Das BKA schult Ermittler der Landeskriminalämter in einheitlichen Standards zur Einschätzung militanter Salafisten. Bei einer Schulung an der BAKS haben wir über die Schulter geschaut.
Julia K. (Name von der Redaktion geändert), ist Ermittlerin beim Berliner Landeskriminalamt (LKA). An ihrem Computer betrachtet sie den aktuellen Fall eines Berliner Salafisten. Der junge Deutsche ist vor drei Jahren zum Islam konvertiert, verkehrt zunehmend in einschlägigen Szenetreffs, teilt salafistische Propagandavideos in sozialen Medien und ist am Rande von Kundgebungen mehrmals mit Drohgebärden in Erscheinung getreten. Kürzlich ist er aus einem Türkeiurlaub zurückgekehrt – allerdings nicht wie geplant sondern mit über zwei Wochen Verspätung. Es besteht der Verdacht, dass er in Syrien Instruktionen der Terrororganisation IS erhalten hat.
An einem anderen Computer betrachtet Lukas P. (Name von der Redaktion geändert) vom LKA Sachsen den selben Fall, denn der junge Mann hat seit seiner Rückkehr mehrmals Leipzig besucht. Dort ist er Polizisten aufgefallen, da er sich ohne erkennbaren Grund stundenlang am Hauptbahnhof aufhielt und versuchte, sich einer Kontrolle seines Ausweises zu entziehen. Geht von ihm eine Gefahr aus? Sind polizeiliche Maßnahmen einzuleiten? Da Polizei in Deutschland Sache der Bundesländer ist, gilt es, Verbindung zur Berliner Kollegin aufzunehmen: Beurteilt sie den Fall genauso? Und nach welchen Kriterien kommt sie zu ihrer Einschätzung?
Ermittler können zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen
Tatsächlich sitzen die beiden Ermittler heute nur wenige Meter voneinander entfernt in einem Seminarraum der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, denn sie nehmen an einer Schulung des Bundeskriminalamts (BKA) teil. Zwei BKA-Beamtinnen vermitteln anhand des fiktiven Salafisten-Falls den Umgang mit „RADAR-iTE“ – ein System, das einheitliche Standards zur Gefährdungsbewertung schaffen soll. „Denn selbstverständlich können Ermittler zu unterschiedlichen Einschätzungen und Bewertungen über menschliches Verhalten kommen“, sagt Elmar Lillpopp, Leiter Kommunikation der BAKS und selbst Leitender Kriminaldirektor beim BKA.
Seit 2012 ist die Anzahl polizeilich bekannter Personen des militant-salafistischen Spektrums in der Bundesrepbulik stark angestiegen. Derzeit sind über 740 Personen als gewaltbereite „Gefährder“ eingestuft, während insgesamt über 10.000 Menschen in Deutschland der salafistischen Szene angehören. Noch vor wenigen Monaten hätten Ermittler wie K. und P. anhand der gegebenen Informationen jeweils nach eigenem Ermessen entscheiden müssen, als wie gefährlich eine verdächtige Person einzustufen ist.
Eine einheitliche und transparente Bewertungsgrundlage schaffen
Mit RADAR-iTE ist nun eine bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten militanten Salafisten möglich und verhindert, dass unterschiedliche Dienststellen zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. RADAR-iTE gibt den Ermittlern dazu einen speziell auf islamistische Gewalttäter ausgerichteten Risikobewertungsbogen mit standardisierten Fragen zum Verhalten eines Verdächtigen an die Hand. Ist die Person vorbestraft? Hat sie sich bereits an politisch motivierten Straftaten beteiligt? Ist sie in die einschlägige Szene eingebunden? „Im Zentrum stehen eindeutig beobachtbare Handlungen der betreffenden Person“, führt Lillpopp aus. Anhand der Fragen wird eine einheitliche und in ihren Kriterien transparente Bewertungsgrundlage für das Gewaltrisiko der Person geschaffen.
Über 25 Schulungen seit 2016
Entwickelt wurde das System vom BKA gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz. Auf Grundlage einer Entscheidung der Innenministerkonferenz der Bundesländer wurde RADAR-iTE seit September 2016 stufenweise bei den Behörden der Landesebene eingeführt. Seitdem hat das BKA über 25 Schulungen für Ermittler der Länderbehörden durchgeführt, darunter auch jene an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Die BAKS stellt im Rahmen ihres Arbeitsbereichs Fachtagungen regelmäßig Räumlichkeiten für Fortbildungen der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zur Verfügung.
RADAR-iTE steht für Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung
des akuten Risikos – Islamistischer Terrorismus. Weitere Informationen dazu finden Sie unter
diesem Link beim Bundeskriminalamt.
Autoren: Janina Wietschorke und Sebastian Nieke