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Einsatz der Bundeswehr im Innern: Die GETEX-Übung von Polizei und Bundeswehr - "Durchbruch" oder "Dammbruch"?

14/2017
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Das Grundgesetz lässt Einsätze der Bundeswehr im Innern – historisch bedingt – nur in eng begrenzten Einzelfällen zu. Die zunehmend unscharfe Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit birgt die Gefahr, dass die Sicherheitsbehörden den Schutz der Bürger bei großflächigen Katastrophen- und Terrorlagen, aber auch bei neuartigen Bedrohungen im Rahmen hybrider Kriegführung oder Cyberattacken, gegebenenfalls nicht allein gewährleisten können. Die Bundeswehr verfügt über geeignete Fähigkeiten zur Unterstützung der Polizei. Mit dem Weißbuch 2016 hat die Bundesregierung eine gemeinsame Terrorabwehrübung von Polizei und Bundeswehr (GETEX) initiiert. War diese Übung – im Sinne einer funktionalen Perspektive – ein „Durchbruch“, oder war sie – vor dem Hintergrund einer ideologisch geführten politischen Debatte, nach der eine Grundgesetzänderung tabu wäre – ein „Dammbruch“?

Rechtliche Grundlagen

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für Einsätze der Bundeswehr im Innern basieren auf den 1968 als „Notstandsverfassung“ ins Grundgesetz (GG) eingefügten Bestimmungen. In Art. 87 a, Abs. 2 ist festgeschrieben, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit das GG dieses ausdrücklich zulässt. Die im GG genannten Einzelfälle sind der „Katastrophennotstand“ nach Art. 35 GG, Abs. 2 beziehungsweise Abs. 3, der „Innere Notstand“ nach Art. 87 a, Abs. 4, und der „Verteidigungs“- und „Spannungsfall“ nach Art. 87 a, Abs. 3. Der Begriff „Einsatz“ beinhaltet dabei nicht jedwede Verwendung der Bundeswehr, sondern beschreibt „ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang“, also Situationen, in denen durch die Streitkräfte „hoheitlicher Zwang“ angewendet wird.1 Von dieser Anwendung hoheitlichen Zwangs sind rein technische und unbewaffnete Verwendungen der Bundeswehr nach Art. 35, Abs. 1 („Amtshilfe“) abzugrenzen, die immer wieder in erheblichem Umfang von der Bundeswehr geleistet werden, zum Beispiel bei Naturkatastrophen oder in der Flüchtlingshilfe.

Art. 35 GG bestimmt in Abs. 2, dass bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall ein Bundesland Kräfte und Einrichtungen auch der Streitkräfte zur Hilfe anfordern kann. (Falls die Katastrophe das Gebiet mehr als eines Bundeslandes betrifft, so räumt Abs. 3 auch der Bundesregierung bestimmte Befugnisse ein). Dabei haben die eingesetzten Streitkräfte keine originären Zuständigkeiten, sondern etwaige hoheitliche, eingreifende und polizeiliche Befugnisse nur nach dem jeweiligen Polizeirecht des Landes und unter der Gesamtverantwortung der zuständigen Landesbehörde. Hatte der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in einer Entscheidung von 2006 noch abgeleitet, dabei sei ein Einsatz spezifisch militärischer Bewaffnung verboten,2 so stellte das BVerfG in einer Plenarentscheidung 2012 fest, die Verfassung lasse offen, mit welchen Mitteln Unterstützung geleistet werde.3 Allerdings verknüpfte das Gericht mit dieser Feststellung, dass der Einsatz nach Art. 35, Abs. 2 als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel nur in ungewöhnlichen Ausnahmesituationen zulässig seien, bei „Ereignissen von katastrophischen Dimensionen“ – ohne dass das Gericht diesen Begriff weiter präzisierte – und nur als „ultima ratio“. In der Diskussion danach entwickelt sich die Meinung, dass zu solchen Ereignissen auch großflächige terroristische Angriffe zählen können.4

Die Voraussetzungen für einen Einsatz der Bundeswehr im inneren Notstand nach Art. 87 a, Abs. 4 sind eine drohende Gefahr für den Bestand oder die demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Bundeslandes durch organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische, dem durch Polizeikräfte auch bei gegenseitiger Hilfe nicht hinreichend begegnet werden kann. Und der Verteidigungs- beziehungsweise Spannungsfall als Voraussetzung für Einsätze nach Art. 87 a, Abs. 3 kann erklärt werden, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird beziehungsweise wenn ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht.

Das Weißbuch 2016 als Grundlage für GETEX – aber nicht für mehr

Im Weißbuch 2016 wird auf der Grundlage der engen Grenzen, die das BVerfG gezogen hatte, die Notwendigkeit postuliert, „an den Schnittstellen der im Katastrophenfall zusammenarbeitenden Bundes- und Landesbehörden weiter an einer guten Zusammenarbeit zu arbeiten und diese im Rahmen von Übungen vorzubereiten“.5 Und diese Forderung wurde in bemerkenswert kurzer Zeit in der Übung GETEX umgesetzt, die im März 2017 stattfand. An dieser waren die Polizeibehörden von sechs Bundesländern und die Bundeswehr beteiligt. Geübt wurden die Verfahren der Anforderung und Genehmigung von Einsätzen der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei nach Terroranschlägen in verschiedenen Städten in Deutschland mit einem hohen Gleichzeitigkeitsfaktor. Rechtsgrundlage war dabei ausschließlich Art. 35, Abs. 2 GG.

Ein früherer Entwurf des Weißbuchs hatte noch die Formulierung enthalten, das GG sei weiter zu entwickeln, um an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen. Allerdings stieß diese Forderung auf Ablehnung der SPD-Minister in der Bundesregierung und wurde daher fallen gelassen. Damit bleibt im Weißbuch die Frage ausgeklammert, ob das GG den Herausforderungen durch neue Konfliktformen noch entspricht. Heutige Konflikte sind weit überwiegend der sogenannten „asymmetrischen“ beziehungsweise der „hybriden Kriegführung“ zuzurechnen. Diese sind durch Mischformen von offenen und verdeckt zur Anwendung gebrachten regulären und irregulären, symmetrischen und asymmetrischen, militärischen und nichtmilitärischen Konfliktmitteln gekennzeichnet. Ein Zweck ist dabei unter anderem, die Schwelle zwischen den völkerrechtlich klar unterschiedenen Zuständen Krieg und Frieden zu verwischen. Genau auf diese heben jedoch die Voraussetzungen im GG für den Verteidigungs- beziehungsweise Spannungsfall ab.

Das wirft die Frage auf, wie sich der Staat bei neuen Konfliktformen verhält, also bei Angriffen, die nicht durch reguläres Militär beziehungsweise nicht mit klassischer Waffengewalt erfolgen. Es stellen sich zum Beispiel folgende Fragen: Soll die Polizei etwa „kleine grüne Männchen“ bekämpfen, wie sie auf der Krim auftauchten, und die sich später als russische Spezialkräfte erwiesen? Dürfen die Fähigkeiten der Bundeswehr bei der Abwehr und Bekämpfung von Cyberattacken auch außerhalb der eigenen Netze eingesetzt werden? Sachlogisch wäre das eigentlich ein Muss; die verfassungsrechtliche Zulässigkeit erscheint jedoch äußerst fraglich, und der heutige Grad der Vernetzung der Gesellschaft macht es schwierig, zu unterscheiden, wo Belange der Bundeswehr enden und wo die der zivilen Welt anfangen.

Ideologische versus funktionale Perspektive

Die politische Diskussion in Deutschland wird dabei aus zwei unterschiedlichen Perspektiven geführt, einer ideologischen und einer funktionalen. Zunächst zur ideologischen: Das Rational, das in der Bundesrepublik zur strikten Trennung der Zuständigkeiten der Polizei und der Streitkräfte geführt hatte – Militarismus, Diktatur und verlorener Krieg – gilt für weite Kreise in Gesellschaft und Politik als unverrückbar, als „Teil der verfassungsrechtlichen DNA der Bundesrepublik“.6 Demzufolge werden aus dieser Perspektive die engen verfassungsmäßigen Grenzen für Einsätze der Bundeswehr im Innern als „Bollwerk“ gegen einen Missbrauch des Gewaltpotenzials Militär zäh verteidigt. Eine Änderung gilt als ein Tabu, und das, obwohl sich das Militär seit 60 Jahren als integraler und loyaler Bestandteil von Gesellschaft und Demokratie bewährt hat.

Eine Betrachtung aus funktionaler Perspektive führt hingegen zu anderen Schlussfolgerungen. Wie vielfach festgestellt – unter anderem 2009 durch die ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder – kann in Deutschland der Schutz der Bürger als vorrangige Aufgabe des Staates nicht hinreichend erfüllt werden, wenn die Fähigkeiten der Polizeikräfte in bestimmten Lagen an ihre Grenzen gelangen.7 In solchen Situationen gibt es verschiedene Handlungsoptionen des Staates. Diese reichen von Untätigkeit über ein Eingreifen mit unzureichenden Mitteln, Rückgriff auf die Ressourcen der Bundeswehr entgegen den rechtlichen Restriktionen („Not kennt kein Gebot“), Privatisierung von Schutzaufgaben, personelle und materielle Aufrüstung der Polizeikräfte für alle denkbaren Situationen (eine utopische Vorstellung) bis hin zur Schaffung der verfassungsmäßigen Voraussetzungen für einen kooperativen Einsatz von Polizei und Bundeswehr.

Aus Sicht des Autors ist die funktional rationale Lösungsmöglichkeit, die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen, um in derartigen Krisenlagen auch die Ressourcen der Bundeswehr nutzen zu können. Und diese sind vielfältig: erhebliche Manpower für Objektschutzaufgaben, Feldjägerkräfte mit polizeiähnlichen Kenntnissen und entsprechender Ausrüstung, Spezialkräfte, die das gleiche Leistungsvermögen haben wie die knappen Ressourcen des Bundes (GSG 9) oder der Länder (SEK) sowie diverse Spezialfähigkeiten, die zum Teil nur bei der Bundeswehr vorhanden sind (zum Beispiel Ausrüstung und Fertigkeiten im Bereich des ABC-Schutzes, Aufklärungsmittel, Mittel zur Abwehr von Bedrohungen im Luft- und Seeraum). Für die Nutzung dieser Ressourcen wären allerdings die Bedingungen des Art. 35, Abs. 2, und/oder die Voraussetzungen für die Feststellung des Spannungsfalls sowie gegebenenfalls die Voraussetzungen für Einsätze nach Art. 87a, Abs. 4 den heutigen Notwendigkeiten anzupassen. In Politik und Gesellschaft ist diese Frage jedoch hoch umstritten.

Bis auf die CDU/CSU, die in mehreren Erklärungen die funktionale Perspektive eingenommen hat und eine klarstellende Regelung im Grundgesetz zum Einsatz der Bundeswehr im Innern befürwortet – zuletzt in einem Vorstandsbeschluss der Bundestagsfraktion vom 2. September 2016 – sind die übrigen Parteien, aber auch die Gewerkschaften, strikt gegen eine Grundgesetzänderung. Die Hauptbegründung folgt dabei der ideologischen Linie eine „Militarisierung der öffentlichen Sicherheit“ abzulehnen (so die SPD-General-sekretärin Katarina Barley). In ähnlichem Sinne äußerte sich die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) auf der Homepage der Partei mit der These, das BVerfG habe mit der Entscheidung von 2012 „eine Tür geöffnet, durch die die Union jetzt am liebsten mit dem Panzerwagen durchfahren möchte“. Auf der gleichen Linie liegt die Position von Bündnis 90/Die Grünen, die in einer Kleinen Anfrage im Parlament von der verfassungsmäßigen Trennung von Polizei und Militär als direkter Lehre aus der deutschen Geschichte sprechen. Und auch aus der FDP sind vergleichbare Stimmen zu hören, so die des stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki, der die Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr als „völlig geschichtsvergessen und unausgegoren“ bezeichnete. Bei den Gewerkschaften kommt das sachlich wenig stichhaltige Argument hinzu, die Soldaten der Bundeswehr seien von der Ausbildung her nicht in der Lage, Polizeikräfte zu unterstützen.

GETEX ist kein „Durchbruch“, aber auch kein „Dammbruch“

Wie ist nun vor dieser Debatte aus die Übung GETEX zu sehen? Auch wenn die Übungsauswertung noch aussteht, wurde deutlich, dass die Verfahren der Anforderung und Genehmigung von Unterstützungseinsätzen der Bundeswehr noch zu schwerfällig und zeitaufwändig waren, sodass weiterer Handlungs- und wohl auch Übungsbedarf besteht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieser in naher Zukunft umgesetzt wird.

Angesichts der funktionalen Notwendigkeiten, dem Staat in extremen Bedrohungsszenarien die Nutzung aller Ressourcen zu ermöglichen, ist GETEX mit dem Übungsansatz – Nutzung des sehr schmalen Fensters, das das BVerfG 2012 geöffnet hatte – sicher nicht als „Durchbruch“ zu werten. Entscheidende weitergehende Fragen, inwieweit das GG mit Blick auf veränderte Bedrohungs- und Konfliktszenarien neuen Herausforderungen angepasst werden sollte, wurden in der die Übung nicht behandelt. Und von einem „Dammbruch“ kann bei diesem engen Übungsansatz auch nicht die Rede sein. Es sind „keine Panzerwagen durch die schmale Tür gerollt“. GETEX war ein erster Versuch, die Kooperation zu gestalten. Der Hauptwert der Übung lag darin – wie es ein verantwortlicher Teilnehmer formulierte – dass sie stattgefunden hat. Es bleibt die Hoffnung, dass der Diskurs in Politik und Gesellschaft in Zukunft stärker unter funktionalen anstatt ideologischen Gesichtspunkten geführt wird und Lösungen gefunden werden, ehe schwerwiegende Ereignisse zu Opfern geführt haben, die bei rechtzeitigem Handeln vermeidbar gewesen wären.

Dr. Ulf von Krause ist Politikwissenschaftler und Publizist. Der Generalleutnant a.D. war 42 Jahre Soldat und als „Nationaler Territorialer Befehlshaber“ auch für Einsätze der Bundeswehr im Innern verantwortlich. Das Arbeitspapier beruht weitgehend auf seinem Buch „Der Einsatz der Bundeswehr im Innern“, in welchem sich auch weitere Belege für die Aussagen in diesem Papier finden.

1 Siehe Wiefelspütz, Dieter (2013): Die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Bundeswehr im Innern, Neue Zeitschrift für Wehrrecht 55(1), S. 1–18, hier S. 4.

2 BVerfG – 1 BvR 357/05 – vom 15.02.2006, NJW 59, H. 11, S. 751-761.

3 BVerfG – 2 PBvU 1/11 – vom 03.07.2012, NVwZ 31, H. 12, S. 1239-1250.

4 Siehe zum Beispiel Wiefelspütz (2013), S. 11; Weißbuch 2016, S. 110.

5 Siehe Weißbuch 2016, S. 110.

6 Siehe Talmon, Stefan (2016): Bewaffnete Bundeswehrsoldaten am Brandenburger Tor? Zum Objektschutz durch die Streitkräfte bei terroristischen Anschlägen. Bonner Rechtsjournal 01/2016, S. 5-7.

7 Siehe Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (2009): Programm Innere Sicherheit. Fortschreibung 2008/2009, http://www.mik.brandenburg.de/sixcms/media.php/1056/Programm_Innere_Sicherheit.pdf

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4

 

Arbeitspapier Thema: 
Bundeswehr
Deutsche Sicherheitsarchitektur
Sicherheitspolitische Debatte
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Deutschland
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