Vor dem Kernseminar der BAKS hat die frühere Bundesentwicklungsministerin mehr Engagement der Bundesregierung für die Vereinten Nationen gefordert.
Anlässlich ihres Vortrages im Kernseminar der Bundesakademie für Sicherheitspolitik zum Thema "Global Governance im 21. Jahrhundert" hat die frühere Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) für ein stärkeres Engagement Deutschlands im Kontext der Vereinten Nationen geworben.
Die VN und ihre Unterorganisationen leisteten vielfach hervorragende Arbeit und verdienten mehr Rückendeckung durch die Bundesregierung. Gerade weil sich die Welt in einer Phase der Unordnung und Destabilisierung befinde, in welcher aufrichtige Bemühungen um Interessenausgleich und Zusammenarbeit zunehmend unter Druck gerieten, sei eine starke und handlungsfähige Staatengemeinschaft besonders wichtig.
"Uniting for Peace"-Mechanismus vorantreiben
Wieczorek-Zeul sprach sich dafür aus, dass Deutschland bestehende VN-Strukturen aktiver unterstützen und für friedens- und sicherheitspolitische Initiativen nutzen solle. So sollten im Weltsicherheitsrat nicht konsensfähige beziehungsweise an der Blockadehaltung einzelner ständiger Mitglieder scheiternde Initiativen verstärkt über den "Uniting for Peace"-Mechanismus vorangetrieben werden.
Dieser geht auf die VN-Resolution 377 aus dem Jahre 1950 zurück und räumt im Prinzip allen Mitgliedstaaten der VN-Generalversammlung das Recht ein, in allen Fällen, in denen die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ihrer Verantwortung für Frieden und Sicherheit nicht gerecht werden, eigenständig aktiv zu werden und Empfehlungen zu entwickeln. Betont kritisch äußerte sich Wieczorek-Zeul zur deutschen Beteiligung an VN-Friedensmissionen, die noch weit von den Möglichkeiten sowie vom geltend gemachten internationalen Profil Deutschlands entfernt sei.
Gleichwohl betonte die frühere Ministerin auch die Notwendigkeit sichtbarer Reformen innerhalb des VN-Systems. Insbesondere der VN-Sicherheitsrat müsse im Interesse seiner zukünftigen Handlungsfähigkeit und im Sinne einer fairen Vertretung aller Nationen dringend modernisiert werden. Denkbar sei hier eine vollwertige Repräsentanz aller Kontinente nach einem ausgewogenen regionalen Verteilungsschlüssel.
Weltweite Beseitigung von Hunger und Armut im Blick
Zudem, so die Ex-Ministerin weiter, müssten die VN der Frage nachgehen, welche institutionellen beziehungsweise strukturellen Anpassungsbedarfe sich aus der Umsetzung der im September 2015 auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in New York verabschiedeten und weltweit gültigen Sustainable Development Goals (SDG) ergeben. Durch die Umsetzung der insgesamt 17 nachhaltigen Entwicklungsziele soll bis zum Jahre 2030 insbesondere die weltweite Beseitigung von Armut und Hunger gelingen.
Schließlich brachte Wieczorek-Zeul die Hoffnung zum Ausdruck, dass die VN und ihre Unterorganisationen zukünftig mehr "strategische Gemeinsamkeiten" entwickeln und ihr Profil einer konsistenteren "normativen Orientierung" stärken sollten. Auf diesen Gebieten könne der neue Generalsekretär oder die neue Generalsekretärin in der Nachfolge von Ban Ki-moon ab 2017 besondere Akzente setzen.
Neben der Schlüsselrolle der Vereinten Nationen in der Global Governance-Architektur des 21. Jahrhunderts unterstrich der Vortrag die Bedeutung und das Potenzial so genannte "Club Governance"-Foren (G7, G20). Beispiele aus der Vergangenheit – allen voran die auf Betreiben der damaligen Bundesregierung auf dem G8-Gipfel in Köln beschlossene Erweiterung des Schuldenerlasses für hoch verschuldete arme Länder (so genannte "HIPC-II-Initiative") – zeigten, dass Club-Governance-Formate durchaus in der Lage seien, entwicklungsorientierte Beschlüsse von besonderer Tragweite zu fassen. Diesen Geist gelte es auch zukünftig zu entfalten.
Ex-Ministerin fordert mehr Mut
Auf die Frage, wie es im aktuellen politischen Klima in Deutschland, das tendenziell ähnlich wie in anderen europäischen Staaten vom Erstarken nationalkonservativer Kräfte geprägt ist, gelingen könne, eine breite Legitimation für ein größeres Engagement Deutschlands im VN-Rahmen zu erwirken, forderte Wieczorek-Zeul mehr Mut in der Politik. Die politisch Verantwortlichen in Deutschland müssten deutlich mehr Kraft für die "Vermittlung von Visionen" aufbringen.
Den Menschen in Deutschland müsse deutlich gemacht werden, dass wir in einer Welt leben und – wie die täglichen Bilder aus den Flüchtlingscamps von Dadaab bis Idomeni unzweifelhaft belegten – langfristig tragfähige Lösungen für eine gerechtere Welt entwickeln müssen. Ein Denk- und Handlungsrückzug auf nationale Belange und Grenzen verkenne die unweigerliche Wirkungsmacht von Problemen mit globalem Zuschnitt.
Gerade die Flüchtlingskrise offenbare aber auch die Notwendigkeit, das eigene politische Verhalten kritisch zu reflektieren und konkret über "Fluchtursachen made in Europe" nachzudenken.
Autor: Martin Schuldes