Die deutsch-russische Konferenz „Sicherheitspolitik in Europa 20 Jahre nach dem Abzug der sowjetischen/ russischen Truppen aus Deutschland“ am 29. August hatte historischen Anlass, behandelte aber vornehmlich die aktuelle Lage in Osteuropa.
Vergangenen Freitag kamen an der Bundesakademie namhafte Persönlichkeiten aus Russland und Deutschland zusammen, darunter Wiktor Subkow, Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns Gazprom sowie seitens der Bundesregierung Russlandkoordinator Gernot Erler. Anlass für die deutsch-russische Konferenz mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der 20. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen beziehungsweise russischen Truppen aus dem wiedervereinten Deutschland.
Dieses Jubiläum ist auf besondere Weise mit dem „Historischen Saal“ der Akademie in Berlin Pankow verknüpft: Dort fand 1990 eine der Verhandlungsrunden zum Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den vier Alliierten des Zweiten Weltkrieges sowie der Bundesrepublik und der DDR statt. Der Vertrag machte den Weg für die Wiedervereinigung Deutschlands frei und wurde am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet. Er schuf auch die Grundlage für den Abzug der Westgruppe der russischen Truppen zum 31. August 1994. Die ganztägige Konferenz richtete die BAKS gemeinsam mit dem Europainstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften aus.
Präsident der Bundesakademie Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann und sein Mitgastgeber, der amtierende Direktor des Europainstituts Professor Dr. Alexey Gromyko, betonten in ihrer Begrüßung die Wichtigkeit dieser Konferenz nicht nur im Hinblick auf den zwanzigsten Jahrestag des Abzugs der Truppen. Angesichts der akuten Krise im Osten Europas sei es nicht selbstverständlich, in diesen Tagen eine gemeinsame deutsch-russische Konferenz auszurichten, betonte Heumann.
Unter den Gästen befanden sich hochrangige Persönlichkeiten, wie der russische Botschafter in Berlin Wladimir M. Grinin, die beiden ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Wiktor Subkow und Dr. h.c. Lothar de Maiziére, heute beide Vorsitzende des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs, sowie der „Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft“, Staatsminister a.D. Dr. h.c. Gernot Erler, MdB. Des Weiteren begrüßten die beiden Gastgeber eine Delegation des „Verbandes der Veteranen der Westgruppe“, an ihrer Spitze Generaloberst a.D. Anton W. Terentjew, und ehemalige Angehörige des Deutschen Verbindungskommandos zur Westgruppe unter Leitung von General a.D. Gerhard W. Back.
„Unberechenbarkeit ist der schlimmste Feind des Vertrauens“
Gernot Erler und Wiktor Subkow eröffneten die Konferenz. Der Russlandkoordinator schlug in seiner Rede eine Brücke vom Abzug der Truppen aus Deutschland – und den seinerzeit damit verbundenen Erwartungen an eine Neuorientierung der Beziehungen zur Russischen Föderation – über die deutsch-russische Zusammenarbeit der letzten zwanzig Jahre bis hin zu den Auswirkungen der aktuellen Krise in Osteuropa. Erler erklärte, Russland habe durch die Annexion der Krim und die sich verdichtenden Anzeichen seiner militärischen Intervention in der Ostukraine das Grundmuster partnerschaftlichen Verhaltens verlassen. Die deutsch-russischen Beziehungen befänden sich deswegen auf dem Weg in eine „politische Eiszeit“. Erlers Ansicht nach sei Moskaus Außenpolitik unberechenbar geworden und diese Unberechenbarkeit der „schlimmste Feind des Vertrauens“. Abschließend betonte er, dass dieser Konflikt unter keinen Umständen militärisch zu lösen sei und Deutschland sich weiterhin intensiv um politische Lösungen bemühen werde.
Demgegenüber sprach Subkow – 2007/2008 für einige Monate russischer Premier, bevor Wladimir Putin ihn ablöste – von einer internen ukrainischen Krise, an deren Lösung Deutschland und Russland arbeiten sollten. Ausgehend von den Lehren der gemeinsamen Geschichte unterstrich Subkow, dass es in den bilateralen Beziehungen schnell zu einem Bruch kommen könne und danach die Überwindung solcher Differenzen sehr viel Kraft koste. Der prominente Gast hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Kooperation hervor: Die Konferenz sei seiner Meinung nach ein wichtiger Schritt, um diese Unterschiede zu überwinden.
Zeitzeugen mahnen zur Deeskalation
Unter dem Titel „Abzug der Westgruppe der Truppen und Vorgeschichte“ beschäftigte sich das erste Podium mit den historischen Umständen der Rückkehr der sowjetischen, nach 1991 russischen, Truppen in ihre Heimat – einschließlich politischer und praktischer Herausforderungen im direkten Zusammenhang mit dieser logistischen Mammutaufgabe. Russische und deutsche Zeitzeugen aus Politik, Diplomatie und Militär schilderten ihre persönlichen Eindrücke über die Komplexität sowohl der Verhandlungen als auch des Abzugs selbst: Die unterschiedlichsten Hürden der diplomatischen Vorbereitung und der folgenden Umsetzung konnten die Beteiligten dank eines festen politischen Willens und beidseitigen Grundvertrauens überwinden.
Seitens des Publikums wurden die Zeitzeugen abschließend auch nach ihrer Meinung zur aktuellen Lage in der Ostukraine gefragt. Die Experten betonten hier einhellig die Wichtigkeit von Deeskalation.
Das zweite Podium, „Zusammenarbeit 1994 bis 2014 – Erwartungen, Enttäuschungen, Hoffnungen“, setzte sich mit den damals entstandenen Erwartungen an die zukünftige Kooperation, den eingetretenen Enttäuschungen sowie mit der Frage, welche Lehren man für die Zukunft ziehen könne, auseinander. Die Referenten ließen die Entwicklung der deutsch-russischen Zusammenarbeit seit 1994 bis heute Revue passieren, wobei die deutsche Seite betonte, dass diese Beziehungen seit der Ukraine-Krise einen „nachhaltigen Bruch“ erlitten hätten. Prof. Dr. Peter Schulze, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen, schilderte eindringlich die innenpolitischen Veränderungen seit den 1990er Jahren in Russland und die russische Enttäuschung über eine Politik des Westens seit Beginn des Jahrtausends, die als wenig kooperativ wahrgenommen werde. Man könne allerdings die aktuelle Krise als „eine Art Katalysator“ für eine gemeinsame Neuausrichtung der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nutzen.
Aufmerksames Zuhören trotz konträrer Positionen
Das dritte Podium thematisierte angesichts des aktuellen Konflikts im Osten des Kontinents die „Sicherheitspolitik in Europa“ und die „Chancen für eine gesamteuropäische Friedensordnung“, wie es sich auch mit der Rolle der OSZE auseinandersetzte. Ihr schrieben BAKS-Präsident Heumann und Dr. Fritz Felgentreu, MdB, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages, vor dem Hintergrund des aktuellen Konflikts in Osteuropa eine besondere Rolle zu. Sie solle eine neue Verhandlungsplattform für eine künftige gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur bieten, da andere Institutionen ihr Vertrauen verspielt hätten.
Die russischen Panelisten hielten fest, dass eine gesamteuropäische Friedensordnung ohne Russland nicht möglich sein werde. Jede Initiative ohne oder gegen Moskau sei zum Scheitern verurteilt. Alle Podiumsteilnehmer waren sich jedoch trotz der angespannten Situation in einer Sache einig: Man müsse alle Gesprächskanäle zwischen beiden Ländern weiterhin offen halten. Nur über aufrichtigen Dialog und klare Worte könne man an der Beseitigung von Differenzen arbeiten.
Trotz deutlich konträrer Positionen hörten sich beide Seiten aufmerksam zu. Ein Empfang am Abend in der Botschaft der Russischen Föderation zum festlichen Abschluss der Konferenz erlaubte denn auch die Vertiefung des brisanten Themas in offenen, intensiven Gesprächen.
Autor: Maksim Roskin
Die Eröffnungsrede von Staatsminister a.D. Dr. h.c. Gernot Erler, MdB finden Sie unten im Downloadbereich.
Ebenso ist dort das Programm der deutsch-russischen Konferenz „Sicherheitspolitik in Europa 20 Jahre nach dem Abzug der sowjetischen/ russischen Truppen aus Deutschland“ hinterlegt.
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