Nach der Rückkehr der letzten deutschen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Afghanistan sprechen wir mit Angehörigen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) über deren Eindrücke aus dem Einsatz. Heute im Gespräch: Oberstleutnant i. G. Stefan Quandt.
Vor kurzem endete mit der Rückkehr der letzten 250 deutschen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Über die vergangenen knapp 20 Jahre leisteten insgesamt fast 160.000 Bundeswehrangehörige Dienst in Afghanistan. In der intensivsten Phase des Einsatzes waren über 5.000 von ihnen gleichzeitig dort stationiert. Auch für die Arbeit der BAKS spielen der Einsatz der Bundeswehr und das ressortübergreifende Engagement Deutschlands in Afghanistan eine wichtige Rolle. Viele BAKS-Angehörige sind selbst dort im Einsatz gewesen, zum Beispiel mit der Bundeswehr oder in der Entwicklungszusammenarbeit – Grund genug mit einem von ihnen über seine Zeit vor Ort zu sprechen: Oberstleutnant i. G. Stefan Quandt war mehrmals in Afghanistan im Einsatz. Heute ist er der Persönliche Referent des Präsidenten der BAKS, Botschafter Ekkehard Brose.
BAKS: Herr Oberstleutnant, sie waren 2012 und 2013 gleich zweimal hintereinander in Afghanistan im Einsatz. Was geht Ihnen spontan durch den Kopf, wenn Sie daran zurückdenken?
OTL i. G. Stefan Quandt: Wenn ich an Afghanistan denke, dann ist mir klar, dass Frieden, Freiheit und Demokratie sehr zerbrechlich und ganz gewiss keine Selbstverständlichkeit sind. In Deutschland sind diese Erkenntnisse leider nicht Bestandteil des kollektiven Bewusstseins. Deshalb wünsche ich mir noch mehr Erläuterung und noch mehr Einordnung der politischen Einsatznotwendigkeit. Gerade da die Bundeswehr regelmäßig und oft gut begründet als eine Armee des Parlaments beschrieben wird, sehe ich hier eine ganz besondere Bedeutung der Mitglieder des Deutschen Bundestages in ihrer Gesamtheit, denn sie haben mit großer Mehrheit in den zurückliegenden knapp zwei Jahrzehnten den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wiederkehrend mandatiert. Der Große Zapfenstreich Ende August dieses Jahres stellt noch einmal die Kameraden in den Mittelpunkt, die das höchste Gut am Hindukusch gegeben haben – ihr Leben. Diese Würdigung kann einen Beitrag zur Aussöhnung einer kritischen Öffentlichkeit mit dem militärischen Handeln Deutschlands leisten.
BAKS: Welches Fazit ziehen Sie nach nunmehr fast 20 Jahren deutschem Engagement in Afghanistan, auch mit Blick auf Ihre Zeit vor Ort?
OTL i. G. Stefan Quandt: Die Sicherheitslage am Hindukusch ist nicht zuletzt nach dem Abzug der letzten Soldatinnen und Soldaten mehr als prekär; da gibt es nichts zu beschönigen. Ich denke, bei der Analyse des Afghanistan-Engagements droht unterzugehen, dass Deutschland dort nicht nur allein militärisch, sondern vernetzt, aktiv war. Vor diesem Hintergrund sollte daher neben einer ehrlichen Aufarbeitung militärischer Erfahrungen unbedingt ebenso die Rolle und der Mehrwert ziviler staatlicher Akteure beleuchtet werden - besonders in Hinblick auf künftige Engagements Deutschlands außerhalb der Europäischen Union.
BAKS: Gibt es etwas, dass Sie aus Afghanistan für Ihre heutige Arbeit in der ressortübergreifenden Sicherheitspolitik mitgenommen haben?
OTL i. G. Stefan Quandt: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir heute nur gemeinsam und nur vernetzt Sicherheitspolitik aktiv gestalten können. Innere und äußere Bedrohungen lassen sich spätestens seit dem 11. September 2001 nicht mehr trennscharf gegeneinander abgrenzen. Daher müssen wir ihnen ressortgemeinsam sowie auf Ebene des Bundes und der für die Gefahrenabwehr im Frieden zuständigen Länder begegnen. In Faizabad und in Kunduz habe ich das ganz praktisch erlebt; die Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg, die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Landespolizeien sowie den vernetzten Ansatz in der praktischen Ausgestaltung von Sicherheitspolitik.
BAKS: Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Oberstleutnant
Das Interview führte Kai Schlotterose