorsekte in Irak und Syrien angeschlossen, und ihre Rückkehr könnte, wie auch in Europa, zu terroristischen Attentaten führen. Besonders problematisch ist, dass der IS die muslimische Glaubwürdigkeit Saudi-Arabiens angreift: Als Hüter der heiligen Stätten sollte es eigentlich über ketzerischen Anfeindungen stehen, doch der IS schadet Riad außen- und innenpolitisch. Außenpolitisch fallen die ideologischen Ähnlichkeiten zwischen dem Königreich und dem Kalifat auf, und innenpolitisch untergräbt der IS die religiöse Rechtfertigung des politischen Systems in Saudi-Arabien.
Und auch von Süden geht für Riad Gefahr aus: Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel nutzt den Jemen unter anderem, um Attentate auf Saudi-Arabien vorzubereiten. Seit 2003 ist es der Organisation gelungen, dort über 16 Attentate zu verüben; 2009 entging der heutige Kronprinz Muhammed bin Nayef nur knapp dem Tod. Doch auch die schiitische Miliz der Huthis stellt ein sicherheitspolitisches Problem für Riad dar. Seit Mitte der 2000er Jahre kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Miliz und saudischen Sicherheitskräften; 2015 eskalierte dies zur nach wie vor laufenden Militäroperation. Ferner hat Riad innenpolitisch zu kämpfen: Nach dem Tod König Abdullahs im Januar 2015 gibt es Gerüchte um Streitigkeiten in der Königsfamilie; vor allem der Königssohn Mohammed bin Salman, Verteidigungsminister und neuerdings selbsternannter Chefreformer, ist nicht unumstritten. War Riad 2014 noch entschlossen, seine innenpolitischen Probleme trotz sinkenden Ölpreises „fortzuinvestieren“ (das Budget von 2015 war das größte Budget in der Geschichte Saudi-Arabiens), hat sich diese Politik komplett gedreht. Der Ölpreis sinkt weiter, auch weil Riad weiterhin Öle produziert, um sich seine innenpolitische Lage zu leisten.
Militärisch unter Druck
Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien auch militärisch gefordert ist. Noch bis vor kurzem galt seine Streitkraft als verschlafene Paradearmee, seine Sicherheit war an die USA ausgelagert. Dass Riad diesem Arrangement schon lange nicht mehr traute, kann an der Entwicklung seines Militärs abgelesen werden. Seit 2003 hat sich der Umfang der Armee von 100.000 auf 200.000 Soldaten verdoppelt; seine Luftwaffe ist mit 305 Kampfflugzeugen nunmehr auf dem arabischen Platz zwei nach Ägypten, dabei aber vermutlich wesentlich moderner. Auch an einem Raketenabwehrsystem arbeitet Riad, und seine Marine ist von 15.000 auf 25.000 Mann gewachsen. Die Aufstellung des saudischen Militärs legt nahe, dass Riad sich auf einen Krieg zu Wasser und/oder in der Luft vorbereitet – oder zumindest den Eindruck erwecken will, dass es dies tut. Doch was dem saudischen Militär fehlt, ist Erfahrung. Der letzte Auslandseinsatz vor dem arabischen Frühling war 1991 gegen Irak, doch auch in den Jahrzehnten davor war das saudische Militär wenig im Einsatz. Seine Operation im Jemen hat unter anderem diese Funktion: Es dient nicht nur den saudischen Piloten als Bombardierungs- und Aufklärungspraktikum, sondern auch der Koordinierung von verschiedenen Einheiten am Boden – und der Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Doch Jemen frisst Ressourcen: Seit September fliegen saudische Jets keine Angriffe mehr im Rahmen der Koalition gegen den Islamischen Staat, obwohl die Teilnahme groß angekündigt wurde. Saudische Truppen sind nach wie vor in Bahrain. Wenngleich es unterstützt wird von der vergleichsweise starken emiratischen Luftwaffe (der Wüstenstaat von der Größe Barcelonas hat sich mit 200 Kampfjets zur viertstärksten Luftstreitkraft der Region hochgearbeitet) und einer Koalition aus arabischen und afrikanischen Staaten, ist Riad doch sehr allein in seinem jemenitischen Unterfangen.
Zeige mir Deine Freunde: die islamische Allianz
An dieser Stelle kommt die islamische Allianz ins Spiel. Sie ist eine natürliche Weiterentwicklung der früheren gescheiterten Allianzprojekte, ohne sich jedoch politisch aufs Glatteis zu wagen. Genau wie die gescheiterte arabische Allianz soll sie Saudi-Arabien an allen drei Fronten unterstützen: Sie soll das regionale Gleichgewicht gegen Iran wiederherstellen, seinen durch den Islamischen Staat beschädigten muslimischen Ruf daheim und in der Region reparieren und auch militärisch zu Synergieeffekten führen. Die regionale Komponente liest sich an den Alliierten selbst ab: Alle 34 sind Mitglieder der 1969 von Saudi-Arabien angestoßenen pan-muslimischen Organisation der Islamischen Zusammenarbeit – doch 23 der Mitgliedsstaaten fehlen.3 Ausgeschlossen scheinen vor allem diejenigen Staaten, die schiitische Bevölkerungsmehrheiten haben, wie etwa der Iran, Syrien oder der Irak (Libanon, welches ca. 30 Prozent Schiiten zählt, wurde von Saudi-Arabien als Mitglied gelistet, bestritt jedoch später, befragt worden zu sein). Saudi-Arabiens Verteidigungsminister bin Salman betonte zwar, dass die Allianz jedem muslimischen Staat offenstehe, sofern dieser keine Terrorgruppen finanziere (wie zum Beispiel Hisbollah, welche Saudi-Arabien seit 2013 als Terrororganisation gelistet hat). Doch de facto handelt es sich um eine sunnitisch-muslimische Allianz – und damit um eine, die sich auch gegen den Iran positioniert.
Doch darüber hinaus hat die Allianz noch zwei weitere Funktionen: Sie restauriert die muslimische Legitimität, die sowohl Iran als auch der IS mit Islam-revolutionärer Rhetorik unterhöhlen zu versuchen, indem sie eine geeinte sunnischte Phalanx präsentiert. Und sie hat auch eine taktisch-militärische Komponente, wenngleich diese begrenzt ist: kein stehendes Heer, keine Kommandostruktur, keine integrierten Einheiten. Ganz klein wird angefangen mit nachrichtendienstlichem Informationsaustausch und Koordination (was in begrenzterem Rahmen bereits in Jemen stattfindet); als mögliche Einsatzfelder nannte Verteidigungsminister Mohammed bin Salman Irak, Syrien, Libyen, Ägypten und Afghanistan. Auch ein Truppeneinsatz sei mittelfristig nicht ausgeschlossen. Bisher steht nur fest, dass „nichts vom Tisch ist“, wie Saudi-Arabiens Außenminister Adel Al-Jubeir sagt. Doch vorranging soll die Allianz eine institutionelle Plattform für Zusammenarbeit schaffen – und damit den Grundstein für zukünftige, gemeinsame Einsätze legen. Die neue Allianz ist weder eine Art NATO (eine integrierte Truppe, die sich auf Verteidigung außerhalb des Territoriums konzentriert), noch eine EU (was innenpolitische Zusammenarbeit gegen den Terrorismus bedeuten würde), noch eine UN (die sich für Friedensmissionen nach einem Konflikt bereithält). Stattdessen ist sie, ganz klassich, eine militärische Allianz.
Florence Gaub ist Senior Analyst am Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union. Die Autorin gibt ihre persönliche Meinung wieder.
1 Al-Monitor, Omani rejection of GCC union adds insult to injury for Saudi Arabia, 9. Dezember 2013, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2013/12/oman-rejects-gcc-union-insults-saudi-arabia.html#ixzz3yRxEuKoL; Al-Monitor, Oman breaks from GCC on Yemen conflict, 7. Mai 2015, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/05/oman-response-yemen-conflict.html
2 Haaretz, Sunday Times: Israel, Saudi Arabia Cooperating to Plan Possible Iran Attack, 17 November 2013, http://www.haaretz.com/israel-news/1.558512
3 Angekündigt wurden Bahrain, Bangladesch, Benin, Tschad, die Komoren, Elfenbeinküste, Djibouti, Ägypten, Gabon, Guinea, Indonesien Jordanien, Kuwait, Libanon, Libyen, Malaysia, die Malediven, Mali, Mauretanien, Marokko, Niger, Nigeria, Pakistan, Palästina, Katar, Saudi-Arabien, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Togo, Tunesien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate und Jemen, doch Indonesien, Malaysia und Pakistan bestritten, befragt worden zu sein. Im Fall Libyens und Jemens ist nicht klar, welche der Regierungen den Beitritt erklärt haben soll.
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4