Arbeitspapiere

Fragiler Frieden im Südsudan: Für dauerhafte Stabilität braucht es eine Reform des Sicherheitssektors

8/2019
Autor/in: 
2011 konnte der Südsudan seine Unabhängigkeit vom Sudan erringen und ist damit der jüngste Staat der Erde. Doch schon zwei Jahre nach Staatsgründung hatte sich die Regierung des ressourcenreichen Landes derart zerstritten, dass sie 2013 einen fünfjährigen Bürgerkrieg entfesselte, der das Land in Gewalt versinken ließ und erst im September 2018 mit einem fragilen Friedensvertrag beendet werden konnte. Den Frieden zu stabilisieren, sollte die vorrangigste Aufgabe der Vereinten Nationen sein, die bereits mit 14.000 Blauhelmsoldaten im Land sind. Auch Deutschland hat ein Interesse, einen der gewalttätigsten Brennpunkte und Flüchtlingsherde Ostafrikas dauerhaft zu befrieden und sollte, zumal als Mitglied des UN-Sicherheitsrats, sein Engagement verstärken. Ein entscheidendes Handlungsfeld ist dabei die Reform des Sicherheitssektors in Südsudan.

Auf die Unabhängigkeit folgte der Bürgerkrieg

Bereits seit 1956, mit der Unabhängigkeit des Sudan von Großbritannien und Ägypten, gab es im christlich geprägten Süden des Landes Bestrebungen, die eigene Unabhängigkeit vom muslimischen Norden voranzutreiben. Insbesondere seit 1983 haben die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM, Sudan People Liberation Movement) und ihr militärischer Arm, die Sudanesische Volkbefreiungsarmee (SPLA, Sudan People Liberation Army) auch gewaltsam für die Unabhängigkeit gekämpft und konnten diese im Juli 2011 letztlich erringen. Nachdem die Region bereits seit 2005 autonom war, hatten im Januar 2011 99 Prozent der Südsudanesen in einem Referendum für ihre Unabhängigkeit gestimmt.

Südsudan gehört zu den erdölreichsten Staaten in Subsahara-Afrika, und seine etwa 13 Millionen Einwohner verteilen sich auf zahlreiche Völker und Ethnien. Beide Faktoren sind zwei der zentralen Gründe für die Machtkämpfe zwischen dem Präsidenten Salva Kiir und seinem Stellvertreter Riek Machar, die bereits kurz nach der Unabhängigkeit einsetzten und 2013 in einem erbitterten Bürgerkrieg mündeten. Kämpften die einzelnen Volksgruppen im Unabhängigkeitskampf gegen den Norden noch gemeinsam unter dem Schirm der SPLA, gelang es Kiir und Machar nun, das Land entlang ethnischer Linien zu spalten. Kiir versammelte große Teile der Dinka, seiner eigenen und mit 37 Prozent der Bevölkerung gleichzeitig größten Ethnie im Land hinter sich. Machar verlässt sich vornehmlich auf die Unterstützung der etwa 16 Prozent Nuer und der Shilluk, einer weiteren großen Volksgruppe im Nordosten des Landes, von deren Kommandeuren und Kämpfern viele die SPLA verließen und sich zur SPLA i.O. („in Opposition) zusammenschlossen.

Südsudan liegt am Boden

Trotz seiner Ölreserven und seinen fruchtbaren Landstriche entlang des Nils, der das Land von Süden nach Norden durchzieht, gehörte der Südsudan schon vor dem Bürgerkrieg zu den ärmsten Staaten der Welt. Der äußerst grausam geführte Bürgerkrieg aber hat die Lebensverhältnisse der Südsudanesen noch weiter verschlechtert. Alleine zwischen 1,5 und 2 Millionen von ihnen leben in teils riesigen Camps über das Land verteilt. Die Zahl derjenigen, die ihre Heimstätten verlassen haben, ohne irgendwo registriert zu sein, dürfte noch weit darüber hinaus reichen. Während die Versorgung in den Lagern meist wenigstens rudimentär gewährleistet werden kann, gibt es weite Landesteile, die aufgrund fehlender Infrastruktur kaum zu erreichen sind. Über fünf Millionen Menschen, und damit fast die Hälfte der Bevölkerung sind von mangelnder Versorgung und Hunger bedroht. Hunderttausende sind über die Grenzen, vor allem nach Äthiopien, Uganda und in den Sudan geflohen.

Knapp 200.000 Menschen lebten Anfang 2019 in den vier großen Binnenflüchtlingscamps in der Hauptstadt Juba sowie in Bentiu im Norden, Malakal im Nordosten und Wau im Westen des Landes. Diese Camps werden derzeit von den UN direkt geschützt. Und obwohl es den Menschen hier vergleichsweise gut geht, sie zumindest keinen Hunger leiden müssen und medizinisch versorgt werden können, sind es Orte der Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Gerade frustrierte junge Männer in den Camps sind es, die sich von der bewaffneten Opposition anwerben lassen oder sich zu kriminellen Gruppen zusammenschließen. Das Ausmaß der Kriegszerstörung zeigt sich im ganzen Land gleichermaßen, etwa in Malakal im Nordosten, einst die zweitgrößte Stadt des Landes, die im Laufe der Gefechte mehrfach die Besatzer gewechselt hat und großflächig vom Krieg zerstört wurde. Die ursprünglich in Malakal sesshaften Schilluk haben die Stadt zu großen Teilen verlassen, um im benachbarten UN-Camp Sicherheit zu suchen.

Bewaffnete Gruppen dominieren das Land

Insbesondere Frauen und Kinder gehören zu den Hauptleidtragenden des Krieges und der nach wie vor fragilen Sicherheitslage im Land. Im Krieg wurden Angriffe auf Zivilisten der vermeintlich anderen Seite als gezielte Taktik eingesetzt. Erschütternde Beispiele belegen das hohe Maß an Grausamkeit. So haben etwa 100 Augenzeugen gegenüber Amnesty International von Säuberungskampagnen durch Regierungstruppen und Milizen in der Region Mayendit und Leer im nördlichen Bundesstaat Unity berichtet, bei denen nicht nur alles Vieh gestohlen und die Dörfer und Felder zerstört wurden. Auch wurden Frauen gezielt vergewaltigt, Männer zu Tode gejagt und Kinder bei lebendigem Leibe verbrannt. Diese Berichte reichen bis in den Juli 2018 hinein, und dass obwohl Kiir und Machar sich bereits im Juni 2018 auf einen Waffenstillstand einigen konnten, der im September in einen, wenn auch fragilen, Friedensvertrag mündete. Die extremen Gewaltauswüchse machen deutlich, dass sich die zahllosen bewaffneten Gruppen im Land kaum kontrollieren, geschweige denn zuverlässig zentral befehligen lassen. Zwar verfügt die SPLA formal über eine hierarchische Gliederung mit einem Hauptquartier in der Hauptstadt Juba. Aber in der Praxis sind die einzelnen Truppen im Land, schon aufgrund kaum vorhandener Kommunikationsstrukturen oder logistischer Unterstützung, nur schwer zu kontrollieren. Einzelne SPLA-Kommandos, etwa an der nordöstlichen Grenze zu Äthiopien, liegen tief im Oppositionsgebiet und sind aufgrund ihrer völligen Abgeschiedenheit darauf angewiesen, sich mit dem Notwendigsten weitgehend selbst zu versorgen.

Die bewaffneten Rebellen sind noch eher ein loser Verbund regionaler Machthaber, die sich zwar der Opposition Riek Machars verschrieben haben, deren Loyalitäten aber flexibel sind und die vorrangig ihre eigenen Macht- und Einflussinteressen vertreten. Der Shilluk- Befehlshaber Johnson Olony etwa hatte sich in 2013 von der SPLA zum General befördern lassen und dann 2015 auf die Seite Machars geschlagen. Im Kern aber möchte er vor allem Gouverneur der geschichtsträchtigen Region Faschoda, Heimatregion seiner Volksgruppe, werden. Zu den Bewaffneten von SPLA und SPLA i.O. kommen im ganzen Land noch der allgegenwärtige und einflussreiche Geheimdienst (NSS, National Security Service), unterschiedlichste Polizei- und Zollgruppierungen sowie zahllose kleinere, oft eigenständige Milizen und sogenannte Oppositionsgruppen, von denen die meisten hinter dünnem politischen Anstrich ihren kriminellen Aktivitäten nachgehen. Schusswaffen, vor allem die unvermeidlichen russischen Kalaschnikows und deren chinesische Replikate sind in dem bitterarmen Land billig und allgegenwärtig.

Ohne Reform der Sicherheitskräfte wird der Frieden kaum halten

Seit dem Abschluss des Friedensvertrags geht es den vormaligen Gegnern vor allem um Fragen der Machtaufteilung. Welche Gruppe einen der fünf Vizepräsidentenposten oder ein Ministeramt besetzen darf, ist hierbei genauso von Bedeutung wie der jeweilige Einfluss in den derzeit 32 Bundesstaaten und über hundert Landkreisen. Die wirklich relevanten Fragen um den Frieden dauerhaft zu sichern werden hingegen kaum behandelt. Damit etwa die Millionen (Binnen-)Flüchtlinge sicher in ihre Dörfer und Städte zurückkehren können und um erneute Gewalteskalationen zu vermeiden, sollte es vor allem darum gehen, im Rahmen einer grundlegenden Sicherheitsreform großflächige Entwaffnungen durchzuführen, die zahlreichen Sicherheitskräfte auf ein notwendiges Maß zu reduzieren und den vormaligen Kämpfern aller Seiten Möglichkeiten eines Lebens ohne Waffen aufzuzeigen. Erst im Sommer 2018 waren noch tausende Regierungssoldaten befördert worden, um sie für die Treue im Bürgerkrieg zu entschädigen. Allein etliche Oberste wurden in den Rang eines Brigadegenerals erhoben. Allerdings geben die Strukturen der Streitkräfte diese Beförderungen weder her, noch können sie finanziert werden. Zahlreiche Soldaten und Polizisten mussten im Jahr 2018 monatelang auf ihren ohnehin sehr spärlichen Sold verzichten.[1] Beförderungen ohne mehr Gehalt oder höhere Verantwortung werden die Frustration innerhalb der Streitkräfte mittelfristig aber eher steigern, als sie abzumildern. Die SPLA i.O. hatte ebenfalls im Frühjahr und Sommer 2018 nochmal verstärkt junge Männer als Kämpfer rekrutiert, um die eigene Verhandlungsposition im Friedensprozess zu verbessern. Mit diesen Maßnahmen haben Regierung und Opposition der Sicherheitslage eher geschadet, als sie zu beruhigen.

Das Land und seine Kämpfer sind kriegsmüde

Spricht man mit Kommandeuren und Kämpfern von Regierung und Opposition, stellt man fest, wie kriegsmüde die meisten von ihnen sind und wie klar sie erkennen, dass die Gewalt der Entwicklung ihres Landes im Wege steht. Viele von ihnen haben auch schon für die Unabhängigkeit vom Norden gekämpft, die meisten in dem Glauben, dass ihr Land danach wirtschaftlich erblühen und ethnische Grenzen überwunden werden könnten. Nun aber haben sie die vergangenen Monate und manchmal Jahre fast durchgängig in Verteidigungsstellungen und Gefechten gegeneinander verbracht und stellen sich die Frage, wofür eigentlich. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges hat es keine nennenswerten Investitionen mehr im Land gegeben. Dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen, etwa im Bereich Straßenbau, Nutzbarmachung des Nils oder Ölveredelung wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Noch immer ist es unmöglich, das Südsudan während der bis zu sechsmonatigen Regenzeit auf dem Landweg zu durchqueren. Das für den Staatshaushalt dringend benötigte Öl wird derzeit ausschließlich in Palouich im Nordosten gefördert, unter chinesischer Beteiligung und bewacht von Spezialkräften der SPLA. Während in Juba noch die meisten Fragen offen sind, gibt es im Land durchaus engagierte regionale Eigeninitiativen von Bewaffneten und Politikern. So haben sich etwa der für Malakal zuständige Gouverneur, der örtliche Befehlshaber der SPLA und ihre nur knapp 30 Kilometer entfernten oppositionellen Gegenspieler in den Monaten seit dem Friedensschluss immer wieder bemüht, sich in gemeinsamen Treffen und mit handgeschriebenen Verträgen auf gegenseitige Bewegungsfreiheit, Gewaltlosigkeit und Rückkehrgarantien für Vertriebene zu verständigen. So lobenswert solche Initiativen auch sind, so benötigen sie dennoch eine landesweite Dimension, eine planvolle Steuerung und vor allem glaubhafte Zukunftsperspektiven, um dauerhaft erfolgreich zu sein.

Die UN und Deutschland sollten ihre Rolle anpassen

Die UN sind seit 2011 im Rahmen einer eigenen Mission, UNMISS (United Nations Mission in the Republic of South Sudan), im Land und hatten vorher bereits seit 2005 die Phase der Autonomie begleitet. UNMISS ist nach Kapitel VII der UN-Charta mit einem robusten Mandat ausgestattet und stellt derzeit mit über 14.000 Blauhelmsoldaten und einem jährlichen Budget von einer guten Milliarde US-Dollar (2018/19) eine der größten UN-Missionen überhaupt dar. Ihre ursprüngliche Aufgabe war es, den jungen Staat nach der Unabhängigkeit in der Staatsbildung und Konfliktbearbeitung, sowie beim Aufbau von Justiz und Sicherheitsstrukturen zu unterstützen. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges 2013 wurde das Mandat dann aber ab 2014 vollständig auf den Schutz der Zivilbevölkerung und die Wahrung der Menschenrechte, die Ermöglichung humanitärer Hilfe und die Unterstützung bei der Umsetzung von Waffenstillständen und Friedensverhandlungen abgeändert. UNMISS wurde vom Berater und Unterstützer der Regierung zu einem neutralen Akteur zwischen den Bürgerkriegsparteien.

Nun aber, nach Unterzeichnung des fragilen Friedensabkommens, sollten die UN alles daransetzen, die Funktionsfähigkeit einer künftigen, gemeinsamen Regierung der vormaligen Feinde zu unterstützen, denn eine nachhaltige Befriedungsperspektive lässt sich nur durch local ownership erreichen, bei der die Hauptverantwortung von wirklich allen betroffenen Akteuren in der Fläche des Landes übernommen wird. Hierzu müsste das UNMISS-Mandat allerdings erneut angepasst werden. Natürlich muss es auch weiterhin um den Schutz der Zivilbevölkerung gehen, aber auch die Unterstützung auf allen Ebenen des Staatsaufbaus und insbesondere im Rahmen einer umfassenden Reform des Sicherheitssektors muss hierbei in den Fokus rücken. Gemeinsam mit der neuen Regierung des Südsudan muss ein Konzept entwickelt werden, wie die Streitkräfte und anderen Sicherheitsorgane der vormaligen Gegner zu reduzieren, zu demobilisieren und zu reintegrieren sind und wie die zahllosen anderen bewaffneten Gruppen dauerhaft entwaffnet werden können, um das Gewaltmonopol in staatlichen Händen zu zentrieren. Alleine die Entwaffnung und Wiedereingliederung von bis zu 20.000 Kindersoldaten in die Gesellschaft ist eine zentrale Aufgabe. Die knapp 1.000 von ihnen, die 2018, auch mit Hilfe von der UN Kinderhilfsorganisation UNICEF, aus den Streitkräften entlassen wurden, können nur ein kleiner erster Schritt gewesen sein. Die Reform des Sicherheitssektors muss Vorrang vor all den anderen notwendigen Reformen im Bereich Gesundheit, Bildung, Wirtschaft, Justiz und good governance haben, denn ohne physische Sicherheit und weitestgehende Gewaltfreiheit im Land fehlt den anderen Bereichen das Fundament.

Deutschland sollte seinen gewachsenen Einfluss als nichtständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat einbringen, um eine entsprechende Debatte anzustoßen. Und parallel hierzu auch darüber nachdenken, das eigene Engagement zu verstärken und damit den eigenen Einfluss vor Ort ganz praktisch zu erhöhen. Die Bundeswehr ist derzeit mit einem guten Dutzend Offiziere im Land, deren Verbleib erst im März 2019 durch den Bundestag verlängert wurde. Die Deutschen stellen als Militärbeobachter vorrangig die Bewegungsfreiheit von UNMISS im Land sicher, sind aber auch im Hauptquartier der Mission in Juba eingesetzt. Schon eine größere Ausschöpfung der bereits vom Bundestag genehmigten Mandatsobergrenze von 50 deutschen Soldaten wäre ein deutliches und vergleichsweise kostengünstiges Signal, dass Deutschland den Friedensprozess ernst nimmt und zu seinem Gelingen einen höheren Beitrag leisten will. Die Bundeswehr verfügt über die notwendigen Experten, um Entwaffnungs-, Demobilisierungs-, und Restrukturierungsmaßnahmen im Militär sinnvoll begleiten zu können.

Deutschland könnte gleich in dreifacher Hinsicht profitieren:

  1. Der deutsche Gestaltungsanspruch im UN-Sicherheitsrat würde um eine weitere Kontur schärfer.
  2. Deutschland würde einen wichtigen Impuls setzen, einen der gefährlichsten Unruheherde in Ostafrika dauerhaft zu befrieden.
  3. Mit Angstfreiheit vor Gewalt würde ein wichtige Fluchtursache von Südsudanesen in die Nachbarstaaten und darüber hinaus erkennbar vermindert werden.

Major i.G. Rayk Hähnlein war von Februar bis Dezember 2018 als UN-Militärbeobachter im Südsudan im Einsatz und ist Mitglied im Arbeitskreis „Junge Sicherheitspolitiker“ der BAKS. Der Autor gibt seine persön-liche Meinung wieder.


[1] Ein Oberst der SPLA gab dem Autor gegenüber an, etwas mehr als 4.000 Südsudanesische Pfund im Monat zu verdienen, was etwa 20 bis 25 US-Dollar entspräche.

 

Arbeitspapier Thema: 
Innerstaatliche Konflikte
Internationale Institutionen
Region: 
Afrika
Schlagworte: 
Innerstaatliche Konflikte
Vereinte Nationen
Südsudan
Sicherheitssektorreform