In der strategischen Vorausschau geht es darum, mögliche alternative zukünftige Entwicklungen zu imaginieren und sich strukturiert mit diesen auseinanderzusetzen. Dadurch sollen in einer komplexen Welt Überraschungen minimiert, entstehende Trends antizipiert und Handlungsoptionen zukunftsrobust gestaltet werden. Gleichzeitig überraschen uns kontinuierlich unerwartete Entwicklungen, Zufälle oder sogenannte Wild-Cards. Der Schriftsteller Novalis sagte einst: „Spielen ist experimentieren mit dem Zufall“. In diesem Teil unserer Methodenreihe beschäftigen wir uns daher mit der Frage, ob sich die Zukunft auch erspielen lässt.
Spiele gelten oft primär als Unterhaltung. Bei genauerer Betrachtung sind aber meistens noch weitere Ebenen erkennbar, wie der sportliche Wettbewerb oder die Wissensvermittlung. In seinem Essay Homo Ludens, der spielende Mensch, geht der niederländische Historiker Johan Huizinga noch weiter und untersucht den Einfluss von spielerischen Aktivitäten und ihre Bedeutung im Kindesalter, in der Kunst, Philosophie oder in kriegerischen Auseinandersetzungen. Spiele bieten demnach Raum für Experimente, Lernen, Kreativität und soziale Zusammenarbeit. Sie bieten oft intrinsische Motivation, Freude und Bedeutung. Das Konzept des Homo Ludens geht somit weit über den Unterhaltungswert eines Brettspielabends hinaus und hilft uns, Spiele auch als Instrumente seriöser Vorausschau zu sehen.
Serious Games, also ernste Spiele, die nicht nur der Unterhaltung dienen, werden breit eingesetzt und haben gemeinsam, dass sie sich innerhalb vorher festgelegten fiktiven Rahmenbedingungen, also Spielregeln, bewegen. Sie haben ein oder mehrere Lernziele, Problemorientierung, verlangen Entscheidungen und lassen sich auf viele Gebiete anwenden. In vielfältigen Planspielen übernehmen die Spieler Rollen von politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Akteuren, um ein besseres Verständnis für deren Handlungsoptionen und eventuelle Folgen zu gewinnen., um ein besseres Verständnis für deren Handlungsoptionen und eventuelle Folgen zu gewinnen. Im sogenannten Wargaming werden komplexe Konfliktsituationen simuliert, um Entscheidungsträger in Taktik und Strategie zu schulen. Als Vorreiter gilt hier oft das preußische Kriegsspiel zur Einübung von Stabs- und Entscheidungsprozessen. Moderne didaktische Lernspiele wie zum Beispiel bei Neustart befassen sich mit fiktiven Szenarien, in denen die Teilnehmenden versuchen müssen, innerhalb möglichst realistisch plausibler Rahmenbedingungen auf mögliche kommunale Krisen und Katastrophen zu reagieren – inklusive der Aufarbeitung und direkten Rückkopplung der Auswirkungen.
Das Spiel mit der Zukunft
Hier lässt sich der Bogen zur strategischen Vorausschau spannen. Sowohl im Spiel als auch in der Vorausschau geht es darum, eine möglichst breite Wissensbasis über die Rahmenbedingungen und die beteiligten Akteure zu erlangen. Alternative Szenarien werden durchdacht, schwache Signale berücksichtigt und Überraschungen direkt begegnet. Die sichere Spielumgebung hilft dabei, unerprobte Lösungswege zu gehen und kreative Handlungsoptionen außerhalb der Norm und im Gegensatz zu reinen Foresight-Workshops auch außerhalb sozialer und beruflicher Zwänge zu testen. Das macht sich die bekannte amerikanische Zukunftsforscherin Jane McGonigal zunutze, die gleichzeitig Spieleentwicklerin ist. In Ihren Simulationen wurden bereits Themen wie die Pandemie spielerisch durchdacht und halfen den Beteiligten so im Ernstfall schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen.
Die Zukunft lässt sich ebenso wenig vorhersagen wie erspielen. Dennoch haben viele Akteure und Institutionen einen Mehrwert von Spielen in der Zukunftsbetrachtung erkannt. Das Scenario Exploration System des Joint Research Centers der EU hilft Spielenden, in die Rollen von Akteuren verschiedener Zukünfte zu schlüpfen und in diesen miteinander zu agieren. Das World Game des International Futures Forum lässt Spieler neue Ideen für komplexe globale Probleme finden. Kartenspiele wie The Thing from the future des Situation Lab fördern kreatives Denken beim gegenseitigen Vorstellen neuer Gegenstände unter wechselnden Rahmenbedingungen. Mit Trendkarten wie zum Beispiel den Megatrend Cards des finnischen SITRA oder die Driving Forces 2040 des singapurischen Centre for Strategic Futures lassen sich Einflussfaktoren und Treiber des Wandels in Diskussionen einbauen.
Diese Liste ließe sich mühelos fortsetzen und veranschaulicht sowohl die Nachfrage als auch das Angebot von Testumgebungen für Kreativität, Innovation und Interaktion. Serious Games können als Methode der strategischen Vorausschau in vielen Situationen der Zukunftsbetrachtung herangezogen werden und helfen, strategische Handlungsoptionen oder neue Produktideen in einer geschützten Umgebung gedanklich durchzuspielen und nicht nur mit dem Zufall zu experimentieren.
Autor: Sebastian Bollien