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Quo vadis, NATO ? Experten diskutieren am Brandenburger Tor

Donnerstag, 23. November 2017

Das erste Panel des NATO Talks spricht auf der Bühne.

Im ersten Panel diskutierten Experten über Wandel durch Wahlen im transatlantischen Kontext. Foto: BAKS/Mochow

Die Herausforderungen an die NATO stünden klar im Raum, sagte Bundesminister Christian Schmidt zum Auftakt der Konferenz – jetzt gelte es, die Antworten darauf zu koordinieren, so sein Ausblick auf den diesjährigen NATO Talk around the Brandenburger Tor. „Die Politik hat eine dienende Funktion“, gab er dabei zu bedenken, und somit sei mit Wahlergebnissen konstruktiv umzugehen, „diesseits und jenseits des Atlantiks“. BAKS-Präsident Dr. Karl Heinz Kamp sagte in seiner Begrüßung, dass der diesjährige NATO Talk unter einem besonderen Stern stehe, denn nicht nur die künftigen transatlantischen Beziehungen, sondern „die Zukunft des Westens insgesamt“ stehe auf dem Spiel. Zu den vielgestaltigen externen Bedrohungen durch Russlands Handeln in Osteuropa sowie Extremismus und Staatszerfall im Mittleren Osten und Nordafrika seien mit der Trump-Administration und manchen Signalen osteuropäischer Partner auch politische Herausforderungen innerhalb des Westens hinzugekommen.

NATO und EU: Separable but not Separate

Vor diesem Hintergrund verwies der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland Richard Kühnel darauf, dass die Europäische Union „in erster Linie Soft Power“ sei, doch „auch die stärkste Soft Power kann langfristig nicht ohne ein Mindestmaß an Verteidigungsintegration auskommen“. Kühnel stellte zugleicht heraus, dass die NATO der Kern europäischer Verteidigung bleibe, denn ein Konkurrenzverhältnis zwischen EU und dem Atlantischen Bündnis „kann niemals eine Option darstellen.“ Vergleichbar äußerten sich die Botschafterin Frankreichs in Deutschland Anne-Marie Descôtes und der Geschäftsträger der US-Botschaft in Berlin Kent Logsdon auf dem ersten Podium der Konferenz. So stellte Descôtes fest, es sei gut für Europa, seine Autonomie auszubauen, es mache jedoch keinen Sinn, „die europäische Verteidigung als Gegenmodell zur NATO aufzustellen“. Logson sagte, er halte wiederum „more cooperations in EU-Missions like in Mali“ für sinnvoll – „between EU and NATO“. Beide begrüßten zudem das gesteigerte sicherheitspolitische Engagement Deutschlands. Unter dem Strich ließ sich der Blick auf die Zukunft der EU-NATO-Beziehungen somit auf eine alte, auch beim NATO Talk wieder vielgebrauchte Formel bringen: „separable but not separate“.

Blick nach Osten: Abschreckung und Dialog

Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühle spricht im zweiten Panel.

Bundesverteidigungsminister a.D. Volker Rühe sprach sich für eine Beibehaltung der nuklearen Teilhabe aus. Foto: BAKS/Mochow

Was bedeutet das für die NATO? Damit setzte sich das zweite Podium, eingeführt vom deutschen Ständigen Vertreter bei der NATO Botschafter Dr. Hans-Dieter Lucas, auseinander. Als größte Herausforderungen wurden die Bedrohung in Osteuropa und die Folgen des radikalen Islamismus benannt. Der langjährige Außenminister Tschechiens Alexandr Vondra forderte, dass gegenüber Russland auf die „Einhaltung von red lines gepocht“ und zugleich aber die Kommunikation mit der Putin-Administration aufrechterhalten werden müsse. Um diesen Dualismus von Abschreckung und Dialog sicherstellen zu können, brauche es einen Ausbau der logistischen Strukturen, gab der Generaldirektor des Internationalen Militärstabs der NATO Generalleutnant Jan Broeks mit Blick auf die angekündigten Pläne für zwei neue Kommandostäbe des Bündnisses zu bedenken. Professor Dr. Johannes Varwick fragte, ob denn alle Partner tatsächlich einen gemeinsamen Blick gen Moskau hätten und sprach sich für einen „neuen politischen Anlauf“ mit Russland aus. Mit Blick auf das Engagement der NATO im globalen Krisenmanagement sagte Varwick: „Streitkräfte dürfen nicht als Ersatz für fehlende politische Lösungen missbraucht werden.“

Europäische Sicherheit besser organisieren

Sylvia Harteleif spricht im dritten Panel.

"Zusammen geben wir in der EU für Verteidigung 50 Prozent des US-Etats aus, erreichen aber nur 15 Prozent Effizienz", gab Sylvia Hartleif zu bedenken. Foto: BAKS/Mochow

Der bereits angeklungenen Frage nach der Rolle der EU widmete sich ein eigenes Podium, das ganz unter der dem Eindruck der jüngst verabschiedeten Pläne für eine ständige strukturierte Zusammenarbeit Europas in Verteidigungsfragen („PESCO“) stand. Europa habe Anpassungsbedarf bei den Strukturen, so der einhellige Befund. „Es kann nicht sein, dass die Panzer beim Zoll stehen“, spitzte Leiterin des European Political Strategy Centres der Europäischen Kommission Sylvia Hartleif zu, als sie auf die entstehenden Schwierigkeiten verwies, wenn militärisches Gerät quer durch Europa bewegt wird, wie es gerade im Rahmen der NATO-Mission Enhanced Forward Presence zur Rückversicherung der osteuropäischen Partner immer wieder erforderlich ist. Entscheidend sei aber aus Hartleifs Sicht die finanzielle Frage: „Zusammen geben wir in der EU für Verteidigung 50 Prozent des US-Etats aus, erreichen aber nur 15 Prozent Effizienz.“ Die EU müsse ihre Ausgaben deshalb intelligenter einsetzen. Ihre Kollegin Vessela Tcherneva vom Büro des European Council on Foreign Relations in Bulgarien verwies darauf, dass europäische Sicherheit auch über Verteidigung hinaus zu denken sei: “Flucht, Migration, Grenzsicherung und innere Sicherheit – dafür müssen wir nun Geld ausgeben.”

Der Westen am Ende?

Das abschließende Podium weitete abermals den Blick und fragte nach der Zukunft der westlichen Wertegemeinschaft. „Ich habe schon zu oft gehört, das Ende des Westens ist gekommen – ich glaube das nicht“, sagte Thomas KleineBrockhoff, der 12 Jahre in Washington verbracht hat und zuletzt im Bundespräsidialamt für die politische Planung und die Reden von Bundespräsident Joachim Gauck zuständig war. Fyodor Lukyanov, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs warf nicht ohne Ironie ein, dass es nach zahlreichen Interventionen der NATO offenbar allein Russland sei, welches das Bündnis einige. Zugleich sagte er: „Wenn der Westen wirklich am Ende wäre, dann wäre das eine Katastrophe für die ganze Welt.“

Dr. Sönke Neitzel spricht im vierten Panel.

"Deutschland ist das einzige Land, das ein Weißbuch veröffentlicht hat, in dem das Wort 'Kämpfen' nicht genannt wird", sagte Prof. Dr. Sönke Neitzel.
Foto: BAKS/Mochow

Kleine-Brockhoff hielt fest, dass vor allem innere Herausforderungen des Westens entscheidend für dessen Zukunft wären, und diese gelte es nun anzugehen. Den USA sei dabei Vertrauen entgegen zu bringen, „solange sie starke Kontrollmechanismen und einen starken Kongress“ hätten. Die Verbindung zu den Vereinigten Staaten werde aufrechterhalten – „trotz oder vielleicht sogar gegen“ den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Dessen Sonderberater und Abteilungsdirektor NATO und Europa im Nationalen Sicherheitsrat Richard Hooker verwies wiederum darauf, dass aus Sicht der USA in Zukunft die Frage der transatlantischen Lastenteilung entscheidend bleibe. Dass eine solche Lastenteilung nicht nur materiell zu verstehen sei, sondern wie in Afghanistan möglicherweise auch Menschenleben betreffe, gab Professor Dr. Sönke Neitzel zu bedenken. Gerade in der Bundesrepublik sah er diesbezüglich eine ausgeprägte Zurückhaltung, die für die Glaubwürdigkeit Deutschlands, ob in NATO oder EU, zuweilen problematisch sein könnte: „Wir bieten zwar unsere Fähigkeiten an, aber kämpfen sollen die anderen.“

Der NATO Talk Around the Brandenburger Tor 2017 war eine Kooperationsveranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Die Konferenz wurde durch die NATO, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und den Freundeskreis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik e.V. unterstützt.

 

Autoren: Sebastian Nieke und Philipp Fritz