Im Interview mit Security.Table spricht BAKS-Präsident Botschafter Ekkehard Brose über die Zeitenwende, deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine und die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik. Das Interview ist im Original am 16. Mai 2023 bei Security.Table erschienen und unter »diesem Link« abrufbar.
Security.Table: Herr Brose, bis zum Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 galt es als Allgemeinplatz, dass Sicherheit in Europa ohne Russland nicht möglich sei. Kann es Sicherheit in Europa heute nur noch gegen Russland geben?
Brose: Das kann man für die Gegenwart so sagen und es ist, wenn man so will, die Gegenthese zu dem, was Jahre und Jahrzehnte lang der Leitstern des Umgangs mit Russland war. Die interessante Frage wird sein, wie weit erstreckt sich diese Gegenwart in die Zukunft? Denn Russland wird ja nicht von der Karte getilgt sein – wie immer dieser Krieg auch ausgeht. Bis auf Weiteres aber ist es als revisionistische Macht unmissverständlich und deutlich zu einem radikalen Gegner des Status quo in Europa geworden.
Security.Table: Hätte der Westen nicht schon seit dem Georgien-Krieg 2008 mehr Sensoren für das russische Großmachtstreben entwickeln können?
Brose: Natürlich war Georgien ein Einschnitt. Aber das Bild, das sich damals bot, war nicht das eines entfesselten Russlands, das auf einmal Gebietsansprüche geltend machte, so wie jetzt in der Ukraine. Sondern das eines Hochschaukelns der Krisensituation in nach Unabhängigkeit strebenden Gebieten Georgiens wie Südossetien, wo Russland versuchte, Einfluss auszuüben – durch Vergabe russischer Pässe etwa. Im Übrigen war es Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili, der als erster Gewalt anwandte gegen auf georgischem Gebiet stationierte russische Truppen – möglicherweise im Vertrauen auf amerikanische Unterstützung oder aus eigener Großmannssucht. Insofern war die Lage in Georgien im August 2008 nicht so ganz analog zu der in der Ukraine heute.
Security.Table: Im Baltikum und Polen warf man Deutschland lange Zögerlichkeit bei der Bereitstellung militärischen Geräts für die Ukraine vor.
Brose: Ich verstehe die Forderung nach Umschwenken auf totale Wehrhaftigkeit angesichts der Erfahrungen der baltischen Staaten im Verbund der Sowjetunion oder in Polen. Ganz nüchtern aber muss man feststellen, dass Deutschland vom Umfang her zu den zwei, drei wichtigsten Unterstützern der Ukraine gehört – sowohl, was Waffen anbelangt, aber auch finanziell und bei humanitärer Hilfe. Entscheidend, um Putins Expansionsdrang zu widerstehen, wird die Einigkeit Europas sein. Und da hat Deutschland als großes Land eine besondere Verantwortung: Wir müssen nicht nur die baltischen Staaten mit ihren ganz besonderen Grenzerfahrungen mit Russland mitnehmen und Polen, sondern auch Portugal, um nur ein Beispiel zu nennen.
Security.Table: Ehe Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine geliefert wurden Anfang des Jahres, musste Deutschland auch von westlichen Partnern zum Jagen getragen werden.
Brose: Sicherlich, es haben bei der Entscheidungsfindung alle wie das Kaninchen auf die Schlange auf Deutschland gestarrt, weil Deutschland den Leopard nun einmal produziert. Am Ende waren Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Schulterschluss mit Präsident Joe Biden entscheidend für den Aufbau der Koalition der Kräfte, die nun nicht nur deutsche, sondern auch in Deutschland produzierte Leopard aus anderen Ländern in die Ukraine geschafft hat – und darüber hinaus die Ersatzteilketten sicherstellt und ukrainische Soldaten für den Einsatz ausbildet.
Security.Table: Wird sich die militärisch gewachsene Rolle Deutschlands in der Nationalen Sicherheitsstrategie widerspiegeln, die gerade in der Ressortabstimmung ist?
Brose: Sicherheit ist ein weiter Begriff, der viele Dimensionen hat, darunter die militärische. Die Schwäche deutscher Außen- und Sicherheitspolitik über viele Jahre bestand meines Erachtens nicht darin, dass wir diesen vielgestaltigen Sicherheitsbegriff gepflegt hätten – das sehe ich eher als Stärke. Die Schwäche bestand in einem Scheuklappendenken, das den militärischen Anteil verwässern oder negieren wollte. Diplomatie braucht auch den Knüppel in der Hand. Der muss gar nicht geschwungen werden, wenn er groß und sichtbar genug ist. Das allein kann schon den Effekt haben, Diplomatie mehr Nachdruck zu verleihen.
Security.Table: Haben Sie ein Jahr nach der Zeitenwende den Eindruck, dass dieses Sicherheitsverständnis stärker in der Bevölkerung verankert ist als vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine?
Brose: Die Ukrainer leben uns Europäern ja vor, dass wir nicht mehr in einer postheroischen Gesellschaft leben, sondern dass sie bereit sind, ihr Leben zu geben, um ihr Land, ihre Stadt, ihre Familie zu verteidigen. Damit müssen auch wir uns auseinandersetzen. Damit sich die Ukraine gegen Russland wehren kann, braucht sie Waffen. Das ist die militärische Dimension. Damit sie aber als Staat bestehen kann, braucht sie humanitäre und Wirtschaftshilfen. Auch diese Mehrdimensionalität von Sicherheit muss die Politik reflektieren und der Bevölkerung vermitteln.
Das Gespräch führte Markus Bickel.