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Kalter Krieg im Nahen Osten: Der iranisch-saudische Konflikt dominiert die Region

1/2021
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Seit dem Arabischen Frühling 2011 hat sich der jahrzehntealte Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien zu einem regelrechten Kalten Krieg im Nahen Osten ausgeweitet. Dass einige Golfstaaten und Israel jüngst Friedensabkommen schlossen, ist ein Indiz, dass die regionalen Gegner Irans ein Bündnis schmieden. In Europa hat derweil die Wahl Joe Bidens zum US-Präsident große außenpolitische Hoffnungen auch mit Blick auf die Nahostregion geweckt. Doch eine Rückkehr zum Atomabkommen mit Iran in seiner früheren Form ist unwahrscheinlich. Vielmehr hat der Konflikt das Potential, sich weiter zu verschärfen. Deutschland sollte deshalb seine Interessenlage in der Region kritisch überprüfen und sich auf Krisenszenarien vorbereiten.

In Deutschland und Europa hat der Wahlsieg von Joe Biden große außenpolitische Hoffnungen geweckt. Nicht zuletzt erwarten viele Politiker und Kommentatoren, dass der neue US-Präsident den Rückzug seines Landes aus dem 2015 geschlossenen Atomabkommen mit Iran rückgängig macht. Dies dürfte sich jedoch schwieriger gestalten als erwartet, denn der Konflikt zwischen Iran und seinen Gegnern hat sich in den letzten fünf Jahren verschärft. Nicht nur, dass US-Präsident Trump Iran mit alten und neuen Sanktionen überzog, wiederholt mit Krieg drohte, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation einstufte und deren General Qassem Soleimani kurzerhand töten ließ.

Als noch wichtiger dürfte sich erweisen, dass die Auseinandersetzung zwischen Iran und seinen regionalen Widersachern Saudi-Arabien und Israel in den Mittelpunkt gerückt ist. Seit dem Arabischen Frühling 2011 hat sich der jahrzehntealte Konflikt zu einem regelrechten Kalten Krieg im Nahen Osten ausgeweitet, der seinen bisherigen Höhepunkt in dem iranischen Angriff auf die saudischen Ölanlagen am 14. September 2019 fand. Ursache ist die iranische Expansionspolitik in der Region, die in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verstärkten Rüstungsanstrengungen führte und Israel veranlasst, iranische Ziele und iranisch kontrollierte Milizen in Syrien und im Irak zu bekämpfen. Dass einige Golfstaaten und Israel zuletzt sogar Friedensabkommen schlossen, ist ein Indiz, dass die regionalen Gegner Irans ein Bündnis schmieden. Selbst wenn es unter Präsident Biden wieder zu Verhandlungen zwischen den USA und Iran kommen sollte, ist eine Rückkehr zum Atomabkommen in seiner früheren Form unwahrscheinlich. Vielmehr hat der Konflikt das Potential, sich weiter zu verschärfen. Deutschland sollte deshalb seine Interessenlage in der Region kritisch überprüfen und sich auf Krisenszenarien vorbereiten.

Iranische Expansion: Atomprogramm, Raketen und Milizen

Ursache der Verschärfung des Konflikts ist in erster Linie die iranische Expansion im Nahen Osten. Zwar ist die Politik Irans nicht mehr so stark ideologisch geprägt wie in den ersten Jahren nach 1979, als sich Ayatollah Khomeini und seine Gefolgsleute den „Export der Islamischen Revolution“ auf die Fahnen schrieben und von einer Übernahme der Macht durch schiitische Islamisten im Irak und den Golfstaaten träumten. Vielmehr verbinden sich weltanschauliche Motive heute mit einer geradezu klassischen Hegemonialpolitik, die darauf abzielt, eine iranische Vormachtstellung am Persischen Golf und im Nahen Osten durchzusetzen. Zu diesem Zweck setzt Iran auf eine Revision der regionalen Ordnung, die seit den 1990er Jahren vor allem von der starken Präsenz der USA bestimmt wird. Die Führung in Teheran will einen Rückzug der Amerikaner, der deren Verbündete in der Region so stark schwächen würde, dass Iran eine Vormachtstellung einnehmen könnte. Dabei gilt die besondere Abneigung der Revisionisten in Teheran dem Königreich Saudi-Arabien.

Um sich in der Auseinandersetzung mit den USA und seinen regionalen Gegnern behaupten zu können, setzte Iran in den letzten zwei Jahrzehnten auf ein militärisches Atomprogramm, die teils damit zusammenhängende Raketenrüstung und die Unterstützung proiranischer militanter Gruppierungen. Letztere organisierten sich in einer Art schiitischer Internationale, einem von den iranischen Revolutionsgarden angeführten Bündnis, dem unter anderem die libanesische Hisbollah, schiitische Milizen im Irak, die (allerdings nicht-schiitische) palästinensische Hamas und die jemenitischen Huthi-Rebellen angehören. Diese Allianz nutzte die auf den Arabischen Frühling folgenden Wirren und Bürgerkriege, um ihre Positionen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen so weit auszubauen, dass zumindest die militärische Präsenz Irans in den vier Ländern auf Jahre gesichert scheint.

Für Irans Hauptgegner Saudi-Arabien drohte in den letzten Jahren die größte Gefahr aus dem Jemen, von wo die Huthis das Königreich mit von Iran gelieferten ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen beschießen – eine unbeabsichtigte Folge des Kriegs, den Saudi-Arabien seit März 2015 gegen die jemenitischen Rebellen führt. Doch als die USA die Sanktionen gegen Iran im Frühjahr 2019 dramatisch verschärften, griffen Teherans Revolutionsgarden die Golfstaaten direkt an. Auf Sabotageakte an Öltankern rund um die Straße von Hormuz folgten direkte Angriffe auf die saudi-arabische Ölinfrastruktur. Die wichtigste Attacke erfolgte am 14. September 2019, als Iran mit Drohnen und Marschflugkörpern die Ölanlagen von Abqaiq und Khurais und damit das Herz der saudi-arabischen Ölindustrie angriff. Damit demonstrierte Iran nachdrücklich, dass er jederzeit in der Lage ist, die wirtschaftliche Lebensader des Königreichs zu kappen. Zwar bekannten sich die Huthis zu dem Überfall, doch wurde schnell deutlich, dass die Flugkörper in Iran gestartet worden waren.

Der zentrale Konflikt im Nahen Osten

Die iranische Hegemonialpolitik des letzten Jahrzehnts stellt die jüngste Phase eines seit 1979 schwelenden Konflikts dar, in der die Islamische Republik als schiitisch-islamistische und revolutionär-antiimperialistische Macht mit dem sunnitisch-islamischen und konservativ-prowestlichen Saudi-Arabien konkurriert. Während Teheran auf eine Revision der regionalen Machtverhältnisse abzielt, setzt Riad auf die Bewahrung des Status quo, denn unter dem Schutz der USA ist das Königreich in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einer Ölgroßmacht, sondern auch zu der Führungsmacht der arabischen Welt geworden. Deshalb handelt es sich bei dem Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien heute um die zentrale machtpolitische Auseinandersetzung des Nahen Ostens – ein Systemkonflikt, der deshalb auch besonders erbittert geführt wird und langlebig ist.

Iran dürfte die etwas stärkere Militärmacht sein, die über die weitaus größeren Streitkräfte verfügt, im Konflikt mit den Nachbarn aber vor allem auf ballistische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen ebenso wie auf Bündnisse mit proiranischen Milizen und Terrorgruppen wie der libanesischen Hisbollah und den jemenitischen Huthis setzt. Saudi-Arabien hingegen kann nur stark fragmentierte und kampfschwache Streitkräfte ins Feld führen, die kaum für einen Krieg gegen äußere Feinde geeignet sind. Daran haben auch milliardenschwere Rüstungskäufe bisher nichts geändert. Die wichtigste Ausnahme ist die hochmoderne und zahlenmäßig starke Luftwaffe, der das iranische Militär im Konfliktfall wenig entgegenzusetzen hätte. Ähnliches gilt für die eng mit Saudi-Arabien verbündeten Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), deren Militär zwar kleiner als das saudische, aber besser ausgebildet, professioneller und kampfstärker ist.

Nach einer Entspannungsphase in den 1990er Jahren gewann der iranisch-saudi-arabische Konflikt ab 2003 erneut an Schärfe. Der wichtigste Anlass war die amerikanische Invasion des Irak, die dazu führte, dass iranfreundliche Kräfte 2005 die Macht im Zweistromland übernahmen und Irans dortiger Einfluss rasch zunahm. Saudi-Arabien versuchte in den Folgejahren mit nur mäßigem Erfolg, die wachsende Macht Teherans in der arabischen Welt zu begrenzen. Doch als Iran seine Positionen infolge des Arabischen Frühlings und der ab 2011 einsetzenden Unruhen, Aufstände und Bürgerkriege in Syrien, Irak und Jemen weiter ausbauen konnte, reagierte Riad mit großer Entschlossenheit und Aggressivität. Bis 2015 stand dabei der Bürgerkrieg in Syrien im Vordergrund, wo Saudi-Arabien meist gemeinsam mit den USA Aufständische in ihrem Kampf gegen das mit Teheran verbündete Regime von Präsident Bashar al-Assad unterstützte. Ab 2015 wurde der Jemen wichtiger, wo die von Iran unterstützten Huthi-Rebellen die Hauptstadt Sanaa einnahmen und Saudi-Arabien gemeinsam mit den VAE intervenierte.

Im Bewusstsein der eigenen militärischen Schwäche baute Saudi-Arabien im Kampf gegen Iran auf seine Verbündeten. Diese Politik wurde ab 2017 auch von den USA befördert; die Regierung Trump versuchte, die prowestlichen Regionalstaaten in einem antiiranischen Bündnis zu organisieren. Diese „Nahost-Sicherheitsallianz“ (Middle East Security Alliance / MESA) blieb zunächst zwar im Anfangsstadium stecken, weil Ägypten sich im April 2019 zurückzog. Doch näherten sich Saudi-Arabien und die VAE stattdessen Israel an. Aus Sicht der Golfstaaten sind verbesserte Beziehungen zu dem jüdischen Staat nicht nur deshalb besonders wichtig, weil er die stärkste Militärmacht der Region ist. Israel führt außerdem seit 2017 einen nicht erklärten Krieg gegen die schiitische Internationale in Syrien und Irak, wo die israelische Luftwaffe insgesamt über tausend Angriffe gegen iranische und verbündete Ziele geflogen hat. Noch attraktiver ist Israel für die Golfstaaten, weil es mit Aktionen wie der gezielten Tötung von General Mohsen Fakhrizadeh – der als die Schlüsselfigur im iranischen Atomprogramm galt – im November 2020 zeigte, dass es bereit und in der Lage ist, alle seine Ressourcen zu mobilisieren, eine atomare Bewaffnung Irans zu verhindern. Dass die VAE und auch Bahrain Friedensabkommen mit Israel schlossen, war vor diesem Hintergrund eine Bekräftigung des Bündnisses gegen Iran. Saudi-Arabien fehlte zwar in der Liste der Vertragsparteien, doch machte das Königreich mehrfach deutlich, dass es die Annäherung an den ehemaligen Erzfeind guthieß.

Der „Rückzug“ der USA

Die neue Einigkeit von Saudis und Israelis ist auch eine Reaktion auf die Politik der USA im Nahen Osten. Schon seit dem Ende der Ära Bush 2009 hatte sich in der amerikanischen Politik die Ansicht durchgesetzt, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan die USA davon abgehalten haben, dem großen weltpolitischen Konkurrenten China die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Präsident Obama hatte dieser Haltung mit seiner Forderung nach einer Umorientierung auf Asien (pivot to Asia) Ausdruck verliehen und zog 2011 sämtliche US-Truppen aus dem Irak ab. Das Atomabkommen mit Iran 2015 diente dann auch nicht zuletzt dem Ziel, das wichtigste weltpolitische Problem im Nahen Osten – die drohende nukleare Bewaffnung der Islamischen Republik – zu lösen, um mehr Ressourcen anderswo einsetzen zu können. Wie distanziert der US-Präsident den Regierungen in Riad, Abu Dhabi und Tel Aviv/Jerusalem gegenüberstand, zeigte sich vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit, als Obama sie aufforderte, den Nahen Osten mit Iran „zu teilen und so etwas wie einen kalten Frieden zu schaffen.“

Diesem Affront entsprechend war die saudi-arabische Führung hoch erfreut, als mit Donald Trump 2017 ein erklärter Feind der Islamischen Republik das Präsidentenamt übernahm. Die Begeisterung wuchs, als die erste Auslandsreise des neuen Präsidenten ihn nach Riad führte. Trump hatte schon im Wahlkampf eine aggressiv antiiranische Linie angekündigt, die 2018 Gestalt annahm, als die USA sich einseitig aus dem Atomabkommen von 2015 verabschiedeten und alte Sanktionen erneut einführten und neue verhängten. Außenminister Mike Pompeo prägte den Begriff des „maximalen Drucks“ auf Iran, der vor allem die Ölexporte traf, sodass die ohnehin durch Korruption und Misswirtschaft geschwächte iranische Ökonomie schon 2019 kurz vor dem Zusammenbruch stand. Iran reagierte mit Angriffen auf die Ölindustrien der Nachbarn, die in der Attacke auf die Ölanlagen vom September 2019 gipfelten.

Damals zeigte sich jedoch, dass die saudi-arabische Führung das Kalkül der Trump-Administration nicht verstanden hatte. Diese wollte keinen neuen Krieg im Nahen Osten, weil Trump – ähnlich wie vor ihm schon Obama – seinen Wählern die Rückkehr des amerikanischen Militärs aus den „endlosen Kriegen“ der Region versprochen hatte. Auf den iranischen Angriff reagierte der US-Präsident deshalb zwar mit scharfer Rhetorik, vermied aber einen offenen militärischen Gegenschlag; das US-Militär beschränkte sich auf einen Cyberangriff. Die Ereignisse zeigten in aller Deutlichkeit, dass Trump zwar die regionalen Verbündeten in ihrem Konflikt mit Iran unterstützte, indem er die Nahost-Sicherheitsallianz zu seinem Projekt machte und die Partner auch gerne mit Waffensystemen ausstattete. Doch war sein Ziel, Saudi-Arabien, die VAE und andere Staaten zu ertüchtigen, damit sie es auch ohne die Beteiligung amerikanischer Truppen mit Iran aufnehmen konnten. Der ausgebliebene Gegenschlag vom September 2019 zeigte den Verbündeten, dass der Wille zum Rückzug aus der Region zu einer Konstante der amerikanischen Politik geworden war, auch wenn Obama und Trump scheinbar so unterschiedlich vorgingen. Es ist zu erwarten, dass der neue Präsident Joe Biden auf eine ähnliche Politik setzen wird.

Atomprogramme beiderseits des Golfs

Die Ereignisse der letzten zehn Jahre haben in Riad die Einsicht reifen lassen, dass die USA nicht mehr der Garant saudi-arabischer Sicherheit sind, der sie zuverlässig seit 1945 waren. Die vielleicht dramatischste Folge ist, dass Saudi-Arabien auch Interesse an einem Atomprogramm zeigt. Offizieller Darstellung zufolge handelt es sich um ein rein ziviles Projekt, doch lässt das Beharren der Saudis auf einer eigenen Urananreicherung vermuten, dass sie sich die Option auf eine militärische Nutzung nicht von vornherein verbauen wollen. Da die USA sich bisher weigerten, unter diesen Voraussetzungen Technologie zu liefern, scheint Riad jetzt auf die Hilfe Chinas zu setzen. Über moderne chinesische Raketen, die gegebenenfalls auch Nuklearsprengköpfe transportieren könnten, verfügt Saudi-Arabien ohnehin.

Vor diesem Hintergrund (und nach den Erfahrungen der vier Jahre Trump) dürfte es noch schwieriger sein, die Führung in Teheran davon zu überzeugen, ihren Wunsch nach einer eigenen Bombe aufzugeben und in neuen Verhandlungen mit den USA substantielle Zugeständnisse zu machen. Es ist vor allem unwahrscheinlich, dass die Islamische Republik bereit ist, ihr Raketenprogramm und die Unterstützung militanter Gruppen in der Region zurückzufahren, denn es handelt sich um zwei Grundbestandteile der iranischen Militärstrategie. Die Einbeziehung der beiden Themen dürfte aber nach den Erfahrungen mit den Angriffen auf die Ölanlagen (die auch in Israel aufgrund ihrer Zielgenauigkeit Entsetzen hervorriefen) für die regionalen Verbündeten der USA noch viel wichtiger sein als 2015 – als sie höchst verstimmt waren, dass die Obama-Administration ohne ihre Mitwirkung ein Abkommen schloss, das auch ihre Sicherheit betraf.

Sollte die Regierung Biden in Verhandlungen ähnlich vorgehen und – entgegen den bisherigen Ankündigungen – die iranischen Raketen und schiitischen Milizen doch erneut ausklammern, wird der Widerstand Saudi-Arabiens, der VAE und Israels deutlich heftiger sein als noch 2015. Vor allem werden sie ihre Verbündeten im Kongress mobilisieren, die in beiden politischen Lagern zu finden sind. Darüber hinaus hat die Tötung von Fakhrizadeh gezeigt, dass zumindest Israel weitere Optionen hat, will es eine Entspannung zwischen Washington und Teheran stören.

Deutsche Politik, deutsche Interessen

Die deutsche Politik sollte nicht glauben, dass es ein einfaches Zurück zum ursprünglichen Iran-Atomabkommen von 2015 geben könnte. Wenn aber Verhandlungen aufgenommen werden, sollte Deutschland sich hinter die Regierung Biden stellen, die bereits angekündigt hat, auch das iranische Raketenprogramm und die regionale Expansion Irans zum Gegenstand von Gesprächen machen zu wollen. Um ein umfassenderes Abkommen – das auch im deutschen Interesse ist – möglich zu machen, darf es keine Uneinigkeit zwischen Europa und den USA geben, die Teheran ausnutzen könnte.

Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung auf die wahrscheinlicheren Szenarien vorbereiten, in denen es zu keiner oder keiner baldigen Verhandlungslösung kommt und in denen Iran sein Nuklearprogramm und die Raketenrüstung weiter vorantreibt und die Unterstützung von Milizen und Terrorgruppen fortführt. Für diesen Fall gilt es, gemeinsam mit den USA Saudi-Arabien davon abzuhalten, ein militärisches Atomprogramm zu beginnen. Außerdem müssten die Verbündeten eine Strategie der langfristigen Eindämmung Irans entwickeln, die nur funktionieren kann, wenn die USA, ihre europäischen Verbündeten und die prowestlichen Regionalstaaten eng zusammenarbeiten. Dazu gehören auch die in Deutschland oft kritisierten Waffenlieferungen an problematische Staaten wie Saudi-Arabien oder die VAE.

Zur Vorbereitung auf die nächsten Monate und Jahre ist es zusätzlich angezeigt, die bisherige deutsche Interessendefinition zu überdenken. Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler haben in den letzten Jahren häufig argumentiert, dass es in erster Linie gelte, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Iran und seinen Gegnern zu verhindern. Das noch wichtigere Interesse der Bundesrepublik sollte aber sein, eine nukleare Bewaffnung von Regionalstaaten zu verhindern. Notwendige Konsequenz dieser Interessendefinition könnte es im Extremfall sein, auch einen Militärschlag der USA und/oder Israels gegen Iran zu unterstützen, falls dieser notwendig werden sollte, um eine nukleare Bewaffnung des Landes zu verhindern. Eine deutlichere Formulierung dieses Interesses könnte auch dazu dienen, den Druck auf Iran zu erhöhen, der in den letzten Jahren allzu oft versucht hat, Uneinigkeit zwischen Europa und die USA zu schüren.

Dr. Guido Steinberg arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Gerade ist sein neues Buch erschienen: Krieg am Golf. Wie der Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien die Weltsicherheit bedroht (Droemer 2020). Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

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