Auch beim jüngsten G20-Gipfel in Hamburg stand die Unterstützung für Afrika groß auf der Tagesordnung. Ganz im Sinne der wachsenden Bedeutung des Kontinents für Europa reiste das Kernseminar der BAKS Mitte Juni in die Republik Mali. Ziel der Feldstudie war es, durch Begegnungen vor Ort mit inländischen, internationalen und deutschen Organisationen einen Eindruck vom Stand der vielfältigen Friedensbemühungen zu bekommen. Wie sich die Lage in Mali darstellt, berichten die beiden Seminarteilnehmer Sandra Oelke und Sven Kurenbach.
Mali, das zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, galt als politisch stabil und als gelungenes Beispiel einer Demokratisierung in Westafrika. Mehrmals hatte es Wahlen gegeben, die zu friedlichen Regierungswechseln führten. Wie labil die Situation Malis aber tatsächlich war, zeigte sich, als nach dem Sturz des libyschen Diktators Gaddafi 2011 schwerbewaffnete Tuareg, die in der Armee von Libyen gedient hatten, in den Norden Malis zurückkehrten und eine Aufstandsbewegung gründeten. Anfang 2012 kam es wiederum zu einem Militärputsch, bei dem Präsident Amadou Toumani Toré abgesetzt wurde, während gleichzeitig islamistische Extremisten, die sich Al-Qaida zurechnen, und separatistische Rebellen, darunter überwiegend Tuareg, weite Teile im Norden des Landes unter ihre Kontrolle brachten. Verschärft wurde die Situation durch eine Ernährungskrise aufgrund ausfallender Ernten in der gesamten Sahelzone. Im Kontext dieser Entwicklung proklamierten die separatistischen Rebellen und islamistischen Gruppierungen die Abspaltung des "Staates Azawad" von Mali und konnten zeitweise bis zu zwei Drittel des Staatsgebietes erobern. Im Januar 2013 entschied sich Frankreich zu intervenieren und die malischen Streitkräfte mit der militärischen Operation Serval zu unterstützen, in der der Großteil des malischen Nordens zurückerobert wurde. Noch 2013 entsandte die Afrikanische Union die militärische Mission AFISMA, welche 2014 von der Mission MINUSMA der Vereinten Nationen (VN) abgelöst wurde. Die EU führt parallel Ausbildungsmaßnahmen der malischen Armee (European Union Training Mission -EUTM- Mali) und der Polizei (EU Capacity Building Mission -EUCAP-) durch. An allen genannten Missionen ist Deutschland finanziell und personell beteiligt.
Die von afrikanischen und internationalen Organisationen unterstützten Friedensbemühungen konnten Mali seitdem in Teilen stabilisieren. Von besonderer Bedeutung waren die Bildung einer Übergangsregierung und demokratische Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit hoher Wahlbeteiligung. Allerdings begannen erst im September 2014 offizielle Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und den bewaffneten Gruppen Nord-Malis, unter Ausschluss der terroristisch-islamistischen Kräfte. Die Gespräche wurden am 15. Mai 2015 mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrags durch die malische Regierung, die regierungsnahe "Plateforme" bewaffneter Gruppen und die internationale Mediation unter Federführung Algeriens in Algier abgeschlossen. Der Friedensvertrag sieht eine umfassende Staatsreform vor. Mit seiner Unterzeichnung beginnt die kritische Phase der Umsetzung, die über ein Scheitern oder Gelingen der Wiederherstellung eines nachhaltigen Friedens in Mali entscheiden wird.
Schwerpunkte der Studienreise
Ziel der Reise war es, einen Einblick in die Komplexität des Friedensprozesses und das afrikanische und internationale Engagement in Mali zu erlangen. Hierzu wurde eine Vielzahl von Gesprächen mit dem deutschen Botschafter, Dietrich Becker, und Vertretern der oben genannten Missionen sowie der der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Entwicklungsbank KfW geführt. Darüber hinaus tauschte sich das Seminar mit dem Hohen Repräsentanten des Staatspräsidenten für den Friedensprozess und Vertretern des Nordens sowie Mitgliedern der Demobilisierungskommission aus. Dass selbst Reisen in die Landeshauptstadt Bamako und deren unmittelbare Umgebung mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko verbunden sind, war bekannt und bereits bei der Reiseplanung berücksichtigt worden. Der Anschlag vom 18. Juni auf eine bei Europäern beliebte Hotelanlage in Bamako verdeutlichte dies nachdrücklich und führte zu Änderungen in der Programmgestaltung. So musste eine für den 20. Juni geplante Fahrt zu einem Projekt der GIZ nach Koulikoro-Katibougou aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.
In den Gesprächen mit den verschiedenen Akteuren wurde deutlich, dass die politische und die Sicherheitslage in Mali vorerst volatil bleiben und der Friedensprozess noch am Anfang steht. Zeitliche Vorgaben bei der Umsetzung des Friedensvertrags konnten bislang nicht eingehalten werden. Hinzu kommen jüngste militärische Zusammenstöße der Konfliktparteien in der Region Kidal. Auch hat die Zahl der Angriffe und Anschläge auf Angehörige der UN-Mission MINUSMA weiter zugenommen. Insbesondere in den vernachlässigten Regionen im Norden Malis, deren Marginalisierung auch als eine der Konfliktursachen gilt, fehlt es an staatlichen Strukturen, sodass die Bevölkerung nur unzureichend in den Friedensprozess einbezogen werden kann. Das hohe Armutsniveau spiegelt sich in Rang 176 von 187 erfassten Staaten im Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen wider, was eine besondere Belastung für den sozialen Zusammenhalt darstellt, der durch die ethnische Diversität im Land ohnehin gering ist. Für junge Menschen ohne Perspektive können kriminelle Aktivitäten, der Anschluss an eine bewaffnete Gruppe oder eine islamistisch-terroristische Radikalisierung zudem attraktive Einkommensoptionen sein.
Reiseziel: ein umfassendes Bild der Situation vor Ort
Die Ursachen für die verschiedenen Konflikte und Krisen in Mali und damit in Verbindung stehende Menschenrechtsverletzungen sind bislang nicht aufgearbeitet. Insgesamt herrscht unverändert Misstrauen auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft: sowohl zwischen Regierung und den Konfliktparteien, diesen untereinander sowie seitens der Bevölkerung gegenüber der Regierung und ihren staatlichen Institutionen, aber auch gegenüber der internationalen Mission MINUSMA. Darüber hinaus ist die Bevölkerung bislang nur unzureichend über die Inhalte des Friedensvertrags informiert, was dem Vertrauensaufbau als wichtiges Element im Friedensprozess entgegensteht. Dialogaktivitäten zur Versöhnung sind erkennbar, aber insgesamt noch unzureichend abgestimmt. Die Etablierung eines Versöhnungsministeriums wird allerdings als Schritt in die richtige Richtung gesehen.
Auch bei den Treffen mit Vertretern von MINUSMA, EUCAP und EUTM wurde deutlich, dass die Sicherheitslage im Norden instabil und von einer asymmetrischen Bedrohungslage gekennzeichnet ist, die besondere Herausforderungen für das Peacekeeping darstellt. Mit einem gesicherten Zeitfenster für die erfolgreiche Umsetzung des Friedensabkommens rechnete keiner der Ansprechpartner, da sich auch die zuständigen Institutionen zur Neustrukturierung der Armee und Polizei und zur Entwaffnung von Rebellen noch im Aufbau befinden. Vorrangig sei die Ertüchtigung im Sinne von Ausstattung und Ausbildung malischer Sicherheitskräfte bei gleichzeitigem Aufbau von Vertrauen der Bevölkerung in diese Strukturen. Interessant im Kontext der unterschiedlichen internationalen Friedensmissionen ist die Tatsache, dass sich die fünf afrikanischen Staaten Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad gemäß der Losung "Afrikanische Lösungen für Afrikanische Probleme" im Rahmen der Afrikanischen Union (AU) zu der Organisation "G5 du Sahel" zusammengeschlossen und eine gemeinsame permanente Truppe zur Bekämpfung der extremistischen Gewalt und organisierten Kriminalität in der Region ins Leben gerufen haben. Deren Mandatierung durch AU und VN steht zwar noch aus, die Truppe wird aber in der Region als "main hope" angesehen.
Fazit und Ausblick
In den Gesprächen wurde zum Ausdruck gebracht, dass Deutschland aufgrund seines dauerhaften Engagements einer der angesehensten internationalen Partner der malischen Regierung sei. Um den Frieden zu sichern, müssten sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Die unterschiedlichen bilateralen Vorhaben der GIZ und KfW in den Schwerpunkten Dezentralisierung und Good Governance, Förderung der Landwirtschaft, Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie bei der Umsetzung des Friedensvorhabens sollen hierzu beitragen. Sie setzten insbesondere mit Capacity Building-Maßnahmen an den genannten Herausforderungen an, um die malischen Partner zu befähigen, ihre bislang schwachen Institutionen zur Umsetzung des Friedensvorhabens und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung effektiver einzusetzen. Die Bedingungen für die Umsetzung der Vorhaben würden vor allem im Norden des Landes durch die instabile Sicherheitslage erschwert, sodass die Implementierung überwiegend mittels lokalen Personals durchgeführt werde. Betont wurde durchweg, dass es – wie so oft in fragilen Kontexten – einer verbesserten Koordinierung der diversen Projekte und des internationalen Engagements bedürfe.
Deutlich wurde, wie mühsam im Detail die Umsetzung des Friedensprozesses in einem Vielvölkerstaat sein kann. Dass die Existenz eines Friedensabkommens nur der erste Meilenstein eines langen und mit diversen Herausforderungen gepflasterten Weges ist, wurde allen Seminarteilnehmern nicht nur in den Gesprächen mit den verschiedensten afrikanischen und internationalen Akteuren immer wieder vor Augen geführt, sondern auch durch aktuelle Ereignisse während der Reise unterstrichen. So gab es neben dem Anschlag in Bamako auch Demonstrationen gegen das für den 9. Juli geplante Verfassungsreferendum, welches letztlich verschoben wurde. Da sich ein verlässlicher Zeitpunkt für eine erfolgreiche Umsetzung des Friedensabkommens nicht vorhersagen lässt, werden sich die VN und die EU zeitnah mit der Verlängerung und womöglich Anpassung der Mandate ihrer Missionen befassen müssen. Damit wird sich auch der Deutsche Bundestag mit der Verlängerung der Einsätze des deutschen militärischen Personals beschäftigen müssen. Trotz der erkennbaren Schwierigkeiten sollte sich Deutschland unverändert in den VN- und EU-Missionen als auch in der Entwicklungszusammenarbeit in Mali engagieren und das Land aktiv unterstützen. Eine Alternative ist nicht erkennbar, da ein Abrutschen des Landes unkontrollierbare Folgen für die gesamte Sahel-Region und mittelfristig auch starke Auswirkungen für Europa hätte.
Autoren: Sven Kurenbach und Sandra Oelke