Am vergangenen Freitag verkündete das Regime in Nordkorea, seinen fünften Nukleartest durchgeführt zu haben. Was ist passiert und welche Gefahren ergeben sich?
Karl-Heinz Kamp: Schließt man aus den seismischen Daten, die registriert wurden, dann könnte die unterirdische Detonation eine Größenordnung von 20 bis 30 Kilotonnen gehabt haben. Das wäre deutlich mehr als der letzte Test, der wohl im Rahmen von sieben bis neun Kilotonnen lag. Das sind aber immer nur grobe Schätzwerte, die von geologischen Gegebenheiten, aber auch von der technischen Anordnung des Tests abhängen. Über all das weiß man vergleichsweise wenig. Auch ist unklar, ob Nordkorea funktionsfähige Nuklearwaffen besitzt und wenn ja, wie viele. Neben der Gefahr eines direkten Kernwaffeneinsatzes durch Nordkorea besteht vor allem das Problem der nuklearen Proliferation. US-Präsidentschaftskandidat Trump hat gesagt, ihn würden amerikanische Sicherheitsversprechen für Verbündete nicht sonderlich interessieren. Japan und Südkorea mögen doch – so sagte er – ihre eigenen Atomwaffen bauen. Genau das werden beide Länder tun, wenn sie sich von Nordkorea bedroht fühlen und nicht mehr auf glaubwürdigen amerikanischen Schutz zählen können.
Warum wird nichts gegen die Aktivitäten Pjöngjangs unternommen? Im Irak hat man einst einen Krieg nur aufgrund eines Verdachts vom Nuklearwaffenbau geführt.
Nordkorea wird oft als „Zombie-Regime“ bezeichnet, das offenbar nicht sterben kann. So pervers es klingt: Für die meisten beteiligten Staaten ist ein bestehendes Regime in Nordkorea immer noch besser als ein zerfallenes. Käme es morgen zum Umsturz – sei es von innen heraus oder von außen herbeigeführt –, so hätte man totales Chaos in einem Land mit einer völlig traumatisierten Bevölkerung, die Jahrzehnte versklavt und isoliert gehalten worden ist. Südkorea wäre mit gewaltigen Fluchtbewegungen konfrontiert. Die USA würden sich um den Verbleib des Nuklearmaterials und möglicher Kernwaffen sorgen, die in die Hände von Terroristen gelangen könnten. China sorgt sich vor allem, dass eine koreanische Wiedervereinigung nur unter dem Dach Südkoreas vorstellbar ist. Dadurch würde sich ein eng mit den USA verbündetes Land weiter ausdehnen und den amerikanischen Einfluss in der Region vergrößern. Andererseits ist die Atommacht China der Schutzpatron Nordkoreas. Damit ist Nordkorea vor Interventionen von außen weitgehend sicher, weil niemand – auch nicht die USA oder Russland als größte Atommächte – einen Staat angreift, der entweder über eigene Kernwaffen verfügt oder mit einem Kernwaffenstaat verbündet ist.
Warum handelt dann China nicht als einziges Land, das Einfluss auf Kim Jong-un hat, sondern lässt sich auf der Nase herumtanzen?
China hätte in der Tat die Möglichkeit, Druck auf Nordkorea auszuüben. Peking könnte schlicht den Strom abdrehen, der an Nordkorea geliefert wird oder jegliche Exporte nach Nordkorea stoppen. Ohne Chinas Hilfe ist Nordkorea nicht überlebensfähig. De facto spielt China aber ein doppeltes Spiel: Es kritisiert nordkoreanische Atom- und Raketentests, lässt aber gleichzeitig den Export von technischem Gerät zu, das Nordkorea für die Waffenprogramme braucht – wie etwa Vakuumpumpen oder Uran-Hexafluorid. China ist offenbar erbost, dass Seoul und Washington im Juli ankündigten, ein amerikanisches Raketen-Abwehrsystem in Südkorea zu stationieren. Damit sieht Peking in Amerika und Südkorea offenbar noch eine größere Gefahr als in Nordkorea. Allerdings ist der Preis dafür hoch: Die Volksrepublik, die als Weltmacht gesehen werden will, zeigt, dass sie nicht mal ein kleines Nachbarland mit einer unberechenbaren Führung im Zaum halten kann. Auch weiß Kim Jong-un, dass er von China nicht viel zu befürchten hat. Der nächste Atomtest dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
Interview: Redaktion