Der neue starke Mann der Volksrepublik China, Xi Jinping, hat seit dem Antritt der "Fünften Führungsgeneration" mehrfach betont, dass die Volksbefreiungsarmee (VBA) darauf vorbereitet werden müsse, Kriege zu führen und zu gewinnen. In Ostasien dürften diese Worte für Beunruhigung gesorgt haben, zumal Beijing in den vergangenen Jahren seine machtpolitischen Ansprüche im Süd- und Ostchinesischen Meer deutlich markiert hat. Die umfassenden Rüstungsprogramme des Landes deuten darauf hin, dass China zunehmend in die Lage versetzt wird, politischen Forderungen militärisch Nachdruck zu verleihen. Feststellen lässt sich aber auch: Seit dem "Straffeldzug" gegen Vietnam 1979 war China in keinen größeren Krieg mehr verwickelt und hat damit seit über drei Jahrzehnten keine praktischen Kampferfahrungen mehr sammeln können. Fraglich ist daher, wie leistungsfähig die chinesischen Streitkräfte gegenwärtig sind.
Diese Thematik stand im Fokus der Trierer China-Gespräche 2013, die bereits zum dritten Mal stattfanden. Zu der von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der Konrad Adenauer Stiftung e.V. (KAS) sowie dem Alumni-Verein der Politikwissenschaft der Universität Trier organisierten Veranstaltung kamen am 6. Juni 2013 annähernd 80 Teilnehmer aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Presse und Politikberatung in der Schlossanlage Schönhausen (Sitz der BAKS) zusammen.
Als Gastgeber begrüßte der Vizepräsident der BAKS, Oberst i.G. Rainer Meyer zum Felde, die Referenten und Teilnehmer. Er wies sowohl auf den Auftrag der BAKS als höchste sicherheitspolitische Fortbildungsinstitution des Bundes wie auch auf den historischen Charakter des Tagungsraumes hin, in dem die letzten "Runden Tische" der DDR sowie Teile der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten durchgeführt worden seien. Frau Dr. Beatrice Gorawantschy, Teamleiterin Asien und Pazifik der KAS in Berlin, verknüpfte in ihren einführenden Worten die Arbeit der Stiftung im Bereich der europäischen und internationalen Zusammenarbeit mit dem Hinweis auf verschiedene Dialogforen mit asiatischen Partnerinstitutionen zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses. Professor Dr. Martin Wagener von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung wies als Vertreter des Trierer Alumni-Vereins darauf hin, dass dieser bezüglich der Trierer China-Gespräche die organisatorische Nachfolge der ehemaligen Juniorprofessur für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen angetreten habe.
In die Thematik der Tagung einführend, betonte Professor Dr. Martin Wagener, dass der für den Titel entliehene Begriff der "Kampfkraft" von Professor Dr. Martin van Creveld stamme. Ursprünglich gehe es bei "Kampfkraft" um die Leistungsfähigkeit des Soldaten, wohingegen für die Zwecke der Tagung ein weites Verständnis genutzt werde, das u.a. Rüstungsvorhaben einbeziehe.
Kampfkraft: Bausteine moderner Streitkräfte
Der erste Vortrag war einem grundlegenden Thema gewidmet: Über welche militärischen Fähigkeiten muss eine Großmacht im 21. Jahrhundert verfügen, um erfolgreich Macht zu projizieren? Nach der Einführung durch den Moderator Manfred Bohr, Studienreferent Wirtschaftspolitik an der BAKS, begann Professor Dr. Martin van Creveld mit Ausführungen zur "Kampfkraft", die – seinem Vergleich über die Stärke der Wehrmacht sowie der US-Armee während des Zweiten Weltkrieges entnommen – die inhaltliche Messlatte für die VBA im Rahmen der Tagung darstellen sollte. Van Creveld ging hierbei von der Fragestellung aus, ob man im hochtechnisierten 21. Jahrhundert überhaupt noch Kampfkraft benötige, um politische Ziele mit militärischen Mitteln zu untermauern. Er wies darauf hin, dass er unter dem Begriff "Kampfkraft" die individuellen und kollektiven geistigen, intellektuellen sowie psychologischen Voraussetzungen verstehe, die Soldaten benötigten, um im Kampf Angst, Leid, Verwundung und letztlich den Tod ertragen zu können. Dies sei die Grundlage soldatischen Handelns im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen, die je nach Ausgestaltung dazu führen könne, dass quantitativ und materiell unterlegene Kräfte überlegene Armeen besiegen könnten. Als historisches Beispiel hierfür wurden die siegreichen israelischen Kriege von 1948 bis 1973 angeführt. Gleichwohl äußerte der Referent die Warnung, dass die Gewöhnung an den Kampf gegen schwächere Gegner sowie die ständige Demoralisierung der Truppe durch gesellschaftliche Kräfte zu einer Senkung und zu einem möglicherweise irreparablen Verlust der Kampfkraft führen könnten.
Hinsichtlich der Zukunft der Kriegführung, die sich bereits im gegenwärtigen Rüstungsverhalten abbilde, bemerkte der Referent, dass in einfachen Umgebungen wie dem Weltall, der Luft und der See bereits heute ein hohes Maß an Robotisierung der Kriegführung zu konstatieren sei, was sich in den kommenden Jahren allerding noch steigern werde. Im komplexen Gefechtsfeld Land, das durch seine Natur als Lebens- und Produktionsumgebung des Menschen besonders essentiell sei, und hier insbesondere in urbanen Einsatzszenarien, seien die militärischen Aufgaben jedoch derart vielschichtig, dass sie nicht an Roboter oder Maschinen mit hohem Spezialisierungsniveau übergeben werden könnten. Hier seien nach wie vor und auch in Zukunft Soldaten als "boots on the ground" notwendig, wodurch sich wiederum die Notwendigkeit zur Ausbildung einer kognitiven Kampfkraft der Truppe ergebe.
Im Rahmen der anschließenden Debatte kamen Teilnehmer und Referent darin überein, dass nicht bloß die Streitkräfte, sondern auch die (demokratische) Bevölkerung eine essentielle Rolle für die Bereitstellung der Kampfkraft stellen würden. Rainer Meyer zum Felde schlug hierauf aufbauend eine Erweiterung der Begriffsdimensionen um die Faktoren zivil-militärische Zusammenarbeit, Interoperabilität, Flexibilität, Interventions-, Verlege- und Durchhaltefähigkeit, zivile wie auch militärische Ausbildung, technische Fähigkeiten sowie nicht zuletzt militärische und zivile "soft power" vor. Wichtig sei ein ressortübergreifender Gesamtansatz, wobei die zivil-militärische Zusammenarbeit in allen Phasen komplexer Missionen eng koordiniert werden müsse.
Militär und Politik in China nach dem Antritt der "Fünften Führungsgeneration"
Das folgende Referat von Dr. Gunther Schmid, bis 2012 Professor für Politikwissenschaft/Internationale Politik an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, befasste sich mit der Frage, ob der Wechsel in der politischen Führungsspitze der Volksrepublik China 2012 einen Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik gehabt hat. Moderiert wurde diese Sitzung durch Dr. Beatrice Gorawantschy.
Nach dem einführenden Hinweis auf die dramatische Zuspitzung des Machtkampfes in der Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im März 2012, der in der Abwendung eines „Putsches“ durch Bo Xilai sowie dessen Verurteilung wegen Korruption geendet habe, wies Schmid auf den Anstieg des Durchschnittsalters im Zentralkomitee der KPCh im Zuge des Machtwechsels hin; hier sei der Generationenwechsel deutlich sichtbar vertagt worden. Hervorgehoben wurde weiterhin die große diplomatische und militärische Erfahrung des neuen Staatspräsidenten Xi Jinping, der sich auf ein umfangreiches Netzwerk an persönlichen Vertrauten stützen könne.
Anschließend stellte Schmid sieben Thesen hinsichtlich der aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Lage unter der "Fünften Führungsgeneration" vor. Als erstes sei festzustellen, dass der Einfluss der VBA in den politischen Entscheidungsgremien wie dem Politbüro anhaltend begrenzt sei und die Vertreter der militärischen Führung weiterhin für ihre sektoralen Eigeninteressen kämpften. Als zweiter Punkt wurde eine andauernde Diskussion rund um die zivile Kontrolle und den politischen Vorbehalt über das Militär in China identifiziert. Vor dem Hintergrund des Professionalisierungsprozesses wie auch der erweiterten Einsatzszenarien werde über die Rolle der VBA als Partei-Armee – entsprechend der gültigen Doktrin der KPCh gemäß Parteistatut – respektive als Nationalarmee debattiert. Drittens sei der außen- und sicherheitspolitische Entscheidungsprozess nach wie vor strikt unter KPCh-Dominanz gegliedert. Die Zentrale Militärkommission der Partei, von der seit 2012 sieben der elf Mitglieder im Alter zwischen 60 und 70 Jahren neu benannt worden seien, fungiere weiterhin als Organ der Letztentscheidung, was das Verhältnis der Armee zum Staat sowie zum Staatsrat als Zentralregierung in einem unklaren Stand beließe. Als vierte These konstatierte Schmid die weitere Steigerung des Verteidigungsetats, der seit Jahren um ca. 10% jährlich wachse und mit dem Hinweis auf den finanziellen Nachholbedarf, die Inflationsrate und nicht zuletzt den Verweis auf den geringen Anteil der Militärausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt legitimiert werde. Fünftens wurde eine ambivalente und im Fluss befindliche (Selbst-)Perzeption Chinas hinsichtlich seiner eigenen Rolle im internationalen System sowie der Natur seines Systemumfelds aufgezeigt. Dominant sei jedoch nach wie vor das Bild eines risikoreichen internationalen Umfeldes, bei dem die Vielzahl der eigenen, zum Teil nuklear bewaffneten Nachbarn, die als revisionistisch empfundenen USA sowie die separatistischen Bewegungen im eigenen Land als Hauptgefahrenquellen ausgemacht würden. Hieraus ergebe sich, sechstens, eine inkonsistente Sicht der politischen Entscheidungsträger auf die internationale Politik, die sich in divergierenden Politiken niederschlage und der Formulierung eines "Beijing Consensus" auf absehbare Zeit entgegenstehe. Die Ausbildung eines solchen, so die siebte These, werde zudem durch die Divergenz in der Selbst- und Außenwahrnehmung Chinas verhindert. Insbesondere im Westen sowie bei Chinas Nachbarn führten Unwissen, fehlende Transparenz (zum Beispiel bei der Anzahl einsatzfähiger Kernwaffen) sowie unklare Strategievorstellungen auf chinesischer Seite zur Vertiefung von Bedrohungsperzeptionen, während China lediglich davon ausgehe, legitime Interessen zu verfolgen.
In der Diskussion warnte Gunther Schmid wiederholt vor einem "perception overkill" durch Unsicherheit und die methodisch fehlerhafte Übertragung von Denkkategorien aus der westlichen Geschichte (zum Beispiel Manchester-Kapitalismus, Saturiertheit) auf China, was die USA beispielsweise durch den Aufbau von Dialogen abzumildern suchten. Aus sprachlichen und semantischen Barrieren ergäben sich weitere Möglichkeiten für Missverständnisse. Hinsichtlich der China-internen sicherheitspolitischen Debatte wurde auf den Beginn einer "realistischen Wende" und einer breiten Rezeption der Schriften Henry Kissingers hingewiesen, auch wenn die Gespräche sowohl auf wenige Eliten als auch sektoral begrenzt seien.
Einsatzbereit? Flugzeugträger, Stealth-Kampfflugzeuge und Anti-Schiffsraketen
Professor Dr. Martin Wagener bewertete in seinem Vortrag einzelne Rüstungsprojekte, die - sollten sie einsatzbereit sein – erhebliche Konsequenzen für die militärischen Machtprojektionsfähigkeiten der Volksrepublik China hätten. Moderiert wurde die Sitzung von Dr. Anja Senz von der Universität Duisburg-Essen. Im Fokus des Vortrages standen der Flugzeugträger "Liaoning", das Stealth-Kampfflugzeug J-20 und die "Anti-Ship Ballistic Missile" Dongfeng (DF) 21D, die in der Presse auch unter der Bezeichnung "Carrier Killer" firmiert.
Martin Wagener wies in seinen Ausführungen zunächst darauf hin, dass die Krise in der Taiwanstraße von 1996 die treibende Kraft der Aufrüstung der VBA sei. Damals habe China versucht, die Präsidentschaftswahlen in der Republik China durch Raketentests in den Gewässern nördlich und südlich der Insel zu beeinflussen. Die Entsendung von zwei amerikanischen Flugzeugträgergruppen in die Nähe der Taiwanstraße habe zu einer Beendigung dieser Drohpolitik beigetragen. Spätestens seit jenen Tagen sei die VBA dazu übergegangen, Kriegsgerät zu beschaffen, mit dem kommende Interventionen der USA an der chinesischen Peripherie kompliziert werden könnten. Diese "Anti-Zugangsstrategie" werde vom Pentagon als "Anti-Access/Area Denial" (A2/AD) bezeichnet.
Der Referent untersuchte sodann das chinesische Flugzeugträgerprogramm. Der "Liaoning" schrieb er eine begrenzte Kampfkraft zu. Sie sei 1998 als nicht fertiggestellte "Trägerhülle" in der Ukraine gekauft, dann seit 2002 in Dalian grundlegend überholt und schließlich im September 2012 in Dienst gestellt worden. Das Kampfflugzeug J-15 habe im folgenden November nachgewiesen, auf der "Liaoning" starten und landen zu können. Die Kampfkraft dieses Flugzeugträgers werde jedoch begrenzt bleiben, was selbst das chinesische Verteidigungsministerium zugebe (zumal die Sprungschanze nur den Start von Kampfflugzeugen mit geringer Bombenlast und wenig Treibstoff zulasse). Gegenüber Staaten mit schwachen Streitkräften könnte die "Liaoning" aber vermutlich bereits jetzt aktiv in Konflikte eingreifen, etwa im Südchinesischen Meer. Peking werde weitere Flugzeugträger bauen; das Pentagon gehe davon aus, dass es dazu nach einem entsprechenden Beschluss vier bis fünf Jahre benötige.
Das Stealth-Kampfflugzeug J-20 sei das erste Kampfflugzeug Chinas der "fünften Generation", das unter anderem über vollumfängliche Tarnkappeneigenschaften verfügen solle. Der Testflug im Januar 2011 sei international auf großes Interesse gestoßen. Die J-20 sei derzeit jedoch noch nicht einsatzbereit; Medienberichten sei zu entnehmen, dass es Probleme bei der Integration leistungsfähiger Triebwerke gebe. Dennoch behaupte der amerikanische Geheimdienst, dass die J-20 ab 2018 einsatzbereit sein könnte. China würde sich dann in einer Liga mit den USA befinden, die derzeit vor allem das Stealth-Kampfflugzeug F-22 einsetzten. Bei voller Einsatzbereitschaft verfüge die VBA mit der J-20 über eine schnelle Reaktionsfähigkeit in Krisenfällen, eine hohe Eindringtiefe in den westlichen Pazifik und temporäre Blockademöglichkeiten, etwa in der Malakka-Straße. Mit der erstmals im Oktober 2012 getesteten J-31 arbeite China zudem an einem weiteren Stealth-Kampfflugzeug, das perspektivisch auf einem Flugzeugträger zum Einsatz kommen solle.
Zur "ultimativen Waffe" der VBA könnte die DF-21D werden, wenn sie – wie von ihren Anhänger gewünscht – als "Carrier Killer" funktionieren sollte. Die DF-21D habe eine Reichweite von über 1.500 km, erreiche Geschwindigkeiten von bis zu Mach 12 und solle bewegliche Seeziele bekämpfen können. Wagener stellte fest, dass dies gegenwärtig nicht möglich sei, was auf die mit den hohen technologischen Herausforderungen zurückzuführen sei. Allein die Aktualisierung der Zielkoordinaten im Endanflug stelle enorme Anforderungen an jene, die den "Carrier Killer" einsetzen wollten. Und dennoch: Die Vorstellung, dass China – wenn auch mit viel Glück – in der Lage sein könnte, einen Flugzeugträger der USA auf 1.500 km Distanz anzugreifen, dürfte die Einsatzkalkulationen des Pentagons beeinflussen. Das Ergebnis wäre eine "Große Mauer zur See" mit neuen Spielregeln im Pazifik.
Im Ergebnis stellte Wagener fest, dass die Einsatzbereitschaft der untersuchten Waffensysteme viele Fragen aufwerfe. Dennoch würden sich aus den Projekten Flugzeugträger, J-20 und DF-21D bereits jetzt Konsequenzen für die regionale Rüstungsdynamik ergeben. Auch sei der Trend eindeutig: China stelle zunehmend finanzielle Mittel für die VBA zur Verfügung; die Modernisierung werde beschleunigt; machtpolitische Ambitionen seien immer deutlicher zu erkennen. Dies habe bislang jedoch nicht dazu geführt, dass eine Ablösung der USA als militärischer Hegemon Ostasiens bevorstehe.
Ein wichtiges Thema der sich anschließenden Debatte stellte die amerikanische Haltung zu den aktuellen Rüstungsprozessen in China dar. Neben der im Publikum geäußerten These, dass die militärische und politische Führung der USA womöglich über bestehende Probleme bei den Projekten nichtöffentliche Kenntnisse besäße und deshalb keine massiven Gegenmaßnahmen betreibe, wurde dennoch die Konzeption des "AirSea Battle" als Reaktion der operativen Krisenplanung festgehalten. Sollten die USA weitere Kräfte in den asiatisch-pazifischen Raum verlagern (rebalancing), so Wagener, seien die europäischen Staaten in kommenden Krisen wahrscheinlich verstärkt auf eigene Fähigkeiten angewiesen und könnten sich bei Szenarien ähnlich jenem in Libyen 2011 nicht mehr uneingeschränkt auf US-Unterstützung verlassen. Angesprochen auf die Modernisierungen im Bereich der U-Boot-Flotte stellte der Vortragende fest, dass das US-Pazifikkommando bereits seit einigen Jahren den Anti-U-Boot-Kampf als zentrale Aufgabe identifiziert habe. Die VBA verfüge zudem mit den strategischen U-Booten der Jin-Klasse vermutlich über eine seegestützte nukleare Zweitschlagfähigkeit, nachdem die Julang 2 im vergangenen Jahr erfolgreich getestet worden sein soll.
Planspiel 1: Kann China Taiwan erobern?
Die politische Führung in Beijing wiederholt regelmäßig ihre Sicht, dass eine "Rückkehr Taiwans in den Schoß des Vaterlandes" unter gewissen Voraussetzungen auch unter Anwendung militärischer Mittel geschehen müsse. Ob China derzeit die notwendigen militärischen Fähigkeiten besitzt, diese politische Forderung auch durchzusetzen, hat der Trierer Politikwissenschaftler Dr. Dirk Schmidt in seinem Vortrag thematisiert. Moderiert wurde die Sitzung von Holger Alisch, M.A., Doktorand an der Universität Trier.
Die Beutung des Themas ergebe sich nach Schmidt in erster Linie daraus, dass Taiwan weiterhin zu einem der "Kernziele" der Volksrepublik China zähle und die Wiedervereinigung für die Realisierung des sogenannten "Chinesischen Traums" ein zentraler Bestandteil sei. Anschließend identifizierte der Referent eine methodische Probleme, die die analytische Durchdringung der Thematik erschwerten. So konstatierte er eine "doppelte Intransparenz" hinsichtlich der öffentlich verfügbaren Informationen über das Fähigkeitsspektrum der VBA sowie der Armee Taiwans. Große Teile der Erkenntnisse stammten aus nachrichtendienstlichen Quellen, die im Rahmen von Veröffentlichungen eigene politische Interessen verfolgten. Um die Möglichkeit einer chinesischen Eroberung Taiwans zu eruieren, wurde zwischen einer "klassischen" amphibischen Landungsoperation durch Einnahme eines Brückenkopfes (frontal assault) und einer Luftlandeoperation zur Besetzung von Kernzielen unter Umgehung einer Anlandung (vertical assault) unterschieden. Als These formulierte Schmidt, China könne Taiwan mittelfristig nicht erobern.
Es folgte der Vergleich der Kräfte und Fähigkeiten von Angreifern und Verteidigern (Streitkräfte Chinas/Taiwans) in vier Dimensionen: allgemeine Ausgangslage, Geographie/Topographie, Luft-/Seeüberlegenheit, Errichtung eines Brückenkopfes und Heranführung von Verstärkungen.
In der ersten Dimension könnten aufgrund von Modernisierungen, Aufrüstung, Professionalisierung und eines ideologisch geprägten Auftragsverständnisses seitens der VBA deutliche Vorteile auf Seiten Chinas verbucht werden. Diese würden jedoch durch die vorhandene Mischung von altem und neuem Material bei der VBA sowie die internationale Unterstützung für Taiwan im Falle einer chinesischen Aggression relativiert. Die geographische Nähe beider Konfliktparteien wurde als überwiegend positiv für Taiwan gewertet, da zwar große Zahlen chinesischer Kurzstreckenraketen eingesetzt werden könnten, die schmale und seichte Taiwanstraße sowie die schlammige Küste in Verbindung mit mehrmonatigen Taifun- und Monsunzeiten aber die Verteidiger begünstigten. Den Vorteilen der VBA bei den Luftstreitkräften begegne Taiwan wiederum mit Schutz- und Täuschungsmaßnahmen (sogenannte "hard ROC"-Strategie), während die Interoperabilität der chinesischen Marine und Luftwaffe nach den letzten verbundenen Kampfhandlungen, die auf das Jahr 1955 datiert werden können, von Schmidt für fraglich gehalten wurde. In der vierten untersuchten Dimension wurde als chinesische Stärke die gute Aufklärung verbucht, während Taiwan aus der Rolle des Verteidigers heraus in der Lage sei, auch mit älteren Waffensystemen die begrenzten Anlandungskapazitäten der VBA effektiv zu bekämpfen. Der Vortragende schlussfolgerte, dass aufgrund der fehlenden Erfahrungen im Bereich von amphibischen respektive Luftlandeoperationen, einer fehlenden Problemlösungskultur in der VBA und Trainingsrückständen einerseits sowie mit dem taiwanischen Selbstbehauptungswillen andererseits ein Eroberungsversuch innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nicht erfolgsversprechend sei.
Die Debatte fokussierte sich auf das internationale Umfeld des Konflikts, insbesondere auf die Rolle Washingtons. Hierbei kristallisierte sich die Meinung heraus, dass die USA zur Sicherung ihrer Glaubwürdigkeit in Asien in einen bewaffneten Konflikt intervenieren würden, sofern die Aggression von China ausgehe. Weiterhin erörterte man die asymmetrischen Reaktionen Taipehs auf die chinesischen Herausforderungen, die denjenigen Beijings gegenüber den USA ähnelten.
Planspiel 2: Militärische Optionen Chinas im Südchinesischen Meer
Der letzte Vortrag behandelte in einem weiteren Planspiel eine mögliche militärische Durchsetzung der chinesischen "Kerninteressen" im Südchinesischen Meer. Hierzu trug Dr. Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin vor; Moderiert wurde die Sitzung von Dr. des. Janka Oertel von der Körber Stiftung in Berlin.
Als Grundlage für seine Ausführungen berief sich Will auf ein Zitat des ehemaligen Staatsrates Dai Bingguo der Volksrepublik China, der 2009 die "Kerninteressen" seines Landes in folgenden drei Punkten zusammenfasste: Bewahrung der Grundlagen des politischen Systems und der nationalen Sicherheit, die Erhaltung der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität sowie nicht zuletzt die Fortführung einer stabilen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das Südchinesische Meer gehöre damit in einem erweiterten, qualitativen Sinne in jedem Fall zu diesen Kerninteressen, da hier Gebietsansprüche, wirtschaftliche Interessen sowie Fragen der politischen Legitimation berührt seien. Aufbauend auf den in den vorhergehenden Referaten analysierten militärischen Fähigkeiten der VBA sei es möglich, dass China einzelne Inseln besetze, um so seine Interessen zu sichern, wobei anzunehmen sei, dass seitens der chinesischen Führung versucht werde, die Konfliktintensität insgesamt niedrig zu halten.
Im Bereich der Ressourcenfrage im Südchinesischen Meer (insbesondere hinsichtlich Erdöl, Erdgas und Fischvorkommen) seien weiterhin Spannungen zu erwarten, die durch die weit divergierenden Schätzungen hinsichtlich der vorhandenen Ressourcen verschärft würden. Die Volksrepublik China habe, so der Referent, zur Sicherung ihrer Ansprüche bereits "paramilitärische" Schutzflotten aufgestellt, die nicht dem Kommando der VBA unterstünden, um somit die Gefahr einer Steigerung des Konflikts auf der zwischenstaatlich-militärischen Ebene zu vermindern. Durch die verstärke militärische und rhetorische Präsenz werde zudem auf chinesischer Seite versucht, die nationalistischen Kreise im Land hinter der Regierung zu versammeln.
Als problematisch wurden Chinas Rüstungsbemühungen für die Verfolgung der eigenen Kerninteressen eingeschätzt. Diese liefen samt den hieraus resultierenden Sorgen der Nachbarn der Notwendigkeit zur weiteren Einbindung Chinas in den globalen Handel zwecks Aufrechterhaltung des eigenen Wirtschaftswachstums zuwider. Als Maßnahme zur Korrektur des negativen Außenbildes des Landes habe die KPCh-Führung bereits in Myanmar eine positivere Öffentlichkeitsarbeit initiiert. Ebenfalls als die eigenen Interessen konterkarierend wurden verschiedene Rüstungsprojekte beurteilt. China befördere durch seine Bemühungen Gegenmaßnahmen und Bündnisse der Nachbarstaaten. Nicht zuletzt wurde die eingeschränkte Handlungsfreiheit der Regierungen in Ostasien als Problem identifiziert: Um die nationalistischen Kreise im eigenen Land einhegen zu können, seien die Regierungen zu aggressiven, nationalistischen Politiken gezwungen, die sie in ihren Handlungsoptionen einschränkten und somit konfliktfördernd wirkten. Verstärkt werde dies im chinesischen Umfeld durch die Vielzahl von Akteuren im außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess.
In seiner Zusammenfassung hob Will die widersprüchliche Zielsetzung der chinesischen Politik hervor. Wirtschaftliche Kooperation mit den Nachbarn zum Zwecke des "China Dream" (Xi Jinping) auf der einen Seite und militärisch untermauerte Ansprüche auf der anderen Seite, die Gegenmaßnahmen provozierten, seien ein Hindernis für die Lösung der bestehenden Konflikte im Südchinesischen Meer wie auch für eine Realisierung des "China Dream".
Gefragt nach einer möglicherweise konfliktmindernden Wirkung einer Demokratisierung Chinas betonte Gerhard Will, dass in Ostasien derzeit die Regierungen tendenziell gemäßigter agieren wollten als die teilweise nationalistischen Kreise der Bevölkerung und daher eine Demokratisierung die Situation eher noch verschärfen könnte. Weiterhin stellte sich in der Diskussion die essentielle Rolle der chinesisch-amerikanischen Rivalität heraus, die aufgrund der unklaren Bündnisverläufe deutlich anders wirke als der Kalte Krieg mit seinen klar strukturierten Blöcken. Hierdurch erschwerten sich auch mögliche (Ab-)Rüstungsvereinbarungen und vertrauensbildende Maßnahmen, die zwischen den USA und der Sowjetunion eine Eskalation der Spannungen hatten verhindern können. Die faktische Multipolarität im Südchinesischen Meer führe ebenfalls zu einer eingeschränkten und fraglichen Einflussmöglichkeit der USA auf die Konfliktparteien. Dass auch die südöstlichen Nachbarstaaten Chinas untereinander große Interessensdivergenzen haben, wurde am Beispiel Kambodschas und Thailands – beide Mitglied der "Association of Southeast Asian Nations" (ASEAN) – deutlich, die sich rund um die Tempelanlage von Preah Vihear in den letzten Jahren mitunter tödliche Scharmützel geliefert hätten. Als Möglichkeit, von außen besänftigend auf den Konflikt einzuwirken, wurde ein Ausbau der teilweise bereits bestehenden Dialog- und Beratungsforen der Europäischen Union (EU) mit der ASEAN andiskutiert, da die EU beispielsweise im Bereich des gemeinsamen Ressourcenmanagements – etwa bei Fischereirechten – umfangreiche Erfahrungen und Erfolge vorzuweisen habe.
Fazit: Undurchschaubare Kampfkraft
Bezugnehmend auf die übergeordnete Fragestellung der Tagung, wie es um die Leistungsfähigkeit der chinesischen Streitkräfte bestellt sei, wurde von Professor Dr. Martin Wagener ausgeführt, man habe sich auf die Fragen, was die Volksrepublik China wolle, was sie habe, was sie mache und was sie trainiere, konzentriert. Naturgemäß sei dies bei öffentlich begrenzt zugänglichen Quellen nicht einfach. Wie überhaupt die Leistungsfähigkeit einer Armee, die seit Dekaden nicht mehr gekämpft habe, nur annäherungsweise eingeschätzt werden könne. Völlig offen sei etwa, wie die VBA angesichts dieser Ausgangsbedingungen im Gefecht mit jenen Friktionen umgehen würde, die den Werken des Carl von Clausewitz prominent entnommen werden könnten. Der Vortrag von Professor Dr. Martin van Creveld habe zudem gezeigt, dass in keiner Weise abschätzbar sei, zu welchen Leistungen chinesische Soldaten im Kampf fähig seien.
Autor: Manfred Bohr, Matthias Schneider