Die vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping angestoßene Seidenstraßeninitiative OBOR („one belt, one road“) präsentiert sich als gigantisches Infrastrukturnetzwerk zu Lande und zu Wasser, das Eurasien und Afrika stärker zusammenführen soll, und dabei flexibel, inklusiv und auf Zusammenarbeit ausgerichtet ist. Die Initiative soll China neben einem sicheren Zugang zu Ressourcen auch neue Exportmärkte, vor allem in Süd-und Osteuropa und in Afrika, erschließen helfen. Wenn man genauer hinschaut, bleibt aber vieles bisher nach wie vor vage; der genaue geographische Umfang ist bewusst offengehalten. Damit ist auch sichergestellt, dass die Deutungshoheit bei Peking verbleibt. China strebt ein umfassendes Netzwerk zur Stärkung der Konnektivität dieses großen Wirtschaftsraumes an, behält sich aber vor, mit seinem ökonomischen und finanziellen Gewicht die Fäden des Spinnennetzes an seinen wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen auszurichten.
Die Seidenstraßen-Initiative und Europa
In Richtung Europa geht es Peking vor allem um den Ausbau der Transportinfrastruktur auf dem Landweg über Zentralasien und Russland, auf dem Seeweg durch den Indischen Ozean und den Suezkanal. Ein Abzweig nach Afrika soll die mit chinesischer Hilfe im Aufbau befindliche Verkehrsinfrastruktur Afrikas an den eurasischen Gürtel anbinden. In Europa kann China an bereits bestehende Transportverbindungen wie die Eisenbahnverbindung von China nach Duisburg, Europas größtem Binnenhafen, anknüpfen. Die Güterzugstrecke vom chinesischen Yiwu (nahe Shanghai) nach Madrid ist mit fast 13.000km die längste der Welt. China hat darüber hinaus mit 16 Staaten Mittel-und Osteuropas, darunter 11 EU-Mitgliedern, eine institutionalisierte Zusammenarbeit ins Leben gerufen, die gemeinsame Projekte im Bereich der Wirtschaft und des kulturellen Austausches identifizieren soll. Zu den Ergebnissen dieser G16+1-Kooperation zählen die Eisenbahn-Schnellverbindung von Belgrad nach Budapest und der Abzweig der Güterverkehrsverbindung von Yiwu nach Riga. Auch in Polen ist China am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur aktiv beteiligt. Auffallend bei all diesen Projekten ist, dass China nicht nur Kapital und Material, sondern auch seine eigenen Arbeitskräfte mitbringt. Mit dem Zuschlag zur Privatisierung des Hafens von Piräus als Freihafen hat sich China den logistischen Zugang zum EU-Markt gesichert.
Auch gezielte Unternehmenszukäufe in Europa sollen die Transportinfrastruktur an den Bedürfnissen der chinesischen Wirtschaft ausrichten. So bemüht sich der weltgrößte chinesische Schienenfahrzeugkonzern CRRC um den tschechischen Bahnhersteller Skoda Transportation. Im Herbst 2016 erwarb eine chinesische Investorengruppe den traditionsreichen Bochumer Verein, einen führenden Hersteller von Eisenbahnradsätzen.
Konnektivität und Stabilität
China möchte mit seinen Investitionen im eurasischen Raum und in Afrika auch eine in seinem Sinne wirkende politische Stabilität entlang der neuen Seidenstraße herstellen. Es befördert damit zugleich ein geostrategisches Gegengewicht zu den Interessen des großen Rivalen USA. Diese waren sehr irritiert, als sich auch wichtige europäische Staaten, neben Deutschland auch Frankreich und Großbritannien, entschlossen, der neuen, von Peking inspirierten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank AIIB beizutreten.
Die chinesische Initiative ist bewusst mehrgleisig angelegt. Das angestrebte Infrastrukturnetzwerk in Eurasien und nach Afrika soll transportlogistisch ein hohes Maß an Flexibilität gegenüber möglichen Störungen, etwa möglichen Blockadeversuchen der USA, bieten. Zugleich soll das Netzwerk Chinas Resilienz gegenüber zunehmend protektionistischen Strömungen im Welthandel stärken. Das kann von Vorteil sein, wenn die China-Dämonisierung des neuen amerikanischen Präsidenten Trump auf einen Handelskrieg zwischen den USA und China zusteuern sollte und China mit massiven Behinderungen auf seinem wichtigsten Exportmarkt rechnen muss. Noch ist das eurasische Infrastrukturnetzwerk allerdings zu rudimentär, um Peking dann einen ausreichenden Schutz zu bieten. Andererseits lässt sich nicht ausschließen, dass Trump im Rahmen eines größeren Deals mit Peking auf die Initiative aufspringt, die USA sich an der AIIB beteiligen und US-Unternehmen ihrerseits in den Ausbau der Verkehrs-, Kommunikations-und Energieinfrastruktur im eurasischen Raum investieren. Hier bietet die in der Digitalisierung am weitesten fortgeschrittenen USA komplementäre Möglichkeiten zu den Investitionen Pekings, und zugleich behielte Washington bei der weiteren Integration Eurasiens einen Fuß in der Tür.
China bemüht sich schon seit längerem, seinem strategischen Konnektivitäts-Anliegen durch ein zuträgliches Netzwerk solider bilateraler Beziehungen Stabilität zu verleihen. Im Mittleren Osten pflegt Peking zu den beiden um die Vorherrschaft konkurrierenden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien gute Beziehungen, die durch den Besuch Präsident Xi Jinpings in beiden Ländern Anfang letzten Jahres weiter gefestigt wurden. Pekings Rolle beim Nukleardeal mit dem Iran darf nicht unterschätzt werden. China überzeugte die iranische Führung auch durch eigene Hilfsangebote von den wirtschaftlichen Vorteilen des Deals.
Die strategische Partnerschaft mit Russland trägt vor allem über die gemeinsamen Interessen im Bereich der Vereinten Nationen; die großen wirtschaftlichen Projekte sind angesichts nach wie vor offener Fragen insbesondere zur Finanzierung hingegen noch nicht recht in Gang gekommen. Eng sind die Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten, wo China mittlerweile größter ausländischer Investor ist. Die Öl-und Gas-Pipelines von Kasachstan und Usbekistan sind ein zentrales Element des chinesischen Seidenstraßen-Projekts. Auch die Shanghai Cooperation Organization (SCO) wird von Peking mittlerweile als ein das Seidenstraßen-Netzwerk stabilisierender Faktor genutzt.
Gelegentlich muss China aber auch Rückschläge in Kauf nehmen: So sah sich die kasachische Regierung nach erheblichen Protesten in der Bevölkerung genötigt, eine geplante Bodenrechtsreform zurückzunehmen, die China die Möglichkeit zu größerem Landerwerb in Kasachstan eingeräumt hätte. Auch in Kirgistan kommt es immer wieder zu Angriffen auf chinesische Infrastrukturprojekte und chinesisches Personal, etwa durch einen Bombenanschlag auf die chinesische Botschaft im August 2016. Unlängst demonstrierten in Sri Lanka Bauern gegen die Überlassung von Land an chinesische Investoren beim von China gebauten Hafen von Hambantota im Süden der Insel. Hier tappte die srilankische Regierung in die Kreditfalle: Sie kann die Zinslast aus von China vorfinanzierten Investitionen nur über weitere Zugeständnisse an Peking mildern.
Engste Beziehungen unterhält China traditionell zu Pakistan; der chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor ist denn auch ein zentrales Element der Seidenstraßen-Initiative. Doch auch in Pakistan bleiben Angriffe auf chinesisches Personal bei den großen Infrastruktur-Projekten nicht aus. Der Ausbau des Hafens von Gwadar und die Verkehrsanbindung durch Belutschistan leiden immer wieder unter Anschlägen auf chinesische Arbeiter und die Infrastruktur durch belutschische Separatisten. Die Anbindung durch Pakistan ist vielleicht das gegenüber terroristischen Anschlägen verletzlichste Bindeglied der Seidenstraßeninitiative, doch andererseits könnte sie auch zu größerer Stabilität in der Region beitragen: China ist angesichts der großen Abhängigkeit Islamabads von Peking in der Lage, erheblichen Einfluss auf die pakistanische Regierung auszuüben. Es hat kein Interesse daran, dass der gerade wieder aufgeflammte Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan eskaliert. China wünscht keine Veränderung des status-quo in Kaschmir und steht hier der indischen Position viel näher als der Position Pakistans.
In Ägypten hat Präsident Xi Jinping bei seinem Besuch im Januar 2016 chinesische Investitionen im Umfang von 15 Milliarden US-Dollar für Entwicklungs-und Infrastrukturprojekte zugesagt. China hatte schon im Vorfeld der Erweiterung des Suezkanals massiv in den Ausbau des Containerterminals in Port Said investiert, und es engagiert sich intensiv beim Aufbau einer Industriezone am südlichen Ausgang des Kanals, der für Peking die wichtigste Seeverbindung nach Europa darstellt.
Die seewärtige „Seidenstraße“ wird von großen Hafenprojekten entlang der sogenannten Perlenschnur im Indischen Ozean begleitet, die von Myanmar und Thailand über Bangladesch und Sri Lanka sowie den pakistanischen Hafen Gwadar zum Suezkanal führen und im Hafen von Piräus ihren europäischen Endpunkt finden. Der künftige chinesische Marinestützpunkt in Dschibuti dient der Absicherung dieses Korridors, ebenso Chinas aktive Teilnahme an der EU-Marineoperation Atalanta zur Piratenbekämpfung am Horn von Afrika. Darüber hinaus soll Dschibuti den Schutz und die Sicherheit des in Afrika tätigen chinesischen Personals gewährleisten. Dschibuti ist zugleich das Eingangstor für den im Aufbau befindlichen afrikanischen Zweig der „Neuen Seidenstraße“. Im Herbst 2016 wurde die von China gebaute Eisenbahnstrecke nach Addis Abeba in Äthiopien eröffnet. Von dort sind Anbindungen an das ostafrikanische Netz sowie chinesische Infrastrukturprojekte im südlichen Afrika, auf mittlere Sicht bis Nigeria geplant.
Chinesischem Interesse an stabilen Verhältnissen entlang des Seidenstraßengürtels und am Schutz chinesischen Personals und chinesischer Unternehmen dient auch das Engagement Pekings für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen. China ist mittlerweile größter Truppensteller unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats; allein in Afrika bemüht sich China durch die aktive Teilnahme an sieben der neun afrikanischen Friedensmissionen der VN um Stabilität.
Im Indischen Ozean erweist sich die chinesische Initiative auch als Gegengewicht zu den strategischen Interessen Indiens. Die Perlenschnur-These unterstellt Peking die Absicht, die Kontrolle über die Seewege im Indischen Ozean zu erlangen. Das mag langfristig auch intendiert sein. Zunächst geht es China aber darum, durch die Sicherung wichtiger Versorgungsrouten einen Beitrag zu kontinuierlich hohem Wirtschaftswachstum zu leisten und so die innere Stabilität Chinas nachhaltig sicherzustellen. Die Infrastrukturprojekte führen darüber hinaus auch die nach wie vor hohen chinesischen Devisenreserven einer sinnvollen Nutzung zu, die sonst nur von geringem strategischem Wert wären. Noch wäre die chinesische Marine nicht in der Lage, eine effektive Kontrolle über die Seewege im Indischen Ozean sicherzustellen, ganz zu schweigen davon, auch der amerikanischen Dominanz in Asien/Pazifik nur annähernd Paroli zu bieten.
Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort
Aus europäischer Perspektive sind die Beweggründe für die chinesische Seidenstraßen-Initiative ohne weiteres nachvollziehbar. Es liegt auf der Hand, dass die bald größte Wirtschaftsmacht der Welt global ausgerichtet ist und ein ganz erhebliches Interesse an stabilem Handelsaustausch und Zugang zu Ressourcen hat. Insofern dient der Ausbau der Verbindungen nach Europa und Afrika in erster Linie sicher den wirtschaftlichen Interessen Chinas am langfristigen Erhalt und weiteren Ausbau seiner Exportmärkte – und dies zumal der wichtigste Markt, die USA, in schwierigeres Fahrwasser steuert. Europa teilt im Grundsatz das chinesische Interesse an einem stabilen Umfeld für den eurasischen Handelsaustausch. Auch in Afrika kann das gemeinsame Interesse an einer Stabilisierung des Kontinents Anknüpfungspunkt für eine punktuelle Zusammenarbeit mit China sein. Die EU hat auf dem EU-China-Gipfel im Juni 2015 in Brüssel eine gemeinsame Konnektivitätsplattform mit Peking ins Leben gerufen. Hier soll eine Abstimmung der beiderseitigen Interessen beim Ausbau der Infrastruktur erfolgen. Wo die chinesischen Pläne europäischen Konnektivitätsinteressen zuwiderlaufen, gilt es gegenzuhalten. Das setzt allerdings ein einheitliches abgestimmtes Vorgehen auf europäischer Seite voraus. Erliegen schon die großen EU-Mitgliedstaaten zunehmend dem chinesischen Hang zum Bilateralismus, gilt das umso mehr für die institutionalisierte Zusammenarbeit der kleineren mittel-und osteuropäischen Staaten im Rahmen des 16+1-Prozesses. Hier drohen sich Abhängigkeiten herauszubilden, die ein einheitliches EU-Vorgehen zunehmend erschweren.
Gemeinsame EU-Standards und -Normen dürfen bei Investitionsprojekten mit chinesischen Partnern nicht über Bord geworfen werden; auch dürfen die Projekte einer harmonisierten Gesamtplanung, etwa zum europäischen Verkehrswegenetz, nicht zuwiderlaufen. Europäischen Vorgaben bei der Arbeitssicherheit ist genauso Rechnung zu tragen wie den Regeln für eine europaweite Ausschreibung von Projekten. Wo die Interessenlage von EU und China übereinstimmt und Synergien genutzt werden können, sollte sich Europa hingegen dem chinesischen Angebot öffnen, zumal China geneigt ist, auch bei der Finanzierung erhebliche Beiträge zu leisten.
Thomas Wrießnig ist Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/4