BAKS-Präsident Botschafter Ekkehard Brose spricht im Interview mit der Zeitschrift Cicero über die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von Kampfpanzern Leopard 2 an die Ukraine und über die Bedeutung des abgestimmten Vorgehens Europas mit den USA. Es bedürfe die Einbindung der USA, um der nuklearen Bedrohung Russlands ein sicherheitspolitisches Gewicht entgegenzustellen, und eines geschlossenen Auftretens aller Verbündeten, so Brose.
Herr Brose, hat Sie die Entscheidung des Bundeskanzlers, jetzt doch deutsche Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, überrascht?
Im Ergebnis nicht. Der genaue Zeitpunkt war auch für mich nicht absehbar. Viele hatten gehofft, dass das Treffen in Ramstein am Freitag davor schon den Rahmen bieten würde, diese Entscheidung bekanntzugeben. Aber wenn es dann ein paar Tage später kommt, ist das auch noch gut.
Sie hatten also erwartet, dass Olaf Scholz dem Druck irgendwann nachgeben wird.
Ich würde nicht sagen, dass Scholz hier nur einem Druck nachgegeben hat. Richtig ist sicher, dass die Erwartungshaltung vieler anderer Staaten war und ist, dass Deutschland diesen Beitrag zusätzlich zu allen anderen Beiträgen, die Deutschland bereits leistet, erbringen würde. Es ging für den Bundeskanzler nicht nur um die Frage: Gebe ich jetzt nach? Die Bundesregierung unterstützt ja die Ukraine. Da stimmen wir mit den Partnern überein. Es ging um die spezifische Unterstützung mit Leopard-2-Panzern, und die hat der Kanzler nicht ohne Grund an Rahmenbedingungen geknüpft, die längere Zeit nicht erfüllt waren.
Nämlich, dass die Amerikaner als stärkster Nato-Verbündeter ebenfalls Kampfpanzer liefern.
Ja, so sehe ich das.
Im Nachhinein muss man sagen: Wenn das von Anfang an sein Ziel war, dann hat Scholz nicht gezaudert, sondern gut gepokert. Dann war es ein Erfolg für ihn.
Das Wort „gepokert“ mag ich in dem Zusammenhang nicht. Niemand, der daran mitwirkt, pokert hier, sondern das sind sehr ernsthafte Überlegungen. Denn das Ganze hat ja vielleicht gravierende Konsequenzen. Wichtig ist doch: Wir, im Westen, treten der russischen Expansion in die Ukraine entgegen, und das tun wir geschlossen.
Warum ist es sicherheitspolitisch für uns ein Vorteil, wenn auch die Amerikaner ihre Panzer in die Ukraine liefern?
Russland ist ein großer Nuklearstaat. Keiner in Europa, auch nicht alle Europäer zusammen, bringen sicherheitspolitisch dasselbe Gewicht wie Russland auf die Waage. Wir brauchen dazu zwingend die USA. Deswegen ist die Nato so wertvoll. Die Frage der Panzer aus deutscher Produktion hat besondere Symbolkraft. Da will man die Amerikaner nicht nur in allgemeiner Form mit an Bord haben. Ihre Abrams-Panzer werden nun sichtbar vor Ort neben den Leoparden im Einsatz sein. So interpretiere ich die Linie, die Scholz gefahren ist. Und ja, das haben die Amerikaner nicht sofort geschluckt. Es gab Argumente, die dagegensprachen, aber am Ende haben sie zugestimmt. Insofern kann man sagen, es hat sich wirklich gelohnt, nicht nur für Deutschland, sondern für Europa, dass der Bundeskanzler ausdauernd verhandelt hat.
Wie entscheidend sind diese Kampfpanzer für den weiteren Kriegsverlauf?
Zunächst einmal: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat noch einmal klargestellt, dass diese Panzer auf ukrainischem Territorium fahren werden. Das heißt, es geht nicht darum, russisches Territorium zu erobern. Zweitens: Wir tun gut daran, nicht zu erwarten, dass mit dieser Entscheidung nun sehr bald eine Wende im Krieg eintritt. Aber die ukrainische Position wird sicherlich dort, wo die Panzer gezielt zum Einsatz kommen, stärker werden. Und das wird die Ukraine, so hofft man, in die Lage versetzen, sich der russischen Angriffe besser zu erwehren. Im Moment hören wir von kleineren taktischen Siegen der russischen Seite. Nach dem Ende des Winters werden beide Seiten vermutlich weitere größere Operationen planen. Dann wird die Verfügbarkeit westlicher Panzer für die Ukraine von besonderem Wert sein.
Dass neben dem Leopard- auch der Abrams-Kampfpanzer zum Einsatz kommt, war vor allen Dingen politisch motiviert, weniger aus der militärischen Logik heraus, oder?
Wenn man es nur militärisch sieht, was bei solchen Fragen aber nicht angemessen wäre, dann ist es natürlich ein Nachteil, wenn viele verschiedene Panzertypen zum Einsatz kommen. Das gilt auch für Geschütze und andere Systeme. Je weniger Waffentypen es sind, umso einfacher ist die Logistik von Instandhaltung und Versorgung. Aber die zentrale politische Überlegung ist doch, dass man bei dieser herausgehobenen Entscheidung Amerika auch physisch dabei haben will. Denn es ist der einzige Staat der westlichen Allianz, der die Nuklearmacht Russland, wenn es hart auf hart kommt, in Schach halten kann.
Lassen Sie uns das Worst-Case-Szenario beim Namen nennen: dass Putin sich durch diese Waffenlieferungen genötigt sehen könnte, am Atombombenknopf zu spielen.
Er spielt schon eine ganze Weile mit der Drohung, in unverantwortlicher Weise. Es ist ihm aber nicht nur von westlicher, sondern zum Beispiel auch von chinesischer Seite, klar bedeutet worden: Hör auf damit! Deswegen gehe ich davon aus, dass er das nicht leichtfertig wiederholen wird. Aber wissen kann man das natürlich nie ganz genau.
Und für diesen Fall reicht die Nato-Beistandsverpflichtung nicht aus? Die Amerikaner hätten ja die Pflicht, uns beizustehen, egal ob sie Panzer in die Ukraine liefern oder nicht.
Der Nato-Bündnisfall ist in Artikel fünf geregelt: Ein Angriff auf einen wird als Angriff auf alle gewertet. Und es gibt verschiedene Arrangements, einschließlich der nuklearen, die bewirken sollen, dass sich die Abschreckung, die von Amerika selbst ausgeht, auch auf Europa erstreckt. Das ist die sogenannte extended, also ausgedehnte Abschreckung. Konkret sind das zum Beispiel die amerikanischen nuklearen Bomben, die auch in Deutschland lagern und mit deutschen Flugzeugen eingesetzt würden. Dazu zählt natürlich auch die amerikanische Truppenpräsenz in Europa. Das sind alles Vorkehrungen, die rückversichernd wirken und den Artikel fünf mit konkreten militärischen Vorkehrungen unterfüttern.
Joe Bidens Panzer-Versprechen ist also nicht nur ein Signal an die ängstlichen Deutschen, sondern auch ein Signal Richtung Russland.
Natürlich, und das ist ganz entscheidend. Russland sieht sich hier nicht nur den Leopard-liefernden Deutschen, von ein paar europäischen Staaten unterstützt, gegenüber, vielmehr stehen alle zusammen. Das verdeutlicht, dass Russland sich auch mit den USA sehr direkt anlegt, wenn es aus dieser Kampfpanzer-Lieferung irgendetwas ableitet. Das wäre im Übrigen militärisch wohl nicht wirklich begründbar. Gegenüber der Lieferung von Schützenpanzern handelt es sich eher um einen quantitativen, nicht um einen qualitativen Sprung.
Was ist denn der Unterschied? Der Kampfpanzer hat mehr Feuerkraft als der Schützenpanzer?
Richtig, es ist ein viel durchschlagskräftigeres Gefährt. In der deutschen Diskussion wird der Aspekt betont, dass Kampfpanzer eine Angriffswaffe seien. Aber diese Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen ist so nicht zu treffen. Ein Panzer kann sehr wohl verteidigen. Und in der Ukraine ist ein begrenzter Angriff zur Verteidigung, etwa zur Befreiung von unrechtmäßig besetzten Gebieten, durchaus gerechtfertigt.
Wenn die Ukraine russische Streitkräfte auf ukrainischem Territorium angreift, ist das im Grunde doch immer Verteidigung, oder?
Nach Artikel 51 der UN-Charta handelt es sich um Selbstverteidigung. Das ist völkerrechtlich die große Überschrift der ganzen Unterstützungsoperation. Wir versetzen die Ukrainer in die Lage, sich zu wehren, sich ihres Überlebens zu versichern, indem sie die Russen aus ihrem Territorium heraushalten beziehungsweise wieder herausdrängen.
Welches Szenario halten Sie für denkbar, wie dieser Krieg enden kann?
Es wird immer wieder gesagt: Kriege enden mit Verhandlungen, mit einem Stück Papier. Ein Papier könnte aber auch eine Kapitulation sein. Und woran wir, der Westen und Deutschland, ein elementares Interesse haben, ist meines Erachtens: dass der Krieg nicht mit einer Kapitulation der Ukraine zu Putins erpresserischen Bedingungen endet. Die Ukraine muss sich gegen diesen Expansionsversuch Russlands so effektiv verteidigen, dass sie ihr gerechtes Interesse an der Wahrung ihrer eigenen Souveränität durchsetzen kann. Das ist der machtpolitische Kontext. Am Ende wird es irgendeine Form von Einigung, Verhandlung, Abkommen geben müssen, um das Morden zu beenden. Das ist ja auch unser Ziel, aber nicht zu allen Bedingungen. Vor allem nicht zu Bedingungen, die die Ukraine ablehnen muss, weil sie eine Verminderung oder Aufgabe ihrer Souveränität bedeuten würden.
Das haben Sie jetzt sehr diplomatisch formuliert. Heißt das: Gewisse Gebiete müsste die Ukraine schon abtreten, damit es zu einer Einigung kommt?
Das weiß ich nicht, und das liegt auch nicht an uns, darüber am grünen Tisch zu spekulieren. Die Grenzen der Ukraine sind völkerrechtlich unbestritten. Es gibt praktisch niemand auf der ganzen Welt, der die Annektierung der östlichen Gebiete der Ukraine, die Putin vollzogen hat, anerkennt.
Ja, auf dem Papier. Aber de facto hat sich der Westen nach 2015 damit abgefunden.
Eben nicht; der Westen wollte keinen dritten Weltkrieg anfangen. De facto war der mit Gewalt geschaffene Status quo für den Westen nicht veränderbar. Aber deswegen hat er ihn noch nicht akzeptiert.
In Deutschland gibt es die Angst, dass die Rüstungslieferungen zu einem Abnutzungskrieg führen, der immer weiter eskaliert und irgendwann doch in einen dritten Weltkrieg mündet. Wie sehen Sie diese Gefahr?
Es ist falsch, so zu tun, als gäbe es überhaupt keine Risiken. Nein, es gibt Risiken. Und ich halte es für die Aufgabe einer verantwortlichen Regierung, diese Risiken gegenüber der eigenen Bevölkerung auch klar zu benennen. Über das nukleare Risiko haben wir bereits gesprochen. Meine Einschätzung wäre, dass es nicht übermäßig groß ist. Denn wenn Putin zu Nuklearwaffen greift, würde ihn das wirklich zum Outcast der ganzen Welt machen und ihm für die Lage auf dem Gefechtsfeld nicht unbedingt etwas bringen. Die Möglichkeit eines langandauernden Abnutzungskriegs? Ja, die gibt es. Wir streben sie sicherlich nicht an und die Ukrainer schon gar nicht, denn er wird auf ihren Knochen ausgetragen. Die Frage ist: Wie lange kann Russland diesen völkerrechtswidrigen Angriff fortsetzen? Was passiert im eigenen Land? Werden die Menschen Putin weiterhin so folgen wie bisher? Wird die Mobilisierung weiterer Streitkräfte, die ja notwendig wird, möglich sein oder vielleicht auch in Russland an gewisse Grenzen stoßen? Das ist alles sehr spekulativ und das wissen wir nicht genau. Wichtig ist aber, dass auch wir, so wie die Ukraine, Durchhaltevermögen zeigen und nicht einknicken. Wir müssen Russland gegenüber klarmachen, dass wir unsere Interessen und unsere Werte dauerhaft verteidigen werden, indem wir die Ukraine unterstützen.
Was sind die nächsten Schritte? Über Kampfflugzeuge wird bereits geredet.
Es ist nicht der Zeitpunkt, darüber zu Entscheidungen zu kommen. Jetzt geht es im Wesentlichen um folgende Dinge. Erstens, es fehlt an Munition. Die Art der Kriegführung bedingt, dass die Ukrainer sehr viel Munition verbrauchen, um sich zu verteidigen. Und es fällt uns, die wir die Waffen zur Verfügung gestellt haben, nicht leicht, diesen Munitionsnachschub sicherzustellen. Da liegt eine wesentliche Herausforderung, auch für unsere Industrie. Der zweite Punkt ist die völkerrechtswidrige Taktik Russlands, die gesamte Bevölkerung der Ukraine zur Geisel zu nehmen und zivile Objekte wie Wasserkraftwerke oder Stromumspannstationen zu beschießen, um Fluchtbewegungen auszulösen und der Bevölkerung eine Existenz in ihrem eigenen Land unmöglich zu machen. Diese Taktik muss durch die Verteidigung des Luftraums über der Ukraine durch die Ukrainer abgestumpft werden. Da liefern verschiedene Staaten, auch Deutschland, die Wirkmittel. Der deutsche Flugabwehrpanzer Gepard erweist sich als sehr effektiv. Die Luftverteidigung mit Iris-T ist das beste und modernste, was wir haben. Es gibt nur ein solches System im Augenblick, und das ist in der Ukraine im Einsatz. Zu Anfang des Jahres werden zwei weitere aus Deutschland dazukommen. Und drittens ist es wichtig, das, was jetzt beschlossen wurde, umzusetzen: die Panzer nach Instandsetzung und Ausbildung der Ukrainer ins Land zu bringen. Es wird für die Ukrainer nicht einfach sein, diese Panzer effektiv einzusetzen. Denn ein Panzer allein ermöglicht noch keinen Durchbruch, sondern es kommt darauf an, ihn mit anderen Waffen, Schützenpanzern und Artillerie, gemeinsam einzusetzen und so überhaupt erst seine volle Schlagkraft zu nutzen. Das kostet Zeit und große Anstrengungen, aber das ist jetzt notwendig.
Müssen wir unsere Rüstungsindustrie nun nicht viel stärker ausbauen? Mit absolutem Fokus auf Produktionsausweitung, also eine Art Kriegswirtschaft.
Wolfgang Ischinger hat dieses Wort „Kriegswirtschaft“ in die Debatte geworfen. Der Wert dieser Provokation besteht darin, die Deutschen darauf hinzuweisen, dass wir uns zwar nicht im Krieg, aber doch in einem Ernstfall befinden. Es ist der Ernstfall der Verteidigung unserer Werte und Interessen angesichts der russischen Expansion nach Westen. Es muss mit Hochdruck darüber nachgedacht werden, wie wir bei Instandsetzung und Produktion von Munition und Waffensystemen schneller vorankommen. Das geht nur in enger Zusammenarbeit zwischen dem Staat auf der einen Seite, insbesondere dem Bundesverteidigungsministerium, und der Industrie auf der anderen. Auch die europäische Rüstungszusammenarbeit ist dabei zu bedenken.
Dieser Gedanke, dass wir uns zwar nicht im Krieg befinden, aber dieser Krieg unmittelbar unsere Interessen berührt, stößt bei vielen Deutschen auf Widerstand. Ihnen wäre es lieber, sich aus der Ukraine herauszuhalten und weiter russisches Gas zu beziehen. Wie erklären Sie sich das?
Zum Glück stimmt Ihre Darstellung nicht ganz mit der Realität überein. Den Bezug von Gas haben wir von einer über 50-prozentigen Abhängigkeit von Russland auf null reduziert. Auch die Bevölkerung hat daran durch erhebliche Einsparungen beim Gasverbrauch der Haushalte mitgewirkt. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass der Bürger in erster Linie fragt: Wie sieht meine Stromrechnung aus? Wie meine Gasrechnung? Wie viel zahle ich, um mein Auto zu betanken? Wie hoch ist die Inflation?
Es ist eine Aufgabe politischer Führung, zu vermitteln, dass es, über den Tellerrand hinaus geblickt, wichtige Rahmenbedingungen unserer Existenz in Wohlstand und Frieden gibt. Der Ukraine-Krieg ist so ein Fall. Denn die russische Expansion stellt letztlich unsere Form des Lebens, unsere Form des Regierens und unser Wirtschaftssystem in Frage. All das, was uns in Westeuropa ausmacht. Wenn man das nicht wahrnimmt, hat man den Ernst der Lage nicht erkannt. Bei diesem Erkennen kann politische Kommunikation helfen. Und da trifft unsere Bundesregierung nicht ganz zu Unrecht immer wieder der Vorwurf, dass sie nicht überzeugend genug auftritt. Es wäre wichtig, zu all diesen Themen das offene und ehrliche Gespräch mit Bevölkerung und Bundestag stärker zu suchen.
Das Gespräch führte Daniel Gräber.
Das Interview ist am 26. Januar 2023 hier erschienen.