Die Station in Saudi-Arabien führte dem Führungskräfteseminar sowohl den tiefgreifenden sozialen Umbruch des Königreichs als auch den Konflikt mit den jemenitischen Houthi-
Rebellen vor Augen: So wurde der Besuch vom Einschlag einer Rakete aus dem Jemen und
der Amtsenthebung zahlreicher saudischer Regierungsvertreter begleitet.
Nach einer Station in den Vereinigten Arabischen Emiraten reiste das Führungskräfteseminar zum Abschluss seiner Studienreise nach Saudi Arabien. Direkt nach ihrer Ankunft wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Zeugen eines Raketenangriffs auf den Flughafen von Riad. Eine Scud-Rakete war von den durch Iran unterstützten Houthi-Rebellen im Jemen abgefeuert worden und in wenigen hundert Metern Entfernung des Flughafens der saudischen Hauptstadt eingeschlagen. Zwar sind bislang schon 78 Raketen aus dem Jemen in Richtung Saudi Arabien abgeschossen worden, doch kam bislang keine der Hauptstadt so nahe. Damit gewinnt der Konflikt im Jemen eine neue Qualität.
Modernisierungschancen lange unterschätzt
In der gleichen Nacht nahm der Saudische König Salman – den meisten Beobachtern zufolge auf Bestreben seines erst seit wenigen Monaten amtierenden Kronprinzens – eine beispiellose Regierungsumbildung vor: Mehr als 15 Minister und Vizeminister, darunter Mitglieder der Königsfamilie, wurden ihres Amtes enthoben und unter Arrest gestellt. Gerade die Verhaftung von Mitgliedern der königlichen Familie gilt in der saudischen Geschichte als einmalig. Als Maßnahme der Korruptionsbekämpfung bezeichnet, richteten sich die Amtsenthebungen insbesondere gegen die verbleibenden Kritiker des Modernisierungskurses des jungen Thronanwärters. Die Absetzungen des Ministers für die Nationalgarde und des Befehlshabers der Marine können zudem als vorbeugende Maßnahme gegen Widerstand aus diesen Behörden interpretiert werden. Es wird nun damit gerechnet, dass der Kronprinz Mohammed bin Salman in den kommenden Monaten das Königsamt von seinem schwer erkrankten Vater übernehmen wird. Dann liegt die gewaltige Aufgabe vor ihm, eine erzkonservative und in engen religiösen Schranken stehende Gesellschaft zu modernisieren mit dem Ziel, Saudi Arabien auf "die Zeit nach dem Öl" (Karsten Kühntopp) vorzubereiten – die saudische Regierung spricht von der „Vision 2030“.
In Gesprächen mit Vertretern der deutschen Botschaft wurde deutlich, dass die Chancen einer Modernisierung Saudi Arabiens lange unterschätzt wurden. Machten ei der Verkündung der „Vision 2030“ im Jahr 2016 zahlreiche Kommentatoren darin nur eine von vielen wohlgemeinten Ankündigungen aus, sind mittlerweile deutlich sichtbare Schritte nach vorn gemacht worden. Die Tatsache, dass es öffentliche Konzerte gibt, dass sexueller Missbrauch von Frauen geahndet wird und dass Frauen ab dem kommenden Jahr Autos fahren dürfen, sind vor dem Hintergrund der äußerst konservativen saudischen Gesellschaft in ihrer Radikalität nicht hoch genug zu bewerten. Auch Wirtschaftsvertreter setzen große Hoffnungen in diesen Wandel, der gerade die gut ausgebildeten und leistungsbereiten Frauen in den Wirtschaftsprozess des Königreichs eingliedern würde.
Kritik an saudi-arabischen Streitkräften
Andere internationale Gesprächspartner des Seminars waren weit skeptischer und verwiesen auf Beharrungskräfte in der Gesellschaft, welche zu groß seien, um wirklich nachhaltige Veränderungen zuzulassen. Das zeichnete sich auch im Gespräch mit Militärvertretern hinsichtlich der saudi-arabischen Streitkräfte ab. Diese werden mit Milliardenbeträgen technisch hochwertig ausgerüstet, während ihr Führungspersonal aufgrund mangelnder Ausbildung jedoch oft als weitgehend unfähig kritisiert wird – das erfolglose Handeln des saudischen Militärs im Jemen-Konflikt wird hierfürals Beleg angeführt. Der Rat der Militärs an die saudische Führung war, den Krieg im Jemen so rasch wie möglich gesichtswahrend zu beenden. Unklar blieb gleichwohl, ob dies die iranische Einflussnahme im Jemen und damit in einem Nachbarstaat Saudi Arabiens beenden würde.
Damit stehen sich derzeit in der Bewertung zwei Positionen gegenüber: Entweder, der junge Kronprinz Salman hat mit seinem radikalen Modernisierungskurs viele Konservativen gegen sich aufgebracht und hat nun heftigen Gegenwind zu erwarten - oder aber er hat mit seinem Durchgreifen Widerstände weitgehend ausgeschaltet und kann nun sein Programm zielstrebig verfolgen. Welche Einschätzung die Richtige ist, dürfte sich in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. Damit wird der Mittlere Osten auch in naher Zukunft eine der dynamischsten und gleichzeitig konfliktreichsten Regionen bleiben. Für Deutschland und Europa dürfte sich damit die Frage stellen, wie mit den tiefgreifenden Veränderungen in den Golfstaaten umzugehen ist und welche Position gegenüber dem bleibenden „Kalten Krieg“ zwischen den beiden Hegemonialmächten Iran und Saudi Arabien eingenommen werden soll.
Autoren: Redaktion