Der Traum einer Welt ohne Nuklearwaffen ist zuende. Zugleich funktioniert die atomare Abschreckung nicht mehr. Was nun zu tun ist, beschreibt Akademiepräsident Karl-Heinz Kamp in seinem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
"Künftige Historiker dürften 2014 als den Beginn des dritten Nuklearzeitalters datieren", schreibt der Politikwissenschaftler. Die Epochenwende werde voraussichtlich an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland festgemacht. "Russland verließ damit endgültig die gesamteuropäische Sicherheitsordnung, kündigte die Partnerschaft mit der Nato und gebraucht seither sein gewaltiges Atomwaffenpotential (wieder) als Drohmittel gegenüber seinen Nachbarn."
Um die Dimension der aktuellen Situation zu verdeutlichen, schlägt Kamp einen Bogen vom ersten nuklearen Zeitalter, das mit dem Fall der Berliner Mauer endete (Leitmotiv: Kernwaffen einsetzen können, um sie nicht einsetzen zu müssen), hin zur zweiten Epoche. Einen ersten Vorgeschmack auf die damals neuen Herausforderungen hätten die Atomwaffentests Indiens und Pakistans im Jahr 1998 geboten. Erstmals waren nicht die Vereinigten Staaten oder Russland unmittelbar bedroht, sondern andere Atommächte richteten ihre Kernwaffen gegeneinander. Doch damit nicht genug: Fortan ging es auch um die Erkennung und Verhinderung möglicher terroristischer Angriffe.
Mit dem Wechsel in das dritte - jetzige - Zeitalter greifen die Lösungen der Vergangenheit - "nukleare Abschreckung einer nuklearen Großmacht, verknüpft mit einer Abschreckung nichtstaatlicher oder irrationaler Akteure" - nach Ansicht von Kamp deutlich zu kurz, da es fundamentale Unterschiede zum früheren Ost-West-Konflikt gebe. Kamp weist insbesondere darauf hin, dass Russland seine Atomwaffen als militärisch nutzbaren Ersatz für fehlende konventionelle Stärke sehe.
Was ist zu tun? Kamp hält eine Neuformulierung der Nato-Nuklearstrategie für unumgänglich. Nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs auf dem Warschauer Gipfel im Juli müsse die Nuklearfrage, wie man wen und womit abschreckt, auf den Tisch. Dabei gehe es in der Debatte nicht um neue oder modernere Kernwaffen, "sondern um eine kohärente politische Konzeption, die eigenen Ansprüchen genügt und die von einem potentiellen Gegner als glaubwürdig angesehen wird".
Aktualisierung vom 5. Juni: Der Beitrag ist ab sofort hier online verfügbar.
Autor: Christian Lipicki